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Rettungsschuss des Rechtsstaats

VERFASSUNGSGERICHT Karlsruhe stellt hohe Anforderungen an ein Parteiverbot. Bislang traf es nur KPD und SRP

29.04.2013
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4 Min

In einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik ist es nicht leicht, eine politische Partei zu verbieten. Das gilt auch für die rechtsextreme NPD. Denn politische Parteien haben in Deutschland per se eine hohe verfassungsrechtliche Stellung als unverzichtbares Element der Demokratie. Mit einem Verbot aber verschwindet die betroffene Partei von der Bildfläche - zumindest nach dem Willen des Gesetzgebers. Sie wird regelrecht pulverisiert, "aufgelöst".

Stellt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer Partei fest, ist damit "die Auflösung der Partei" und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu schaffen, verbunden. So steht es in Paragraph 46 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG). Das Gericht kann dann zudem anordnen, dass das Vermögen der Partei eingezogen wird.

Schärfste Waffe

Vereine können auch von Bund und Ländern verboten werden. Die Zwangsauflösung einer Partei aber ist allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Das Verbot einer Partei ist damit die schärfste Waffe des Rechtsstaats. Seine antragsberechtigten Verfassungsorgane Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat müssen es sich deshalb genau überlegen, wann sie zu dieser juristischen Waffe greifen.

Ein Polizist darf nur dann einen "finalen Rettungsschuss" abfeuern, wenn er damit eine Lebensgefahr für ein bedrohtes Opfer abwehren kann. Ebenso darf der Rechtsstaat zum Parteiverbot nur als äußerstem Mittel greifen - als ultima ratio. Denn die politischen Parteien gelten als "notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung", wie es in Paragraph 1 des Parteiengesetzes heißt. Sie wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit und erfüllen somit eine "öffentliche Aufgabe".

Die Hürden für ein Verbot sind deshalb hoch: Nach Artikel 21 des Grundgesetzes können Parteien verboten werden, "die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden".

"Sterbende Partei"

Ist die NPD mit ihren nicht einmal 6.000 Mitgliedern derzeit wirklich so gefährlich? Skeptiker verweisen darauf, dass die rechtsextreme Partei finanziell am Abgrund steht, intern zerstritten ist und selbst ums Überleben kämpft. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht die NPD als "sterbende Partei". Und seine Kabinettskollegin, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). verweist auf den niedrigen Stimmenanteil der NPD bei Wahlen.

Seit Gründung der Bundesrepublik hat das Bundesverfassungsgericht erst zwei Parteien verboten: die rechtsextreme "Sozialistische Reichspartei" (SRP) im Jahr 1952 und die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) im Jahr 1956.

Dabei entwickelte das höchste deutsche Gericht Grundlinien der Rechtsprechung: Demnach ist eine Partei nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt. "Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen", urteilten die Verfassungsrichter beim KPD-Verbot.

"Planmäßige Hetze"

Verlautbarungen der KPD ließen "nur eine Deutung zu: Sie sind Ausdruck einer planmäßigen Hetze, die auf die Herabsetzung und Verächtlichmachung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik abzielt", hieß es im Urteil. Die kommunistische Partei trete für die "Errichtung einer Diktatur des Proletariats" ein.

Die SRP wiederum lehnte sich offen an die NSDAP an. Das Verfassungsgericht befand, die SRP missachte als politische Partei "die wesentlichen Menschenrechte" wie etwa die Menschenwürde und sei "in ihrem Programm, ihrer Vorstellungswelt und ihrem Gesamtstil der früheren NSDAP wesensverwandt".

Maßstäbe weiterentwickeln

In diesem Sinne könnte das Verfassungsgericht auch bei einem NPD-Verbotsverfahren seine Maßstäbe weiterentwickeln. Denn "das Bild einer staatsgefährdenden Umsturzpartei passt heute nicht mehr", gab der Frankfurter Staatsrechtler Günter Frankenberg im November 2012 vor der Justizpressekonferenz Karlsruhe zu Bedenken. Frankenberg vertrat den Bundestag im ersten NPD-Verbotsverfahren.

Bei einem neuen NPD-Verbotsverfahren wäre aber auch klar, dass für ein Parteiverbot einzelne Taten oder Reden von Mitgliedern nicht ausreichen. Der Partei selbst müsste ein gezieltes, gemeinsames Agieren mit rechtsextremistischen Gewalttätern nachgewiesen werden. Es müsste belegt werden, dass die NPD als offen rassistische Partei Menschenrechte systematisch missachtet, Andersdenkende drangsaliert und antisemitisch agiert. Lokale ausländerfeindliche Aktionen wie die Errichtung "national befreiter Zonen" oder Gewaltakte von rechtsradikalen "Freien Kameradschaften" müssten letztlich der NPD zugerechnet werden können. Und zwar so, dass im vorgelegten Material keine durch V-Leute "vergifteten" Beweise im Spiel sind - wie im gescheiterten ersten NPD-Verbotsverfahren von 2003. Damals rügte das Gericht in seinem Beschluss zur Verfahrenseinstellung, die staatlichen Stellen müssten rechtzeitig vor Eingang eines Verbotsantrags "ihre Quellen in den Vorständen einer politischen Partei ,abgeschaltet' haben".

Nach dem Eingang eines Verbotsantrags wäre das weitere Verfahren in zwei Phasen gegliedert. Im Vorverfahren gäbe das Bundesverfassungsgericht dem Vorstand der NPD Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen innerhalb einer von den Richtern gesetzten Frist zu äußern. Hier wäre vermutlich mit mehreren Monaten zu rechnen. Dann beschließt das Gericht, "ob der Antrag als unzulässig oder als nicht hinreichend begründet zurückzuweisen oder ob die Verhandlung durchzuführen ist" (Paragraph 45 BVerfGG). Dies wäre dann das Hauptverfahren.

Über ein Parteiverbot würde dann der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle entscheiden. Bis das Urteil vorliegt, könnten allerdings mehrere Jahre vergehen. Das Verfahren zum Verbot der KPD zog sich fast fünf Jahre lang hin. Denn in einem Parteiverbotsverfahren geht es nicht nur um Rechtsfragen. Das Verfassungsgericht ist hier auch "Tatsacheninstanz" und hat bei der Beweisaufnahme ähnliche Befugnisse wie ein Richter im Strafprozess.

Acht Richter

Bei einem neuen NPD-Verbotsverfahren wäre nicht einer der sieben Richter von 2003 mehr dabei. Winfried Hassemer, Siegfried Broß, Lerke Osterloh, Bertold Sommer, Hans-Joachim Jentsch, Udo di Fabio und Rudolf Mellinghoff - sie alle sind inzwischen nicht mehr als Bundesverfassungsrichter tätig. Zuständig wären jetzt neben Voßkuhle die sieben Richter Peter Huber, Gertrude Lübbe-Wolff, Michael Gerhardt, Herbert Landau, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf sowie Peter Müller, der frühere Ministerpräsident des Saarlandes.

Bei allem politischen Druck von außen ist klar: Auch die heutigen Hüter des Grundgesetzes in Karlsruhe - denen die NPD wohl so widerwärtig sein dürfte wie allen Demokraten - werden sich die juristische Entscheidung über ein Parteiverbot nicht leicht machen.