Ein Stück Demokratie im Gericht
SCHÖFFEN Ehrenamtliche Richter sind in Deutschland neben den Berufsrichtern an der Urteilsfindung beteiligt. Sie stehen für das Grundgesetz-Prinzip der…
Schöffen sind Richter ohne Robe. Doch obwohl sie "nur" ehrenamtlich tätig sind, haben sie in Strafprozessen das gleiche Stimmrecht bei der Urteilsfindung wie die Berufsrichter. Ein Jurastudium brauchen die Laienrichter nicht. Dafür kommen sie aus den unterschiedlichsten Berufen. Geschätzt werden ihre Unabhängigkeit und ihr gesunder Menschenverstand.
"Wir brauchen gestandene Leute mit Rückgrat, die ihre Meinung auch mal gegen den scheinbaren Sachverstand eines Berufsrichters durchsetzen können", sagt Hasso Lieber, Vorsitzender des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter. Der Bundesverband vertritt die Interessen der Schöffen in Deutschland. "Schöffen haben eine gewisse Kontrollfunktion", erklärt Lieber. Sie brächten schon allein durch ihre Anwesenheit die Berufsrichter dazu, ihre juristischen Wertungen verständlich auszudrücken. "Denn was die Schöffen nicht verstehen, versteht der Angeklagte erst recht nicht", betont er. Das sieht die Exekutive ähnlich: Durch die Beteiligung von Bürgern an der Strafjustiz werde der "lebensnahe Sachverstand von Laien bei der Rechtsfindung" gesichert, betont Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). So werde konkret, dass Urteile "Im Namen des Volkes" gesprochen werden, erläutert er im "Leitfaden für Schöffen".
Rund 60.000 Schöffen sind derzeit in der deutschen Strafgerichtsbarkeit tätig, weitere 40.000 ehrenamtliche Richter bei Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- oder Finanzgerichten. Schöffe kann jeder Deutsche werden, der bei Antritt dieses Ehrenamts mindestens 25 und höchstens 69 Jahre ist. Egal ob jemand Architekt, Gärtner, Müllfahrer, Arbeitsloser, Rentner, Lehrer oder Ingenieur ist.
Für fünf Jahre gewählt
Die Schöffen für die Amts- und Landgerichte werden bundesweit in einem Schwung für die Dauer von fünf Jahren gewählt. Genau das ist derzeit im Gange. Seit Frühjahr 2013 wurden in allen Bundesländern bereits Bewerber für die Amtsperiode von 2014 bis 2018 rekrutiert. Teilweise war von einem "Bewerbermangel" die Rede. Und den gab es tatsächlich in bestimmten Bezirken von Großstädten wie Augsburg, Düsseldorf, Hamburg oder Berlin, wie Hasso Lieber weiß. Hintergrund: Die örtlichen Gemeinden müssen laut Gesetz für die Wahl der Schöffen Vorschlagslisten erstellen, die doppelt so viele Kandidaten enthalten müssen, wie die Zahl der erforderlichen Schöffen beträgt. Daraus wählt dann ein Ausschuss beim Amtsgericht die benötigte Zahl der Schöffen. Doch die Realität sieht mancherorts anders aus: "Berlin hat 6.000 Schöffen, also müssten Sie mindestens 12.000 Bewerber finden", umreißt Lieber das Problem. Doch diese sehr hohe Zahl werde aus freiwilligen Bewerbungen in der Hauptstadt nicht erreicht.
Die Konsequenz: Haben Kommunen nicht genug Bewerber, wenden sie einen "Trick" an, der dem Schöffenverband ein Dorn im Auge ist: Die Gemeinden greifen dann auf das Einwohnermelderegister zurück und suchen daraus per Zufall Kandidaten aus. Dabei kann es jeden treffen.
Das widerfuhr zum Beispiel Michael Jahn aus München. "Ich hatte mich nicht beworben und kam vor fünf Jahren über diesen Zufallsgenerator' hinein", erzählt er. "Ich hatte vorher nicht gedacht, dass man mehr oder weniger zwangsverpflichtet werden kann." Ablehnen können nur Ärzte, Hebammen oder Krankenpfleger. Doch Jahn, ein selbständiger Ingenieur, hat Geschmack an dem Ehrenamt gefunden und sich nun für die neue Periode beworben. Denn es sei schon wichtig, dass nicht nur "Paragrafenreiter" auf einen Angeklagten losgelassen würden.
Mit dem Einsatz von ehrenamtlichen Richtern wird das Demokratieprinzip umgesetzt, das im Grundgesetz in Artikel 20 verankert ist. Dort heißt es: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Und die rechtsprechende Gewalt ist laut Artikel 92 des Grundgesetzes allen Richtern "anvertraut".
Auch wenn manche Schöffen still auf der Richterbank sitzen: Ihre Stunde schlägt meist im Beratungszimmer. Sie sind in Rechten und Pflichten den "Richterprofis" gleichgestellt, die als Befähigung zu diesem Beruf immerhin zwei juristische Staatsexamina vorweisen müssen. Schöffen entscheiden gleichberechtigt über Schuld oder Unschuld, Strafe oder Freispruch für einen Angeklagten.
Und beim Amtsgericht, wo ein Berufsrichter im Strafprozess zwei Schöffen an seiner Seite hat, können die Laien theoretisch sogar den Profi überstimmen. Meist einigen sich zwar alle drei über das Strafmaß, aber es gibt Ausnahmen: "In einer Verhandlung hätte ich den Angeklagten gerne freigesprochen", berichtet Schöffe Michael Jahn, "aber da hat mein Mitschöffe nicht mitgezogen." Der habe den ganzen Strafprozess eher passiv über sich ergehen lassen und sich dann der Meinung des Berufsrichters angeschlossen.
Die Vorsitzende des bayerischen Landesverbands der Schöffen, Brigitte Stein, ermutigt hingegen die Ehrenamtlichen: "Wir sind sehr interessiert an Schöffen, die nicht nur abnicken." Und Bundesvorsitzender Lieber betont: "Schöffen sind die unabhängigsten Menschen in den Gerichten." Wo es "Seilschaften" oder kollegiale Abhängigkeiten der Berufsjuristen gebe, berühre dies Schöffen nicht.
Heute muss jeder Schöffe in seiner ersten Sitzung den "Schöffeneid" leisten. Dabei schwört er, "nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen". Schöffe kann nicht werden, wer wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt ist. Bestimmte Berufsgruppen dürfen nicht als Schöffen herangezogen werden: Berufsrichter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Polizisten oder auch Pfarrer.
Erfindung des Mittelalters
Das Schöffenamt ist keine Erfindung der modernen Demokratie. Heutige Schöffinnen und Schöffen stehen in einer jahrhundertealten Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Damals waren es meist Bauern, die dem Schultheiß bei der Rechtsfindung halfen. Das Wort "Schöffe" stammt vom Althochdeutschen "sceffino" (gestalten, anordnen).
Schöffe zu sein, erfordert zeitliche Opfer: Zu bis zu zwölf Fällen pro Geschäftsjahr kann ein Schöffe herangezogen werden. Wer unentschuldigt fehlt, dem droht ein Ordnungsgeld bis 1.000 Euro. Hinzuverdienen kann man als Schöffe nicht: Pro Stunde gibt es bislang lediglich fünf Euro Aufwandsentschädigung plus Erstattung des Verdienstausfalls.
Schöffen müssen zwar für die Zeit ihrer Amtstätigkeit von der Arbeit freigestellt werden. Doch nicht wenige Arbeitgeber machen "ihren" Schöffen das Leben schwer. Als problematisch wird dabei die neueste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts gesehen. Demnach sei es bei gleitender Arbeitszeit in einem Betrieb "zulässig, nur die Kernzeit als entschuldigt auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben und dem Schöffen zuzumuten, die in die Gleitzeit fallende Abwesenheit nachzuarbeiten", kritisiert Lieber. Auch sein thüringischer Verbandskollege Andreas Höhne sieht diese Entwicklung mit großer Sorge: "Irgendwann haben wir als Schöffen nur noch Arbeitslose und Rentner."