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Reform der Landwirtschaft : Hitzige Debatte über Özdemirs Agrarwende

Der Landwirtschaftsminister wirbt für eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion. Die Opposition fürchtet mehr Bürokratie und steigende Preise.

17.01.2022
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5 Min

Landwirt zu sein - das sei kein Beruf, das sei eine Lebensaufgabe. "Dafür darf man auch gerne einmal Danke sagen", erklärte Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister (Bündnis 90/Die Grünen) vergangene Woche im Bundestag. Özdemir bezog sich mit den Worten auf einen zweiseitigen Beitrag, den die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am vergangenen Wochenende veröffentlicht hatte. Dort sei nachzulesen, "dass wir alle davon leben, was die Landwirte anbauen", so Özdemir.

Er wolle als Minister dafür sorgen, dass Landwirte, Tiere und Verbraucher bessere Bedingungen bekommen. So soll dem ständigen Preiskampf stärker entgegenwirkt werden. "Es ist nicht in Ordnung und es ist vor allem auch nicht alternativlos, wenn die Landwirtin und der Landwirt von dem Euro, den der Kunde im Laden für das Schweinefleisch ausgibt, gerade mal 22 Cent bekommt", sagte der Grünen-Politiker. Dies sei "einfach eine Sauerei" und müsse geändert werden. Er sei nicht bereit, "ein ausbeuterisches System" weiter hinzunehmen, das auf Kosten von Menschen, Tieren, Umwelt und Klima gehe. Wer Tiere halte, der müsse sie auch schützen, es gehe nicht an, "Tiere an Ställe anzupassen, deshalb müssen wir die Tierhaltung umstellen", betonte der Schwabe.

Regierung plant Strategie für gesunde Ernährung

Ein weiteres Anliegen des Ministers: Die Verbraucher sollten durch eine Umstellung des Angebotes in Kantinen und Mensen gesünder leben. "Wir wollen nicht akzeptieren, wenn Menschen mit geringem Einkommen ein statistisch deutlich gesteigertes Risiko haben, chronisch zu erkranken." Es sei ein Ausdruck von Wertschätzung, wenn etwa Arbeitnehmer in der Kantine oder Kinder und Jugendliche in der Mensa gesundes Essen, möglichst regional angebaut, bekämen. Die Regierung wolle umgehend eine Ernährungsstrategie erarbeiten, damit weniger Zucker, Fette und Salz in den Produkten verarbeitet würden. Auch solle die "skandalöse Lebensmittelverschwendung" reduziert werden.

Foto: picture-alliance/dpa/Emily Wabitsch

Ställe sollen in Zukunft den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden.

Scharfe Kritik erntete Özdemir von Seiten der Oppositionsparteien. Steffen Bilger (CDU), Vize-Fraktionschef der Union, nannte Özdemir einen "Ankündigungsminister", nur wenig von dem, was er heute angesprochen habe, finde sich im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Bilger fragte: "Wie hoch soll denn der Preis für Schnitzel und Hackfleisch sein?" Er forderte, dass Lebensmittel auch in Zukunft nicht nur für die Wähler der Grünen bezahlbar sein müssten.

Matthias Miersch (SPD) verteidigte in der emotionalen Debatte die Vorhaben des Ministers: "Sie haben unsere volle Unterstützung für jedes Ihrer aufgezeigten Vorhaben", so der Koalitionspartner. Miersch machte deutlich, worum es ihm geht: "Das bestehende System ist krank." In den letzten Jahren sei sehr viel Geld in die Landwirtschaft geflossen, aber bei den Landwirten, den Produzenten, komme immer weniger an. Das müsse sich nun ändern.

Bürger sind laut Umfragen bereit, mehr für Lebensmittel zu zahlen

Die Ampel-Koalition will offenbar den Trend in der Bevölkerung nutzen: Seit Jahren geben die Bundesbürger in Umfragen an, sie seien bereit, mehr für Lebensmittel zu zahlen, wenn mehr Tierwohl und mehr Wertschöpfung bei den Landwirten ankämen. Anfang Januar hatte die Umweltorganisation Greenpeace eine solche Umfrage veröffentlicht. Demnach wünscht sich eine große Mehrheit der Bürger vom neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir mehr Tierwohl. 88 Prozent der Befragten sprachen sich für bessere Haltungsbedingungen mit weniger Tieren in den Ställen aus, teilte Greenpeace mit. Für eine verpflichtende staatliche Kennzeichnung bei allen Fleisch- und Milchprodukten seien demnach 78 Prozent der Befragten. 85 Prozent wären laut Umfrage auch dazu bereit, zusätzliche Steuern oder Abgaben auf Fleischprodukte zu zahlen, umso das Tierwohl zu erhöhen.

Stephan Protschka (AfD) kritisierte den Umgang mit den Landwirten. Seiner Meinung nach sind immer neue Verbote und Gesetze wie die Düngeverordnung sowie Klimaschutzverbände dafür verantwortlich, dass immer mehr Höfe schließen. Erst vor ein paar Tagen habe es mit der Veröffentlichung des Pestizid-Atlasses, ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung und Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), "wieder Fake News" gegeben, so der Abgeordnete. Ohne Pflanzenschutz werde die Arbeit der Landwirte in Deutschland weiter erschwert, so seine Kritik.


„Wir brauchen Geld für das, was wir planen!“
Zoe Mayer (Bündnis 90/Die Grünen)

Gero Hocker (FDP) erinnerte an die große Menge der Lebensmittel, die in Deutschland im Müll landen. Deshalb müsse sich der neue Minister auch mit dem Thema Haltbarkeitsdatum beschäftigen. Hocker betonte in diesem Zusammenhang, dass in kaum einem anderen Land derart hohe Standards für den Anbau und für die Produktion von Lebensmitteln bestünden wie in Deutschland. Das alles gebe es nicht zum Nulltarif. "Es kann nicht sein, dass der Verbraucher immer höhere Standards verlangt, aber nicht bereit ist, dafür auch den Preis zu zahlen", sagte der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Diese Aussage führte bei Amira Mohammed Ali, Fraktionschefin der Linken, zu heftigen Zwischenrufen. Sie machte darauf aufmerksam, dass sozial benachteiligte Menschen schon jetzt finanziell nicht in der Lage seien, sich und ihre Familien gesund und abwechslungsreich zu ernähren, weil das mit geringen Gehältern oder gar Transferleistungen unmöglich sei.

Linke verweist auf Nöte von Geringverdienern

Mohammed Alis Fraktionskollegin Ina Latendorf (Die Linke) nahm in ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag das Thema Geringverdiener auf, indem sie den Bogen zur Lage der Saisonarbeiter und der in der Lebensmittelproduktion Beschäftigten schlug. Diese Menschen lebten im wahrsten Sinne des Wortes am "Rande der Gesellschaft", indem sie im ländlichen Raum arbeiten und leben würden. Zudem wies die Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern darauf hin, dass es bereits heute in vielen Regionen des Landes keine Einkaufsmöglichkeit, keinen Arzt und keine kulturellen Angebote mehr gebe. Landwirte, die Flächen hinzukaufen oder pachten wollten, kämen nicht zum Zug, weil Grund und Boden immer häufiger an überregionale oder ausländische Investoren gingen. Die neue Regierung müsse die noch in Bundesbesitz befindlichen Flächen deshalb an regionale Landwirte vergeben.

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Begrüßt wurden diese Vorschläge von der Grünen-Politikerin Zoe Mayer: "Die Debatte ist hitzig, und das ist auch gut so", erklärte die Abgeordnete, die ebenfalls ihre erste Rede im Deutschen Bundestag hielt. Mayer stellte klar, dass Lebensmittel nicht länger zu Ramschpreisen angeboten werden dürften. Und sie machte deutlich, dass der Umbau nicht umsonst zu haben sei: "Wir brauchen Geld für das, was wir planen!" Es müsse eine ehrliche Debatte darum geführt werden, dass der Umbau der Landwirtschaft auch damit verbunden sein werde, weniger Tiere zu halten und "wer Fleisch konsumieren möchte, soll dafür auch zahlen".

SPD: Union sollte die Nerven bewahren

Das brachte Albert Stegemann (CDU) auf die Palme. Er warf dem Landwirtschaftsminister und seiner Grünen-Partei vor, "einen Fehlstart" hingelegt zu haben. Stegemann rechnete dem Minister vor, dass seine Vorhaben vor allem "kostenintensiv" seien, den Landwirten aber keine Verbesserungen bringen würden. Er hielt Özdemir weiter vor, Teile seiner Vorhaben seien "reine Planwirtschaft". Statt immer neue Papiere zu produzieren, empfahl der CDU-Politiker der Regierung, die Pläne des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, der sogenannten Borchert-Kommission, umzusetzen. Das Expertengremium hatte im Auftrag von Cem Özdemirs Amtsvorgängerin Julia Klöckner (CDU) verschiedene Vorschläge dazu gemacht, wie der Umbau der Nutztierhaltung umgesetzt und finanziert werden könnte.

Sozialdemokratin Susanne Mittag wandte sich an ihren Kollegen von der CDU und empfahl nicht nur ihm: "Nerven bewahren!" Die Parlamentarier sollten sich in den nächsten vier Jahren nicht zu sehr mit sich selbst befassen, sondern lieber "alle Energie in die vor uns liegenden Aufgaben stecken".