Abzug und Einzug
AUSWÄRTIGES Die Zukunft Afghanistans und ein europäischer Sitz im UN-Sicherheitsrat stehen im Fokus
Selten drängt sich die Außen- und Verteidigungspolitik so sehr als Wahlkampfthema auf, wie das im Jahre 2002 der Fall war. Nicht wenige Beobachter meinten damals, die klare Absage der rot-grünen Bundesregierung an eine Teilnahme am Irak-Krieg habe ihr entscheidende Stimmen für die Wiederwahl gebracht. In diesem Jahr halten sich die Parteien bei einem anderem Großkonflikt - dem Bürgerkrieg in Syrien - zumindest im Wahlkampf eher zurück.
Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt, dass sich die im Bundestag vertretenen Parteien in außen- und sicherheitspolitischen Fragen häufig näher stehen, als bei manchem innenpolitischen Thema. Das spiegelt sich zum Beispiel auch in der Zustimmung zu den Auslandsmandaten der Bundeswehr, die in der vergangenen Legislaturperiode überwiegend von einer breiten Mehrheit im Bundestag getragen worden sind. Ausnahme ist die Linke, die sich gegen jeglichen Bundeswehreinsatz im Ausland wendet und auf eine konsequente Abrüstung drängt.
Abzug aus Afghanistan
Ein Thema in den Programmen ist der anstehende Truppenabzug aus Afghanistan. So zeigt sich die Union in ihrem Programm überzeugt, dass die Anstrengungen der internationalen Verbündeten, die Sicherheitslage in Afghanistan zu verbessern und stabile Strukturen aufzubauen, Früchte tragen. Die Bundeswehr werde sich ab 2015 vorrangig für die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte einsetzen. Die Sozialdemokraten betonen, dass sie bereits frühzeitig eine Exit-Strategie für Afghanistan eingefordert hätten. Man wolle den Prozess des Übergangs von der ISAF (International Security Assistance Force) zu einer neuen Mission in Afghanistan mit dem Schwerpunkt Ausbildung "aktiv begleiten". Die Union findet zudem, dass die Bundeswehr auch weiterhin öffentlich wahrnehmbar bleiben müsse. Dazu gehörten öffentliche Gelöbnisse und Appelle von Soldaten, die in den Auslandseinsatz gingen oder von dort zurückkämen.
Die FDP wiederum hebt in ihrem Wahlprogramm hervor, auch nach dem vollständigen Abzug deutscher Kampftruppen aus dem Land werde man Afghanistan "nicht im Stich lassen". Die Linke schreibt: "Keine Soldaten, keine Waffen, kein Geld für die Kriege dieser Welt." Sie fordert den "sofortigen, vollständigen und bedingungslosen Abzug der Bundeswehr" aus Afghanistan. Und die Grünen betonen, dass es ein Aufnahmeprogramm in Deutschland für die afghanischen Ortskräfte geben müsse, die nach dem Abzug gefährdet sein könnten.
Die Sozialdemokraten legen in ihrem Regierungsprogramm Wert auf die Feststellung, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sei, die in europäischen und transatlantischen Sicherheitsstrukturen integriert ist. Eine Aufweichung des Parlamentsvorbehalts, lehnt die SPD ab. Auch Bündnis 90/Die Grünen finden, dass der Parlamentsvorbehalt sich bewährt habe. Er müsse jedoch insbesondere bei der Kontrolle von geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen gestärkt werden. Und die Liberalen drängen darauf, dass vor Beginn des Einsatzes in Krisengebieten die politischen Ziele und Zeitlinien sowie eine Exit-Strategie "klar" formuliert sein müssten.
Einig sind sich die Parteien auch in der Frage einer Reform des UN-Sicherheitsrates: Ziel müsse sein, dass ein ständiger Sitz der EU-Mitgliedsstaaten eingerichtet werde, fordern zum Beispiel Union, FDP und die Grünen.
Die Union geht aber weiter: "Auf dem Weg dorthin ist Deutschland bereit, mit der Übernahme eines ständigen Sicherheitsratssitzes mehr Verantwortung zu übernehmen." Eine Weiterentwicklung des Völkerrechts trägt nach Ansicht der Union im Übrigen dazu bei, dass die Vereinten Nationen einen "wirksameren Beitrag zur weltweiten Durchsetzung von Freiheit und Menschenrechten leisten".
Die SPD ist gleichfalls für eine "notwendige Reform und Stärkung des Sicherheitsrates der UN". Man unterstütze die diesbezüglichen Anstrengungen "hin zu einer leistungsstarken und effizienten Organisation". Die Linke lehnt - ebenso wie die Grünen - einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat ab. Die Linke fordert stattdessen, die Legitimität des Sicherheitsrates zu erhöhen - mit einer stärkeren Repräsentanz afrikanischer, lateinamerikanischer und südasiatischer Staaten.
Der Umgang mit Waffenexporten war in dieser Wahlperiode mehrfach Thema heftiger Debatten im Bundestag. Bei CDU und CSU heißt es dazu, dass eine leistungsfähige wehrtechnische Industrie sicherheitspolitisch und wirtschaftspolitisch"unverzichtbar" sei. Gleichzeitig halte man an den "geltenden strengen Richtlinien für die Ausfuhr von Rüstungsgütern fest". Die Union kündigt zudem an, sich für eine Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU einzusetzen.
Parlamentarische Kontrolle
Die Sozialdemokraten schreiben: "Wir wollen zurück zu den restriktiven Exportrichtlinien der rot-grünen Regierungszeit. Rüstungsexporte in Krisengebiete und in Länder, in denen die Menschenrechte missachtet und verletzt werden, lehnen wir ab." Stattdessen fordert die SPD die Errichtung eines beim Bundestag zu schaffenden parlamentarischen Gremiums. So könne bei "zentralen Waffenexportentscheidungen" die Bundesregierung kontrolliert und zeitnah Transparenz gegenüber Parlament und Öffentlichkeit hergestellt werden. Eine mögliche Weitergabe aus Deutschland exportierter Waffen an Dritte sei "wirksam zu kontrollieren" und Verstöße dagegen "streng zu sanktionieren". Ähnliches fordern die Grünen: "Klare Kriterien" seien erforderlich. Die Partei plant im Fall einer Regierungsbeteiligung ein neues Gesetz. Restriktiver argumentiert die Linke, die ein generelles Verbot von Rüstungsexporten und auch der Rüstungsproduktion fordert.
Nachbarschaft
Unterschiede bestehen unter den Parteien auch im Umgang mit Russland: Die CDU/CSU strebt nach eigenen Worten ein "gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu Russland" an. Dazu werde man unter anderem ein neues Partnerschaftabkommen zwischen der EU und Moskau aushandeln sowie eine Verstärkung der Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik auf den Weg bringen. Breite und Tiefe der Beziehungen würden davon abhängen, inwieweit Russland seine Verpflichtungen zur Einhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Standards erfülle. Die SPD steht für eine Politik, die wirtschaftliche Kooperation, politischen und gesellschaftlichen Dialog in einer "umfassenden Modernisierungspartnerschaft" verbindet. Man strebe zudem "im wechselseitigen Interesse" Fortschritte in der Visaliberalisierung an. Die FDP beobachtet "mit Sorge" eine Einschränkung von Bürgerrechten durch Regierung oder Justiz in Russland. Die Liberalen machen deutlich, dass ihr Blick auf die strategischen Chancen der Zusammenarbeit mit Russland ausgerichtet sei. Dies bedeute keinen Widerspruch zu "einem offenen und mitunter auch kritischen Dialog".
Die Linke wiederum möchte Russland in ein "kollektives Verteidigungssystem" einbinden, das die Nato ablösen und Abrüstung zum Ziel haben soll. Eine stärkere Einbindung Russlands und die Ausrichtung der Nato auf eine stärker multilaterale Sicherheitsarchitektur fordern die Grünen. Union und FDP sprechen hier mit ihrem klaren Bekenntnis zur Nato eine andere Sprache. Für die Liberalen bleibt das Bündnis "stärkster Anker unserer gemeinsamen Sicherheitspolitik". Und für die Union bleibe die zentrale Verpflichtung des Bündnisses die gemeinsame Verteidigung der Mitglieder - auch wenn Einsätze zur Sicherung von Frieden, Freiheit und Stabilität den Schwerpunkt der aktuellen Aufgaben bilden würden. Die SPD setzt mit ihrer Forderung zur "Europäisierung der Streitkräfte im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsplanung" und verstärkter europäischer Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen weiteren Akzent.
Hilfe zur Selbsthilfe
In der Entwicklungspolitik plädieren CDU und CSU für das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe". Damit könnten Deutschlands Partner Verantwortung für die "wirkungsvolle Gestaltung" des eigenen Landes übernehmen. Die Union betont, dass man sich auf Schlüsselbereiche nachhaltiger Entwicklung und Bekämpfung der Armut konzentriere. Zentral sei, was in den Partnerländern nachgefragt werde und was Deutschland an Sachverstand einbringen könne.
Die Sozialdemokraten kündigen an, man wolle zukünftig die Zusammenarbeit verstärkt auf die ärmsten Entwicklungsländer sowie fragile Staaten und Regionen konzentrieren. An dem Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben, halten alle Parteien grundsätzlich fest. Die SPD wirft der Bundesregierung in diesem Zusammenhang vor, sie habe dieses Ziel vernachlässigt. Die SPD wolle deshalb eine Milliarde Euro zusätzlich für Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen und dafür auch Mittel aus der Finanztransaktionssteuer nutzen. Die Grünen fordern schon ab nächstem Jahr 1,2 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit. Stärker noch als die Grünen kritisiert Die Linke die bestehenden EU-Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern. Die FDP betont, das Engagement der deutschen Wirtschaft sei eine Chance für die Kooperationsländer. Diese Zusammenarbeit werde man weiter ausbauen.