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Klaus Theweleit : »Sie funktionieren anders«

23.12.2019
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7 Min

Sein zweibändiges Werk »Männerphantasien« über die psychologische, sexuelle und soziopolitische Vorgeschichte des Nationalsozialismus gilt als Klassiker der Gewalt- und Männerforschung. Nun ist eine Neuauflage erschienen



Herr Theweleit, Sie sind 1942 geboren, waren also 35 Jahre alt, als der erste Band der "Männerphantasien" 1977 herauskam. Nach über vier Jahrzehnten ist nun eine Neuauflage erschienen. Überrascht Sie die anhaltende Wirkung Ihrer Recherchen?

Nein. Das Verfahren des "Tötens aus Lust", das ich am Beispiel als spezifisch männliches beschreibe, hat ja nicht nachgelassen. Es nimmt eher zu in der heutigen Welt, jeden Tag gibt es frische Belege.

Was war Ihr Forschungsansatz?

Es gab damals eine Menge Arbeiten zum deutschen Faschismus, die ideologiekritisch ausgerichtet waren. Sie wollten den Nationalsozialisten und ihren Vorläufern in erster Linie so etwas wie fundamentale Dummheit beweisen. "Blut und Boden"-Zeugs lächerlich zu machen, ist allerdings sehr einfach. Es führt keineswegs zu irgendwelchen Einsichten dazu, wie diese "blöden Nazis mit ihrem Oberdummkopf Hitler" es geschafft hatten, so viel Macht und Attraktion zu entwickeln, dass sie beinahe ganz Europa militärisch-terroristisch in die Tasche steckten. Ich wollte dagegen ein Buch schreiben, in dem man über tatsächliche Nazis tatsächlich etwas erfährt. Das geht nur, indem man erstmal zur Kenntnis nimmt, was sie überhaupt sagten beziehungsweise sagen. Das Verfahren, das ich dabei anwandte, wurde später unter dem Terminus "Close Reading" bekannt: Genau hinsehen, genau hineinhören ins "Material", genau recherchieren und nicht zu allem sofort eine Meinung haben. Mit Meinungen entdeckt man nichts.

Sie haben mit dem Thema promoviert, "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein lobte Ihr Buch in einer seitenlangen Besprechung. Sie galten aber auch als eigenwilliger Geist, eine Hochschulkarriere ergab sich zunächst nicht. Die Universität Freiburg wollte Sie nicht mal ein Proseminar abhalten lassen. Warum gab es diese Widerstände? Wegen des "lässigen" und "unakademischen" Stils, wie Sie im aktuellen Nachwort schreiben?

"Man" - und es waren in der Tat Professoren-Männer - wollte mich am Deutschen Seminar der Uni Freiburg nicht, weil diese mich zu gut kannten und fürchteten - als Aktivisten des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, der sie oft genug in ihren Lehrveranstaltungen attackiert und auch bloßgestellt hatte. Und der sollte nun unter die Kollegenschaft? Bewahre!

1998 wurden Sie doch noch Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Was hatte sich geändert?

Erstens waren das andere Menschen, eben Künstler - was Philologen in der Regel nicht sind. Zweitens hatte ich denen nichts getan. Im Gegenteil, meine folgenden Bücher hatten sich mit Produktionsweisen der Kunstherstellung befasst. Besonders mit dem Umstand, wie eine bestimmte Sorte Künstler, die ich unter "Orpheische Produktion" zusammenfasste, die Körperlichkeit ihrer Frauen in ihre Werke "einarbeitet". Und dies nicht nur am Beispiel literarischer, sondern auch bildender oder musischer Künstler: Andy Warhol, Elvis Presley. Das fanden Leute aus der Karlsruher Akademie interessant und fragten, ob ich Interesse an einer Professur bei Ihnen hätte. Aus der Vertretung, die ich zunächst zusagte, wurde dann eine feste Stelle. Ein weiterer Grund für mich war der Kontakt zu den Kunststudenten, ich lerne immer gern von Jüngeren.

Wie andere frühe Männerautoren waren Sie stark von der Psychoanalyse geprägt. Im Kern stützen sich die "Männerphantasien" auf persönliche Dokumente der Freikorps: Deutsche Soldaten, die 1918 enttäuscht aus dem Ersten Weltkrieg zurückkamen und später eine verlässliche Stütze der Nationalsozialisten bildeten. Auf insgesamt 1.150 Seiten legen Briefe, Biografien und literarische Spuren die sexuell aufgeladenen, gewalttätigen Phantasien dieser Männer offen.

Psychoanalyse, das muss man präzisieren. Mit den Freudschen Begriffen wie Ich, Es und Über-Ich kommt man bei diesen Männern nicht weit. Sie funktionieren anders. Einen Zugang zu ihren Gefühlen, die sie selber breit darlegen in ihren Schriften, bekam ich über Weiterentwicklungen der Forschung, die in der Psychoanalyse über Kleinkinder und Adoleszente gemacht wurde - überwiegend von Frauen, von Melanie Klein, Margaret Mahler und anderen. Dort erscheint der Begriff des "Fragmentkörpers"; psychische Mechanismen wie "Entdifferenzierung" und "Entlebendigung" tauchen auf und der Terminus "Erhaltungsmechanismen" für eigene Gewaltaktionen. Im Innern der meisten Gewalttäter herrschen diffuse Ängste. Mit diesen Termini kam ich in Berührung über meine Frau, die seit 1970 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Freiburg als klinische Psychologin angestellt war. Ich stellte erstaunt fest, dass viele dieser neuen Begriffe die "zerstörte Körperlichkeit" der Figur, die ich dann den "soldatischen Mann" nannte, sehr viel genauer verständlich und damit beschreibbar machten als alles, was aus traditioneller Psychoanalyse und aus der Politikwissenschaft gekommen war.

Für die Neuauflage des Buches haben Sie ein ausführliches Nachwort geschrieben. Welche Aktualität haben Ihre Erkenntnisse?

2015 gab es ja schon eine Art Erweiterungsband der "Männerphantasien": "Das Lachen der Täter", in dem ich auf Anders Breivik eingehe, auf mordende Soldaten und Kindersoldaten in Zentralafrika, auf den Massenmord an angeblichen Kommunisten in Indonesien Mitte der 1960er Jahre, auf die deutsche SS, auf Gewalttäter des sogenannten "Islamischen Staates" und auf viele weitere. Solche fortlaufende Aktualität bestimmter männlicher Gewalthandlungen weltweit stützte die Erkenntnisse von "Männerphantasien". Das neue Nachwort jetzt bezieht jüngste Fälle mit ein, vom Attentäter im Münchner Olympia-Einkaufszentrum über die amerikanischen Altright-Killer bis zum neuseeländischen Massenmörder Brenton Tarrant. Der Mörder von Halle, der vorhatte, in der Synagoge ein Massaker anzurichten, ist noch nicht drin. An Aktualität herrscht leider kein Mangel.

Sie diagnostizieren eine Unfähigkeit zu menschlichen Beziehungen, ein aggressionsgeladenes "Inneres" und einen durch Drill ausgeformten "Körperpanzer". Ist Männlichkeit per se gefährlich, destruktiv oder gar "toxisch", wie eine provokante Mode-Diagnose lautet?

Bestimmte Sorten "Männlichkeit" sind per se gefährlich. Diese Gefährlichkeit wird aber erworben: Körper werden zugerichtet und, wenn sie keine mildernde Hilfe erfahren, zu lebenden Bomben. "Toxisch" klingt dagegen so, als wäre dies eine Eigenschaft, die Männerkörper von Geburt an mitbringen. "Toxisch" ist ein Kampfbegriff, vergleichbar der Formel "kulturmarxistisch-feministisch verseucht" oder "versifft", die Anders Breivik und andere für Sozialdemokratinnen, Grüne oder Linke verwenden.

Die Forschung über die Ursachen männlicher Aggression ist immer noch lückenhaft. Erst recht gilt das für die Gewalt, die Männer nicht als Täter ausüben, sondern als Opfer selbst erfahren. Einzelne Wissenschaftler haben darüber geschrieben, stoßen aber bei Anträgen auf finanzielle Unterstützung oft auf Widerstand. Das Thema ist ein geschlechterpolitisches Minenfeld und ein Eingangstor für selbsternannte "Männerrechtler". Was halten Sie von den sogenannten Maskulinisten?

Ich kenne diese Leute kaum. Dass es eine Tendenz unter "Männerrechtlern" gibt, alle Schuld für angebliche oder wirkliche Benachteiligungen, die sie im Leben erfahren, Frauen zuzuschieben, ist mir bekannt. Mordlust geht daraus noch nicht hervor. Insofern sehe ich hier kein "geschlechterpolitisches Minenfeld". Denn im tatsächlichen Minenfeld kann nicht mehr geredet werden.

Frauen gehören im Denken der Männer, die Sie beschreiben, prinzipiell "nach unten", werden abgewertet oder gar gehasst. Die Forderung nach politischer Gleichstellung der Geschlechter kann in diesem Weltbild nur verstören. Ist Anti-Feminismus stets klar dem rechtem Spektrum zuzuordnen?

Der Typus, den ich beschreibe - und zwar aus seinen eigenen Äußerungen heraus - erträgt alle Verhältnisse um ihn herum nur, wenn sie hierarchisch angeordnet sind. Darin gehören Frauen notwendig "nach unten"; zumindest weiter nach unten, als er selbst sich einordnet. Der Gedanke, dass es fundamentale Gleichheit geben könnte unter Menschen, bedroht ihn körperlich; "bringt ihn um". Und so muss er sich wehren. Nazis handeln immer aus notwendiger "Gegenwehr". Was sie bedroht, muss getötet werden; die Welt muss so angeordnet sein, dass alle wissen, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist: unter ihnen. Das nennen sie die "natürliche Ordnung" der Dinge. Diese Haltung kann auch in anderen als dem rechten Spektrum gefunden werden. Dort aber ist sie ein Strukturmerkmal, das nie fehlt.

Deutlich mehr Männer als Frauen wählen die AfD, auch in der Neonazi-Szene sind sie überdurchschnittlich vertreten. Sind rechte Bewegungen ein Männerphänomen?

Der Begriff "Rechte Bewegungen" differenziert nicht genug. Es gibt viele Frauen überall auf der Welt, die eher zur politischen Rechten neigen: Sie bezeichnen sich als "konservativ", wählen rechte Parteien und organisieren sich in Tea Parties oder ähnlichem. Es gibt Untersuchungen unter streng muslimischen Frauen, die belegen, dass etliche von ihnen der familiären, sexuellen und rechtlichen Unterordnung, die sie in ihren manndominierten Gesellschaften erfahren, im Prinzip zustimmen. Doch sie sind damit noch keine rechte Bewegung, sind nicht notwendig gewalttätig. Rechte Bewegungen, die man so nennen kann, gehen immer auf Auslöschung des Gegners aus. Der wirkliche Rechtsextremismus beginnt für mich da, wo der Tötungswille das Handeln oder Reden bestimmt. Das ist der Point of no Return. Wie dieser Tötungswille jeweils begründet wird, ist ziemlich egal: Breivik mordet als "Christ", die IS-Leute für "Allah", die Nazis im Auftrag "höherer Rasse", die Altrights, um dem "Genozid an den Weißen" vorzubeugen und so weiter. Begründungen sind beliebig aus dem Hut zu zaubern, sind aufklebbare Ideologien. Faschismus ist aber keine Ideologie, Faschismus ist eine Art und Weise, die Realität herzustellen. Eine zerstörerische Art, die man argumentierend nicht widerlegen kann.

Ein wichtiger Impuls für Ihre Arbeit war die vor 40 Jahren nicht sehr weit reichende Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Die Rolle der Wehrmacht, der "ganz normalen Soldaten", wurde damals kaum diskutiert. Sind die Psychogramme der deutschen Freikorps denn übertragbar auf das Militär allgemein? Hatten zum Beispiel auch die Angehörigen des amerikanischen Militärs oder der Roten Armee "Männerphantasien"?

Etliche von ihnen, ja, sicher. Im Falle der US-Marines hat Stanley Kubrick das gezeigt mit dem Film "Full Metal Jacket". Dessen erster Teil ist wie eine Verfilmung von "Männerphantasien".



Das Gespräch führte Thomas Gesterkamp.