Kurz notiert
Ein Zukunftsprogramm für die Menschheit wollen Google-Chef Eric Schmidt und Jared Cohen, Leiter von Google Ideas, anstoßen. Darunter macht es der globale Internetkonzern nicht. Die Rechnung sieht so aus: Heute sind mehr als zwei Milliarden Menschen online, im Jahr 2025 werden es vermutlich acht Milliarden sein. Angesichts dieser Zahlen werde es zu einer "kulturellen Revolution" kommen, prophezeien die Autoren. Die neue virtuelle Welt werde die physische Welt massiv beeinflussen. In Zukunft würden die Nationen in beiden Welten Innen- und Außenpolitik betreiben - mit durchaus widersprüchlichen Ergebnissen. Während in der realen Welt Frieden herrsche, lieferten sie sich in der virtuellen Cyberkriege. Diktaturen wiederum würden es ihren Bürgern einerseits erlauben, sich im Netz unzensiert zu äußern, während sie in der realen Welt freie Wahlen verhindern und Proteste niederprügeln würden.
Das Autoren-Duo sieht einen Menschen offenbar nur dann als vollwertig an, wenn er im virtuellen Raum präsent ist: "Wir sind, was wir tweeten", lautet ihre Botschaft. Das wertvollste Gut des Bürgers sei seine Identität, diese komme aber nur in den virtuellen Medien zur vollen Entfaltung. Grenzenlos ist Schmidts und Cohens Bewunderung für soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Skype und Google+. In leuchtenden Farben skizzieren sie die Möglichkeiten des "Cloud Computing" vor dem Hintergrund von totaler Vernetzung und einer allumfassenden Speicherung persönlicher Daten. Das Thema Datenschutz ist ihnen nur ein paar Nebensätze wert.
Doch wer kontrolliert die Betreiber der gepriesenen Clouds? Anstatt sich hierzu zu äußern, kritisieren Schmidt und Cohen lieber Enthüllungsplattformen wie WikiLeaks oder Verschlüsselungsprojekte. Deren selbsterklärtes Ziel sei zwar mehr Datenschutz, tatsächlich würden sie aber Terrorgruppen wie Al Qaida in die Hände arbeiten. Zudem bestünde die Gefahr, dass CIA-Agenten enttarnt werden. Eine ehe peinliche Argumentation für die selbst ernannten Visionäre.
Die Vernetzung der Welt. Ein Blick in unsere Zukunft.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013; 441 S., 24,95 €
"Cypherpunk" bedeutet frei übersetzt: "Verschlüsselungsrebellen des Cyberspace". Sie kämpfen für ein freies Internet und sind treue Unterstützer von Julian Assange, dem Betreiber der Plattform WikiLeaks. Der "Feind Nummer Eins" der USA prophezeite früh, dass sich das Internet in den "gefährlichsten Wegbegleiter des Totalitarismus" verwandeln werde. Aus seinem Londoner Hausarrest diskutierte Assange jetzt mit drei bekannten Hackern und Aktivisten über die Gefahren, die sich aus der Kommerzialisierung des Netzes für die demokratischen Gesellschaften ergeben.
Jérémie Zimmermann, Mitbegründer der europäischen Organisation "La Quadrature du Net", erzählt etwa, wie die ACTA-Gesetzesvorlage im Europäischen Parlament scheiterte. Der frühere Sprecher des Berliner Chaos Computer Clubs, Andy Müller-Maguhn, fürchtet, dass die demokratischen Staaten Europas durch die neuen Technologien dazu verleitet würden, ohne richterliche Genehmigungen sensible Daten zu speichern. Er kritisiert, Händler dürften an Diktaturen Überwachungsausrüstung liefern, aber keine Verschlüsselungstechnologien an die Opposition.
Kinderpornografie, Terrorismus, Geldwäsche und der Kampf gegen Drogen seien "die vier Reiter der Infokalypse". Sie dienten als Vorwand, um das freie Internet zu kontrollieren, meint Jacob Appelbaum, Aktivist des TOR-Verschlüsselungsprojektes. Er beklagt, dass US-Marines und CIA junge Hacker als "Cyberkrieger", nicht etwa "Cyberverteidiger", anwerben würden. Gravierender sei, dass der US-Geheimdienst NSA nicht davor zurückschrecke, sämtliche Daten der Telefongesellschaft AT&T abzufangen.
Vernichtend fällt die Kritik der Hacker in Bezug auf die Geschäftsmodelle und Praktiken von Google und Facebook aus. Vor allem Facebook habe "die Überwachung demokratisiert": Anstatt die privaten Daten zu schützen, erhielten die US-Geheimdienste freien Zugang. Nicht umsonst heiße der Facebook-Kunde intern "target" (Ziel).
Der interessanten und spannenden Diskussion wünscht man viele Leser.
Cypherpunks. Unsere Freiheit und die Zukunft des Internets.
Campus Verlag, Frankfurt/M. 2013; 137 S., 16,99 €