SYRIEN-MISSION : Allianz zur Selbstverteidigung
Rechtsexperten halten den Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten für verfassungskonform
Ein bedrohlicher Feind schweißt Länder manchmal schnell zusammen: Die Bundesregierung begreift den Syrien-Einsatz der Bundeswehr als Beitrag Deutschlands zur "kollektiven Selbstverteidigung". Anders könne man der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nicht begegnen. Die radikal-islamischen Terroristen bedrohten nicht nur Syrien und den Irak, sondern "den Weltfrieden", heißt es zur Begründung des am vergangenen Freitag vom Bundestag beschlossenen Einsatzes deutscher Soldaten in Syrien.
Doch bewegt sich die Regierung damit rechtlich auf sicherem Boden? Nicht ganz, meint der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart. Er hält den Syrien-Einsatz zwar für "verfassungsrechtlich vertretbar". Die Rechtslage sei aber "nicht eindeutig". Anders der Göttinger Völkerrechtler Frank Schorkopf. Er meint, der Bundeswehreinsatz in Syrien könne "sowohl völkerrechtlich als auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden". Beide Juristen äußerten sich auf Anfrage von "Das Parlament". Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, auf das sich in der Debatte am Mittwoch auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) berief, kommt zum selben Befund wie Schorkopf.
Laut Bundesregierung erfolgt die Mission auf Grundlage der UN-Charta, des EU-Vertrages von Lissabon und mehrerer Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Ziel sei die "Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den IS". Konkret beruft sich die Regierung auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Danach können Staaten im Rahmen des "kollektiven Selbstverteidigungsrechts" mit militärischen Mitteln gegen andere Staaten vorgehen. In Artikel 51 heißt es wörtlich: "Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat."
Doch wie sind die Terroranschläge von Paris einzustufen? Die Frage sei, betont Degenhardt, "ob ein bewaffneter Angriff eines Staates auf einen anderen Staat vorliegt". Terroristische Angriffe, etwa von Al-Qaida, seien bislang nicht als staatliche, sondern als "nicht-staatliche Handlungen" eingestuft worden. Der IS betrachte sich jedoch selbst als Staat. Er bestehe nicht nur aus einzelnen Gruppen, sondern herrsche über ein Gebiet. "Der IS übt faktisch staatliche Befugnisse aus", urteilt Degenhardt. Er verfüge über eine eigene Verwaltung und "Justiz".
Nach Ansicht von Frank Schorkopf hat die völkerrechtliche Entwicklung der vergangenen 15 Jahre gezeigt, dass ein "bewaffneter Angriff" auch vorliegen könne, "wenn ein Staat von nicht-staatlichen Akteuren gewaltsam, mit erheblicher organisierter Gewalt angegriffen wird". Mit dem IS existiere "ein nichtstaatlicher Akteur, der zu entsprechenden Gewaltmaßnahmen in der Lage ist". Dazu komme, dass der IS von syrischem Territorium aus agiere und der syrische Staat nicht willens oder in der Lage sei, solche Angriffe zu verhindern. In derartigen Fällen könne sich "ein angegriffener Staat auf dem fremden Territorium auch ohne Einladung gegen den Angriff verteidigen", betont Schorkopf.
Dass die Bundesregierung ohne ein ausdrückliches Mandat des UN-Sicherheitsrats handelt, hält der Göttinger Professor für unbedenklich: "Das Selbstverteidigungsrecht ist ein natürliches Recht der Staaten, das grundsätzlich keiner Autorisierung durch den Sicherheitsrat bedarf." Es sei bislang rechtlich nicht geklärt, ob ein Auslandseinsatz der Bundeswehr stets eines zusätzlichen Mandats durch ein "System kollektiver Sicherheit im Sinne des Grundgesetzes" bedürfe.
Damit verweist Schorkopf auf Artikel 24, Absatz 2 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen." Das Bundesverfassungsgericht urteilte zudem, Artikel 24 biete auch die Grundlage "für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden". Mit diesen Worten billigte das Karlsruher Gericht am 12. Juli 1994 grundsätzlich Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebiets ("Out of area"). Die Richter machten klar, dass sie nicht nur die Vereinten Nationen, sondern auch die Nato als ein solches Sicherheits-System ansehen. Auf dieser Rechtsprechung basierte auch der Einsatz deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan im Jahr 2007. Damals sollten die Piloten der Luftwaffe für die Nato geheime Stellungen der Taliban-Kämpfer aufspüren. Gegen den IS kämpft nun eine breite Allianz, der schon mehr als 60 Staaten angehören.
Nach den Angriffen des IS auf Paris am 13. November 2015 hat sich erstmals ein EU-Mitgliedstaat - nämlich Frankreich - auf die im EU-Vertrag verankerte "Beistandsklausel" berufen. Alle EU-Mitgliedstaaten haben Frankreich daraufhin ihre Solidarität und ihren Beistand zugesichert.
Der Völkerrechtler Schorkopf sagt, Frankreich habe diese Klausel in Artikel 42 des EU-Vertrages "zur Überraschung vieler Beobachter" dem Artikel 5 des Nato-Vertrages ("Bündnisfall") vorgezogen, um Beistand einzufordern. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht den Gehalt der EU-Vertragsnorm bislang eher "zurückhaltend interpretiert". Im Lissabon-Urteil von 2009 habe das Gericht offengelassen, ob die Beistandsklausel überhaupt "eine Bindungswirkung hat". Die Mitgliedstaaten hätten "ein Ermessen", ob sie dem antragstellenden Mitgliedstaat mit militärischen Mitteln zur Seite stünden.
Wörtlich heißt es in Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrages: "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen." Weiter heißt es, die Zusammenarbeit in diesem Bereich bleibe "im Einklang" mit den im Nato-Vertrag eingegangenen Verpflichtungen. Und diese lauten in Artikel 5 Nato-Vertrag: "Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen (...) der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet (...)."
Klagemöglichkeiten Eine Klage der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht halten beide Rechtsexperten nicht für aussichtsreich. Theoretisch könnte die Verfassungsmäßigkeit des Syrien-Einsatzes zwar durch ein Normenkontrollverfahren überprüft werden. Nach Schorkopfs Einschätzung wäre eine abstrakte Normenkontrollklage der Linksfraktion aber unzulässig, weil die Mitglieder der Fraktion nicht ein Viertel der Mitglieder des Bundestages ausmachen. "Selbst wenn die Grünen-Fraktion hinzukäme, wäre das Quorum nicht erreicht", betont Schorkopf.
Bliebe noch das Organstreitverfahren. Doch mit einer Organklage könnte die Linksfraktion nur geltend machen, dass der Bundestag oder die Fraktion selbst in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt werde. Da die Regierung das Parlament jedoch "nicht umgangen" habe, sagt Degenhart, sehe er hier keine Aussicht auf Erfolg. Er stellt klar: "Es gibt keine Klagemöglichkeit einer im Bundestag bei einer Abstimmung unterlegenen Minderheitsfraktion gegen einen Mehrheitsbeschluss."
Der Autor arbeitet als rechtspolitischer Korrespondent in Karlsruhe.