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Rauchende Schlote als Motor des Kapitalismus: Die Wirtschaft wächst, das Klima leidet.

Aktuelle Kapitalismuskritik : Lieber gar nicht mehr wachsen?

Viele Bücher beschäftigen sie derzeit mit dem Thema Wachstum. Ihre Autoren glauben nicht, dass sich mit mehr Effizienz und Innovationen das Klima schützen lässt.

30.12.2023
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5 Min

Ist die Sehnsucht nach Veränderung groß, kommt Kritik bisweilen selbst im Kleid eines Refrains daher: "Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 Prozent nicht brauchst", singt Stefanie Kloß; weg mit dem "Kabinett aus Sinnlosigkeiten", weg mit dem "Ergebnis von Kaufen und Kaufen", weg mit den Dingen, die in Wahrheit niemand braucht. Mit ihrem Feldzug gegen sinnlosen Konsum stürmte die Band Silbermond vor wenigen Jahren die Charts. Derweil boomen im Fernsehen die Aussteiger-Porträts. Und in Buchläden lassen sich ganze Thementische füllen mit immer neuen Aufforderungen für eine schrumpfende Wirtschaft.

Das jüngste Buch des britischen Anthropologen Jason Hickel mit dem Titel "Weniger ist Mehr" ist ein Paradebeispiel für diese Disziplin. Wie schon in seinem Vorläuferwerk über die "Tyrannei des Wachstums" will Hickel belegen, wie unser wachsender Wohlstand globale Ungleichheit gefördert und die Länder des Südens in die Verschuldung gestürzt hat. Der Grund dafür ist für Hickel die kapitalistische Logik des "höher, schneller, weiter". Damit, so schreibt er, sei eine "nicht aufzuhaltende Maschine, die auf unendliche Expansion programmiert worden ist", entstanden. Das System müsse bekämpft werden wie ein Virus, weil wir andernfalls unseren Planeten zerstörten.


Jason Hickel:
Weniger ist mehr.
Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind.
oekom, übersetzt von Eva Leipprand
München 2022;
352 Seiten, 22,00 €

 


Schrumpfkur durch individuellen Verzicht

Der wohl bekannteste Vertreter der sogenannten Postwachstumsökonomie in Deutschland, Niko Paech, richtet sich in Büchern wie "Streitfrage Wachstum" oder "All you need is less" vor allem an das Individuum. Es ginge uns allen besser mit etwas mehr Genügsamkeit, schreibt Paech. Genau wie der Vorreiter dieser Denkschule, der US-Politologe Thomas Princen, stellt auch Paech die Ordnungsprinzipien unseres Wirtschaftslebens infrage. Beide wollen vom "immer mehr" zum "genug ist genug". Anders gesagt: Sie wollen das Streben nach ökonomischer Effizienz ablösen durch sogenannte Suffizienz, also durch Zurückhaltung bei Produktion und Konsum.


Katja Gentinetta, Niko Paech, Lea Mara Eßer:
Wachstum.
Westend-Verlag,
Frankfurt 2022;
112 Seiten, 14,00 €

 



Auch die taz-Journalistin Ulrike Herrmann ist überzeugt, dass der gegenwärtige Kapitalismus unweigerlich in eine Katastrophe führt und sich somit letztlich selbst zerstört, denn in einer ökologisch zerrütteten Welt fehlten auch die Grundlagen ökonomischen Handelns. In ihrem Bestseller-Buch "Das Ende des Kapitalismus" fordert Herrmann planwirtschaftliche Vorgaben des Staates darüber, was, wie und vor allem wie viel in Zukunft überhaupt noch zu produzieren sei. So wie die britische Regierung im Zweiten Weltkrieg gezwungenermaßen auf eine Kriegswirtschaft umstellen musste, sei nun im Klimanotstand ein geordneter wirtschaftlicher Rückzug nötig, um den völligen Zusammenbruch abzuwenden. Wir müssen, schreibt Herrmann, unseren Wohlstand planmäßig auf das Niveau von 1978 gesundschrumpfen.


Ulrike Herrmann:
Das Ende des Kapitalismus.
Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden.
Kiepenheuer&Witsch,
Köln 2022;
352 Seiten, 24,00 €

 


Die aktuelle Kapitalismuskritik unterscheidet sich stark in ihrer Radikalität des Vortrags. Im zentralen Angriffspunkt auf die ökonomische Gegenwart dagegen finden sie sich vereint: Es herrscht große Skepsis gegenüber der auf Produktivitätssteigerung, Effizienzgewinne und Wachstum ausgerichteten Wirtschaft, denn diese schädige auf Dauer die Natur.

Rebound-Effekt verhindert bisher grünes Wachstum

Tatsächlich ist es bisher nicht gelungen, weltweit ein "grünes Wachstum" zu erzeugen, das sich abkoppelt vom Ressourcenverbrauch. Dazu trägt auch der sogenannte Rebound-Effekt bei: Umweltentlastungen durch höhere Effizienz werden aufgezehrt, wenn die eingesparten Ressourcen in zusätzliche Waren und Dienstleistungen fließen: Effizientere Heizungen laden dazu ein, mehr zu heizen, sparsame Autos verleiten vielfach zu stärkeren Motoren, bessere Kühlschränke zum größeren Eisfach.

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Allerdings zahlen oft auch nicht jene für die schädlichen Umweltfolgen, die auf der Autobahn fahren oder Eiswürfel lutschen. Die Umweltkosten betreffen vielmehr häufig öffentliche Güter wie saubere Luft oder Trinkwasser - und werden damit von den Umweltverschmutzern sozialisiert. Das allerdings ist sicher kein Naturgesetz des Kapitalismus, sondern Ergebnis einer Ordnungspolitik, die zulässt, das andere die Zeche zahlen. Auch in einem marktwirtschaftlichen System und ohne zentrale Planung wäre es immerhin denkbar, beispielsweise in einen CO2-Preis die Folgekosten einzurechnen, so dass das Verursacherprinzip gilt und sich klimaschädliche Produktion auf Dauer schlicht nicht mehr rentiert. Kritiker halten diesem Argument oftmals entgegen, dass solche Preismechanismen für die akute Klimakrise zu langsam wirkten.

Erstaunlicher Pessimismus

Die eine Kapitalismuskritikerin ruft nach dem Staat, andere appellieren an die Vernunft des Einzelnen. Niko Paech meint, die Menschen tun sich selbst etwas Gutes, weniger zu wollen: "Wer sich elegant eines ausufernden Konsum- und Mobilitätsballastes entledigt, ist davor geschützt, im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung orientierungslos zu werden."

Erstaunlich pessimistisch sind die Kritiker in Bezug auf die Innovationskraft und Kreativität, die sich im marktwirtschaftlichen Prozess immer wieder entfalten konnte. Ulrike Herrmann etwa kann sich schlicht nicht vorstellen, wie technischer Fortschritt den Klimawandel noch aufhalten kann.


„Wer sich elegant eines ausufernden Konsum- und Mobilitätsballastes entledigt, ist davor geschützt, im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung orientierungslos zu werden.“
Niko Paech

Doch es stellt sich eine fundamentale moralische Frage: Wer sagt eigentlich, was genug ist, wie viel Wohlstand nötig, und wo genau die Verschwendung beginnt, die "dekadente Entgleisung", wie Niko Paech es nennt? So zeigt die populäre Kapitalismuskritik mehr Probleme auf, als sie zu lösen vermag - aber das sehen die Autoren vermutlich auch als ihre Hauptaufgabe an.

Etwas anders ist es um das Werk des jungen japanischen Philosophen Kohei Saito bestellt, der lange in Berlin gelebt hat. Er hat mit dem Buch "Systemsturz" ein Manifest für einen globalen "Degrowth-Kommunismus" verfasst. Sein erstes großes Buch hat ihn während der Pandemie bereits in seiner Heimat zum Star gemacht, nun ist es auf Deutsch erschienen - und auch hier eingeschlagen als ein neuer alternativer Gesellschaftsentwurf.

"Slow down" statt Systemsturz

Saito will die Werke von Karl Marx modern interpretieren, sieht in ihm einen ökologischen Philosophen. Es sei notwendig, sagt Saito, die großen Ölkonzerne, Großbanken sowie die digitale Infrastruktur zu vergesellschaften, den vorherrschenden Egoismus zu überwinden und eine neue weltweite Solidarität zu üben: "Wir brauchen einen revolutionären Kommunismus", schreibt er.


Kohei Saito:
Systemsturz.
Der Sieg der Natur über den Kapitalismus.
München 2023;
320 Seiten, 25,70 €

 



Ganz so umstürzlerisch, wie der deutsche Titel vermuten lässt, ist das Buch aber doch nicht gemeint. Saito will eher die bestehende Ordnung nach und nach transformieren, zunächst durch Schritte wie kostenlose Bildung, kostenloses Internet oder kostenlosen Nahverkehr. Der englische Buchtitel "Slow down" erscheine passender, sagte Saito kürzlich. Damit passt er auch wieder auf denselben Büchertisch wie Hickel, Paech oder Herrmann. 


Der Autor ist Gründer und Leiter der Finanz- und Wirtschaftsredaktion "wortwert"