Bedingungsloses Grundeinkommen : Staatsgeld für alle
Beim bedingungslosen Grundeinkommen geht es nicht nur um einer gerechtere Welt, sondern auch darum, den Kapitalismus attraktiver zu machen.
Über Generationen hinweg findet die Idee eines Grundeinkommens Anhänger. 2020 demonstrierten in Berlin Befürworter des Projekts am Alexanderplatz.
Kapitalismus und Sozialismus sind Gegensätze. Aber weil beide - der pure marktwirtschaftliche Individualismus und der reine kollektivistische Ansatz - für sich genommen nicht so richtig funktionieren, vermischt man sie gerne.
Der Kapitalismus kennt seine Wirtschaftskrisen, die ans Existenzielle gehen können, und der Sozialismus ignoriert (vor allem, wenn er als Kommunismus daherkommt), dass die Menschen sich gerne individuell verwirklichen und den Erfolg dabei mit ihrem Einkommen verbinden.
In Deutschland hat man sich für eine soziale Marktwirtschaft entschieden, in der die Wirtschaftssubjekte sich ausleben dürfen, in der es aber auch kollektive Vorsorge und Absicherung gibt.
Absicherung gegen das Auf und Ab in einer Marktwirtschaft
Selbst in den USA, wo man dem Kapitalismus am heftigsten huldigt, gibt es Pensionsfonds, Krankenversicherungen und Armenfürsorge. Chinas Kommunisten wiederum haben irgendwann gemerkt, dass mehr Marktwirtschaft ihr Reich in Schwung bringen könnte, erkennen nun allerdings auch, wie krisenbehaftet Kapitalismus selbst dann sein kann, wenn die herrschende Partei ihn veranstaltet.
Ein seit Jahrzehnten fester Teil der Kapitalismus/Sozialismus-Debatte ist die Idee, die ökonomische Absicherung gegen das Auf und Ab in einer Marktwirtschaft mittels eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle zu gestalten. Es gilt manchen als ausgesprochen sozialistisch, aber es gibt in der Debatte auch Vorschläge von Erzkapitalisten wie dem Ökonomen Milton Friedman. So verteilen sich die Anhänger quer durch die politischen Lager.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Geldleistung, die vom Staat an alle ausgezahlt wird, ohne dass es dafür irgendwelche Bedürftigkeitsprüfungen oder Gegenleistungen gibt. Es soll das Existenzminimum sichern, oder auch etwas mehr, und bisher übliche Sozialleistungen zur Vermeidung von Armut ersetzen. Renten- und Arbeitslosenversicherungen wären obsolet, Sozialhilfe oder Grundsicherung gäbe es nicht mehr. Die meisten Modelle gehen von einer Steuerfinanzierung aus.
Kosten: 1,1 Billionen Euro im Jahr
Der Kampf für das Modell ist allerdings mit harten Erkenntnissen verbunden. Der Verein "Mein Grundeinkommen" zum Beispiel hat gerade erst eine Studie beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erstellen lassen. Der Verein hatte sich ausgedacht, dass Erwachsene 1.200 und Kinder 600 Euro im Monat bekämen - eine vierköpfige Familie hätte also 3.600 Euro, anstelle eines eigenen Einkommens oder zusätzlich dazu.Verkürzt gesagt ergab die DIW-Studie, dass das Modell im Jahr 1,1 Billionen Euro kosten würde - mit der Folge, dass das Steueraufkommen verdoppelt werden müsste. Geringverdiener hätten zwar etwas davon, Besserverdiener würden deutlich stärker herangezogen, wie sich die Sache in der breiten Mitte darstellt, hängt vom tatsächlichen Steuersystem ab. In jedem Fall wäre die Umverteilungswirkung erheblich.
Angesichts der deutlichen Finanzierungsprobleme, die das aufwirft, spricht man bei dem Verein nun vom "utopischen Grundeinkommen".Dabei ist es nicht allein die Sehnsucht nach Utopie, die Vorstellung von einer supergerechten Welt, in der sich alle frei von materiellen Sorgen individuell verwirklichen können, welche die Debatte am Leben erhält. Verfechtern der Idee geht es zum Beispiel auch darum, die Zwänge und Zumutungen einer kapitalistischen Arbeitswelt zu lockern und die damit verbundenen wirtschaftlichen Defizite zu verringern, letztlich also den Kapitalismus menschlicher und damit auch attraktiver zu gestalten. Einen solchen humanistischen Ansatz vertrat etwa der Unternehmer Götz Werner, Gründer der Drogeriekette "dm", ein Anthroposoph: "Erst wenn ich leben kann, kann ich auch arbeiten."
Ökonom Milton Friedman hofft auf Anreize, Arbeit aufzunehmen
Unter wirtschaftsliberalen Ökonomen gibt es Sympathien für die Idee des Grundeinkommens, weil sie die gewachsene Verbindung von Kapitalismus und Sozialismus, den modernen Sozialstaat mit seiner üppigen Bürokratie, für ineffizient halten. Hier kommt nun Milton Friedman ins Spiel, der 1962 eine negative Einkommensteuer vorschlug, eine Variante des bedingungslosen Grundeinkommens. Als Erfinderin gilt die britische Liberale Juliet Rhys-Williams, die in dem Modell die bessere Lösung der Armutsvermeidung im Vergleich zu einem staatlich-bürokratischen Sozialversicherungssystem sah.
Vereinfacht gesagt schlug Friedman vor, dass oberhalb eines bestimmten Einkommens Steuern fällig werden, unterhalb der Schwelle das Finanzamt dagegen einen Zuschuss auszahlt, dessen Höhe ein Existenzminimum sichert. Es gäbe damit weder einen Versicherungszwang noch Bedürftigkeitsprüfungen. Der spätere Wirtschafts-Nobelpreisträger sah darin auch einen besseren Anreiz, Arbeit aufzunehmen.
Das "liberale Bürgergeld" der FDP geht auf Miltons Ideen zurück
In Deutschland geht das "liberale Bürgergeld", das die FDP im Programm hat, auf das Konzept der negativen Einkommensteuer zurück. In der CDU wurde eine Weile das "Solidarische Grundeinkommen" diskutiert, das der frühere thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus vorgelegt hatte - ohne weitere Folgen.
Die Grünen sind gespalten, im Grundsatzprogramm findet sich das bedingungslose Grundeinkommen nur als allgemeine Zielvorstellung. Immerhin: Ihr Modell der Kindergrundsicherung geht in diese Richtung. Die Sozialdemokraten halten das bedingungslose Grundeinkommen für einen falschen Ansatz. Auch die AfD ist dagegen. Allein die Linke hat die Forderung in ihr Parteiprogramm aufgenommen. In Berlin ist 2022 ein Volksbegehren für ein Grundeinkommen gescheitert, weil sich nicht genügend Unterstützer fanden.
Interessant ist, dass das bedingungslose Grundeinkommen neuerdings in einer ganz besonderen Gruppe von Kapitalisten Gefallen findet - den Oligarchen der Digital- und Transformationswirtschaft nämlich, die sich gern fortschrittlich und/oder sozial verantwortlich geben. Als Anhänger in den USA gelten der quecksilbrige Elon Musk, Mark Zuckerberg, der die Welt mit Facebook beglückte, Google-Gründer Larry Page, der neue Apple-Guru Tim Cook, Bill Gates von Microsoft, Amazon-Chef Jeff Bezos und auch Sam Altman, die Leitfigur hinter OpenAI.
Verwunderlich ist das nicht: Die Auswirkungen der weiteren Fortschritte in der Digitalisierung, insbesondere durch Künstliche Intelligenz, auf die Arbeitswelt sind nicht wirklich absehbar. Da mag es gut und günstig sein, mit dem progressiven Versprechen eines von einer bezahlten Arbeit entkoppelten Einkommens für alle mögliche negative Folgen schon vorab zu adressieren.
Der Faktor Arbeit treibt auch die Kritiker um
Der Faktor Arbeit ist es auch, der bei Kritikern des bedingungslosen Grundeinkommens im Mittelpunkt steht. Je nach Höhe, so wird argumentiert, senke es die Bereitschaft, überhaupt einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Andererseits kann ein Grundeinkommen auch dazu beitragen, Niedriglohnjobs attraktiver zu machen - es würde dann wie eine Aufstockung wirken.
Das Argument lässt sich aber auch umdrehen: Anbieter von schlecht bezahlten Tätigkeiten wären nicht gezwungen, höhere Löhne zu zahlen, um Arbeitskräfte zu bekommen. Wie auch bei bestehenden Sozialtransfers stellt sich die Frage, ob und wie weit ein Grundeinkommen Schwarzarbeit fördern könnte.
Bisher hat sich das Grundeinkommen noch nirgends durchgesetzt
Durchgesetzt hat sich international bisher keine Variante des Grundeinkommens. Brasilien hat zwar 2004 das Recht auf ein Grundeinkommen in die Verfassung aufgenommen, tatsächlich aber gibt es nur staatliche Zuschüsse wie anderswo auch. Das von der Fünf-Sterne-Bewegung 2019 in Italien eingeführte Bürgergeld als Einstieg in ein Grundeinkommen wird gerade wieder abgeschafft. In Finnland wurde ein Pilotprojekt mit einer Gruppe von 2.000 Arbeitslosen am Ende nicht ausgeweitet: Es ließ sich nicht nachweisen, dass das bedingungslose Grundeinkommen den Arbeitslosen mehr geholfen hatte als ein traditionelles "Aktivierungsmodell"
Der Autor ist Korrespondent im Hauptstadtbüro des "Tagesspiegels"