Wohngeld-Reform : Auf die Wohngeldstellen rollt eine gewaltige Arbeitswelle zu
Ab 2023 sollen dreimal so viele Haushalte wie bisher Wohngeld beziehen können. Die Kommunen befürchten jedoch starke Verzögerungen bei der Umsetzung.
Der Kölner Wohngeldstelle stehen anstrengende Wochen und Monate bevor. "Die Mitarbeitenden haben bereits angeboten, ab Januar auch an Samstagen zu arbeiten", sagt Harald Rau, Beigeordneter für Soziales, Gesundheit und Wohnen der Stadt Köln. Das wird aller Voraussicht nach auch dringend nötig sein: Da mit der Verabschiedung der Wohngeldnovelle zahlreiche zusätzliche Haushalte Wohngeld beantragen werden, rollt auf die Wohngeldstellen nicht nur in Köln, sondern im ganzen Bundesgebiet eine gewaltige Arbeitswelle zu.
Dass mehr Menschen Anrecht auf das Wohngeld erhalten, ist das erklärte Ziel der Wohngeld-Plus-Reform der Bundesregierung, die der Bundestag vergangene Woche verabschiedet hat. Die Neuerungen sollen das Wohngeld breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich machen und es so aus seinem "Nischendasein" befreien, das es nach Einschätzung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) bisher geführt hat. Die Bundesregierung rechnet damit, dass zukünftig zwei Millionen Haushalte und damit etwa dreimal so viele wie heute Wohngeld beziehen werden. Ab 2023 stehen dafür laut Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) 5,1 Milliarden Euro zur Verfügung, die jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden.
im Jahr 2010 waren die Ausgaben für Wohngeld besonders hoch.
Durchschnittliche Höhe des Wohngelds steigt auf 370 Euro
Grundlage für die Erweiterung des Empfängerkreises ist eine neue Formel für die Berechnung des Wohngelds. Zwar bleibt es dabei, dass das Einkommen, die Höhe der Wohnkosten und die Mietenstufe der jeweiligen Wohngemeinde die entscheidenden Parameter sind. Das Einkommen, bis zu dem ein Haushalt Wohngeld beanspruchen kann, erhöht sich jedoch erheblich. Das IW Köln verdeutlicht dies am Beispiel von München, einer Stadt der höchsten Mietenstufe VII. Demnach kann nach bisherigem Recht ein Ein-Personen-Haushalt bis zu einem Einkommen von 1.188 Euro - nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen - Wohngeld beziehen. In Zukunft erhöht sich diese Grenze auf 1.541 Euro.
Außerdem steigt mit der Novelle die durchschnittliche Höhe des Wohngelds von derzeit 177 auf 370 Euro. Dafür sind zwei Faktoren verantwortlich, nämlich die Heizkosten- und die Klimakomponente. Die Heizkostenkomponente ändert die bisherige Praxis, wonach für die Ermittlung des Wohngeldes allein die Bruttokaltmiete ausschlaggebend ist, während die Kosten für Heizung und Warmwasser unberücksichtigt bleiben. Von 2023 an wird eine Heizkostenkomponente von zwei Euro pro Quadratmeter Wohnfläche und Monat in die Berechnung einbezogen. Weil zudem bereits seit 2021 als Kompensation für den CO2-Preis eine Entlastung von 30 Cent pro Quadratmeter gilt, werden nun pauschal für alle Wohngeldhaushalte 2,30 Euro pro Quadratmeter als Heizkosten angesetzt. Nach Berechnungen des IW Köln erhält dadurch ein beispielhafter Haushalt 576 Euro mehr Wohngeld im Jahr.
Klimakomponente soll Mieterhöhungen auffangen
Dritte wesentliche Neuerung des Gesetzes ist die sogenannte Klimakomponente. Sie erhöht die für die Berechnung des Wohngelds relevante maximale Miethöhe pauschal um 0,40 Euro pro Quadratmeter. Weil Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll, muss der Wohnungsbestand in großem Stil energetisch saniert werden, wodurch auf Wohngeldbezieher sanierungsbedingte Mieterhöhungen zukommen. Sie sollen durch die Klimakomponente aufgefangen werden.
Weitere Änderungen sind verfahrensmäßiger Natur. So können die kommunalen Wohngeldstellen das Wohngeld jetzt für 24 Monate bewilligen; bisher mussten Wohngeldbezieher alle zwölf Monate den Nachweis erbringen, anspruchsberechtigt zu sein. Außerdem haben die Kommunen die Möglichkeit, Wohngeld vorläufig zu bewilligen und so zu verhindern, dass unterstützungsbedürftige Menschen lange auf eine Entscheidung warten müssen.
Doch das beruhigt die Städte und Gemeinden nicht. Die Umsetzung der Wohngeldreform stelle in der Kürze der Zeit einen großen Kraftakt für die Verwaltung dar, heißt es beispielsweise in Köln. Tatsächlich hat die Domstadt einen enormen Personalbedarf errechnet: Während bisher in der Wohngeldstelle 69,4 Vollzeitstellen angesiedelt sind, beträgt der Mehrbedarf künftig knapp 140 Vollzeitstellen.
"Diese Mitarbeitenden müssen jedoch zunächst gewonnen und dann auch eingearbeitet werden", sagt Katja Reuter vom Kölner Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Da derzeit alle Wohngeldstellen in Deutschland intensiv auf Personalsuche seien, sei die Personalakquise "sehr herausfordernd". Eine Verlängerung der Bearbeitungszeit dürfte also kaum zu vermeiden sein - dabei verfehlt Köln bereits jetzt das Ziel deutlich, 80 Prozent der Wohngeldanträge innerhalb von zwei Monaten zu bearbeiten. Im bisherigen Jahresverlauf gelang dies nur in 66 Prozent der Fälle.
In Dresden, wo derzeit gut 6.000 Haushalte Wohngeld beziehen, dauerte die Bearbeitung eines Wohngeldantrags zuletzt im Durchschnitt drei Monate. Derzeit sucht die sächsische Landeshauptstadt bis zu 90 neue Mitarbeiter für die Wohngeldstelle. "Inwieweit es uns dabei gelingen wird, ausreichend und sofort einsatzfähiges Personal zu erhalten, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzbar", sagt Diana Petters vom Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. "In der Kürze des noch verbleibenden Zeitraums bis zum Inkrafttreten der Wohngeldreform stellt uns dies vor große Herausforderungen." Zusätzlich müssten auch noch die entsprechenden Büroräume beschafft werden.
Wird die Software püntklich einsatzbereit sein?
Doch die Schwierigkeiten sind nicht auf Großstädte beschränkt. "Wir stehen landesweit vor dem Problem, dass wir jetzt noch nicht sagen können, ob die Software pünktlich einsatzfähig sein wird und vor allem, mit welchem Personal wir diesen massiven Anstieg der Fallzahlen in den Verwaltungen bewerkstelligen sollen", sagt Thomas Beyer, Vorsitzender des Städte- und Gemeindetags Mecklenburg-Vorpommern. Beyer bereitet die Antragsteller bereits jetzt auf lange Bearbeitungszeiten vor.
Grundsätzlich trifft das Ziel der Wohngeldreform, den Kreis der Berechtigten zu vergrößern, jedoch auf breite Zustimmung. Mieterbund und Vermieterverbände, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände sowie Vertreter von Kommunen und Ländern stellen sich im Prinzip hinter die Reform. Von "erheblichen Verbesserungen" spricht beispielsweise der Deutsche Mieterbund, während sein Gegenspieler auf Vermieterseite, der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), das Wohngeld-Plus-Gesetz als "wesentlichen Baustein" lobt, "um auch mittlere Einkommensschichten zu entlasten".
Zahlreiche Änderungsvorschläge von Verbänden
In Einzelnen aber machten Vertreter von Verbänden, Ländern und Kommunen im Vorfeld der Bundestagsdebatte zahlreiche Änderungsvorschläge. Der GdW beispielsweise forderte genauso wie der Deutsche Caritasverband, die Höhe des Wohngelds nicht nur alle zwei Jahre, sondern jährlich anzupassen. Die Caritas sprach sich für die Einführung einer zusätzlichen Strompreiskomponente aus. Der Deutsche Städtetag sowie der Deutsche Städte- und Gemeindebund kritisierten den neuen Paragrafen 26a, der die vorläufige Zahlung des Wohngelds erlaubt. Sie warnen, dass sich der Arbeitsaufwand wegen möglicher Rückforderungen noch zu erhöhen drohe.
Die Bundesregierung sollte endlich die Ursachen der hohen Wohnkosten anpacken, meint die Linken-Politikerin Caren Lay.
Bundestag bringt mit Wohngeld und Co. viele Entlastungen auf den Weg.
Für Verwunderung sorgt zudem die neu vorgenommene Zuteilung der Kommunen zu den sieben Mietenstufen - I für Gemeinden mit niedrigen Mieten, VII für Kommunen mit sehr hohen Mieten. Die Universitätsstadt Münster etwa ist neu der gleichen Mietenstufe IV zugeordnet wie das deutlich weniger prosperierende sächsische Pirna. Dabei ist allerdings zu beachten, dass für diese Zuordnung nicht die Mietspiegel der Gemeinden und auch nicht die am Markt geforderten Mieten ausschlaggebend sind, sondern nur die Mieten, die Wohngeldempfänger bezahlen.
Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und Mieterinteressen haben eine über das Wohngeld-Plus-Gesetz hinausreichende Forderung: Die Reform sei zwar zu begrüßen, sagt etwa Melanie Weber-Moritz, die Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbundes. Sie könne aber mietrechtliche und wohnungspolitische Maßnahmen nicht ersetzen, weshalb ein befristeter Mietenstopp dringend nötig sei.