Halbzeitbilanz zur Agenda 2030 : Die Nachhaltigkeitsziele sind kaum noch zu erreichen
17 Nachhaltigkeitsziele enthält die 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedete Agenda 2030. Warum das Erreichen dieser immer unwahrscheinlicher wird.
Hunger und Mangelernährung verstoßen gegen die Menschenwürde und sollen bis 2030 beseitigt sein. Doch die Erreichung des Ziels Nr. 2 der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele ist in Gefahr.
Als der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz vor mehr als dreihundert Jahren den Begriff der Nachhaltigkeit prägte, kannte er noch keine Schuldenbremse, wusste nichts über Digitalisierung und wohl auch nicht allzu viel über das Thema Geschlechtergerechtigkeit. Er stellte seinerzeit mit Blick auf die Waldbewirtschaftung fest: Es darf nur so viel Holz geschlagen werden, wie durch Aufforstung wieder nachwächst, damit auch späteren Generationen Wald zur Verfügung steht. Die Nachhaltigkeit wurde fortan zum Leitbegriff der Forstwirtschaft - und inzwischen auch der Politik.
17 Nachhaltigkeitsziele enthält die 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedete Agenda 2030. Ziele, die höchst unterschiedlich sind. 17 Ziele, deren Erreichung bis 2030 angesichts einer ernüchternden Halbzeitbilanz immer unwahrscheinlicher wird, wie sich bei der Debatte zur Nachhaltigkeit am Donnerstag im Bundestag zeigte.
Höchst unterschiedliche Stoßrichtungen
Doch Bange machen gilt nicht. Tessa Ganserer (Grüne) zog eine Analogie zum Fußball. Liegt man zur Halbzeit zurück, muss man danach umso stärker kämpfen, um den Sieg noch einzufahren. Und auch ihr Parteifreund, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, versuchte Zuversicht zu verbreiten. Die aktuellen Krisen, die Kriege und auch die Klimakrise seien schließlich menschengemacht. "Also liegt es auch in unserer Hand, etwas dagegen zu tun. Wir müssen es nur gemeinsam anpacken", sagte der Grünenpolitiker. Die Bereitschaft anzupacken, gibt es in allen Fraktionen. Doch die Stoßrichtungen sind höchst unterschiedlich. Einig ist sich die Opposition aber bei der Feststellung, dass das Handeln der Bundesregierung alles andere als nachhaltig ist.
Die Nachhaltigkeitsprinzipien
- Nachhaltige Entwicklung als Leitprinzip konsequent in allen Bereichen und bei allen Entscheidungen anwenden, global Verantwortung wahrnehmen.
- Natürliche Lebensgrundlagen erhalten, nachhaltiges Wirtschaften stärken.
- Sozialen Zusammenhalt in einer offenen Gesellschaft wahren und verbessern, Bildung und Wissenschaft und Innovation als Treiber einer nachhaltigen Entwicklung nutzen.
Dabei ging Steffen Bilger (CDU) die Sache durchaus staatstragend an. Vieles beim Thema Nachhaltigkeit sei "viel größer als die Dauer einer Legislaturperiode", sagte er. "Die Politik wird keine tragfähigen, wirtschaftlich machbaren und sozialverträgliche Antworten auf Generationenaufgaben wie die Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt oder den Klimaschutz geben können, wenn jeder nur auf den nächsten Wahltag schielt." Gleichwohl komme er nicht umhin, der Regierung den Spiegel vorzuhalten, so Bilger weiter. Weder beim Klimaschutz noch bei den Staatsfinanzen oder den sozialen Sicherungssystemen handle die Bundesregierung nachhaltig, befand er.
AfD nutzt die Debatte, um über Migration zu reden
Rainer Kraft (AfD) griff sich das Nachhaltigkeitsprinzip 5 der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie heraus, dass fordere, den sozialen Zusammenhalt in einer offenen Gesellschaft zu wahren und zu verbessern. Der soziale Zusammenhalt in Deutschland sehe derzeit aber so aus, dass sich tausende Menschen in Deutschland über den hundertfachen Mord an wehrlosen Zivilisten ganz offen freuen. "Diese Menschen haben Sie zu Hunderttausenden ins Land geschleust, ohne Kontrolle und ohne Feststellung der Identität", sagte er an die anderen Fraktionen gewandt.
Eine auf Profit und grenzenlosem Wachstum aufgebaute Weltwirtschaftsordnung, die die vorhandenen Ressourcen plündere, könne die Krisen unserer Zeit nicht lösen, sagte Bernd Riexinger (Linke). Beleg dafür sei, dass der Hunger in der Welt nicht besiegt werde. "735 Millionen Menschen auf der Welt litten Hunger", sagte Riexinger. Eine Weltwirtschaftsordnung, die es trotz ausreichend vorhandener Nahrungsmittel nicht schafft, "dass kein Mensch hungern muss", habe kein moralisches Recht fortzubestehen, befand er.
Regierung will Tempo machen
Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung stellten indes ihre Aktivitäten in Sachen Nachhaltigkeit in den Vordergrund. Umweltminister Steffi Lemke (Grüne) verwies auf das von ihr ins Leben gerufene Aktionsprogramm "Natürlicher Lebensschutz". Mit vier Milliarden Euro würden dadurch in den nächsten Jahren Auen renaturiert, alte Wälder geschützt und Moore wieder vernässt, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, kündigte sie an. Landwirtschaftsminister Özdemir machte auf die Förderung des ökologischen Landbaus aufmerksam, "weil er besonders ressourcenschonend ist". Sozial-Staatssekretärin Kerstin Griese (SPD) betonte die Gleichwertigkeit der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimension der Nachhaltigkeit. Daher stelle die Regierung die Weichen für eine Politik, die die Menschen zur Teilhabe befähige und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt setze.
Ganz zentral für die Nachhaltigkeit ist laut Carina Konrad (FDP), "dass die Bundesregierung die Schuldenbremse einhält". Deutschland befinde sich in einer Krise, sagte sie. "Unsere Wirtschaft wächst nicht mehr." Wachstum sei aber nötig, um Wohlstand zu erhalten und um die Zukunft des Landes für die nächsten Generationen zu ebnen. Deshalb sei das Wachstumschancengesetz "ein erster wichtiger Schritt, um die Wirtschaft wieder zum Wachsen zu bringen", sagte die FDP-Abgeordnete.
SPD: Lehnen Weiterbetreiben der Kernkraftwerke als Beitrag zur Nachhaltigkeit entschieden ab
Mache die internationale Gemeinschaft weiter wie bisher, so die Staatssekretärin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bärbel Kofler (SPD), "werden wir keines der 17 Nachhaltigkeitsziele erreichen". Bei der anstehenden Aufholjagd müsse es unter anderen darum gehen, Ungleichheiten zu bekämpfen, mehr Investitionen zu tätigen und für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen.
"Beim Thema nachhaltige Entwicklung spielen wir in der Champions League der Politik", sagte Tessa Ganserer. Es gelte nun, zur zweiten Halbzeit auf das Spielfeld zu gehen, die Kraftanstrengungen zu verstärken und weiterhin auf Sieg zu spielen, forderte die Grünenabgeordnete.
Den von der Union als Beitrag zur Nachhaltigkeit ins Spiel gebrachte Weiterbetrieb der Kernkraftwerke lehnte Nina Scheer (SPD) entschieden ab. "Es ist nicht nachhaltig, auf Dauer den nachfolgenden Generationen über Millionen Jahre Müll zu hinterlassen", sagte sie.