Bundestag soll kleiner werden : Reform im Trippelschritt
Die Koalition setzt ihren Kompromiss zur Begrenzung der Bundestagsgröße durch. Harte Kritik der Opposition.
Um 66 ist die Zahl der Abgeordneten bei der Bundestagswahl zurückgegangen - im Jahr 2002. Damals sank die Zahl der Sitze im Hohen Haus in Folge der 1995 beschlossenen Verkleinerung des Parlaments von 669 auf 603, nämlich auf die gesetzlich fixierte Sollgröße von 598 plus fünf Überhangmandaten.
Letztere entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt als ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Seit der Wahl 2013 werden diese Überhangmandate daher durch sogenannte Ausgleichmandate für die anderen Parteien kompensiert. Damals kamen zu vier Überhang- noch 29 Ausgleichsmandate; vier Jahre später, 2017, waren es 46 Überhang- und 65 Ausgleichsmandate - zusätzlich zu den 598, die zur Hälfte mit der Erststimme direkt in den 299 Wahlkreisen vergeben werden und zur Hälfte über die Zweitstimme für eine Partei.
Damit sitzen aktuell 709 Volksvertreter im Bundestag, und ein noch stärkerer Anstieg bei der nächsten Wahl ist alles andere als ausgeschlossen. Kein Wunder also, dass das Parlament seit Jahren um eine erneute Reform des Wahlrechts zur Begrenzung der Abgeordnetenzahl ringt,
Weniger Wahlkreise ab 2024
Zumindest einen ersten Reformschritt beschloss der Bundestag nun vergangene Woche gegen die Stimmen aller vier Oppositionsfraktionen: 362 von 651 Abgeordneten votierten für den entsprechenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU- und SPD (19/22504), während Vorlagen der AfD (19/22894) sowie von FDP, Linken und Grünen (19/14672) zur Änderung des Bundeswahlgesetzes keine Mehrheit fanden.
Damit soll nun künftig zur "Verminderung der Bundestagsvergrößerung" mit dem "Ausgleich von Überhangmandaten erst nach dem dritten Überhangmandat begonnen" und ein weiterer Aufwuchs "auch durch Anrechnung von Wahlkreismandaten auf Listenmandate der gleichen Partei in anderen Ländern" vermieden werden. Zugleich soll "weiterhin eine föderal ausgewogene Verteilung der Bundestagsmandate gewährleistet" bleiben.
Ferner sieht der vom Bundestag verabschiedete Koalitionskompromiss vor, die Zahl der Wahlkreise mit Wirkung zum 1. Januar 2024 - also nach der nächsten Bundestagswahl - auf 280 zu reduzieren. Darüber hinaus wird dem Beschluss zufolge "unverzüglich" eine Reformkommission eingesetzt, die sich bis spätestens Mitte 2023 mit Wahlrechtsfragen befasst, auch mit der Dauer der Wahlperiode oder der Frage des Wahlrechts ab 16 Jahren. Die Kommission soll zudem "Maßnahmen empfehlen, um eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern auf den Kandidatenlisten und im Bundestag zu erreichen" (siehe Beitrag unten).
Die AfD zielte mit ihrem Gesetzentwurf darauf, die Abgeordnetenzahl regelmäßig auf 598 zu begrenzen. Dazu sollten mit der Erststimme nicht mehr unmittelbar Abgeordnete, sondern "qualifizierte Wahlkreiskandidaten" gewählt werden. Erringen diese Kandidaten einer Partei mehr Sitze als dieser laut Zweitstimmenergebnis zustehen, sollten ihnen in der Reihenfolge ihrer prozentualen Stimmergebnisse Mandate "bis zur Erreichung der Sitzzahl zugeteilt werden, die der betreffenden Partei nach dem Zweitstimmenergebnis zusteht". FDP, Linke und Grüne sahen dagegen in ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf unter anderem vor, die Zahl der Wahlkreise auf 250 zu verringern und die Gesamtsitzzahl auf 630 zu erhöhen, um so die Zahl der Überhang- und Ausgleichmandate zu reduzieren.
Kritik am Reformwillen der Großen Koalition
In der Debatte ließ die Opposition kein gutes Haar an dem Koalitionsmodell. Albrecht Glaser (AfD) sprach mit Blick auf eine Experten-Anhörung zu der Koalitionsvorlage von einem "Totalverriss einer Gesetzesnovelle". Drei Jahre lang hätten die Regierungsparteien "erfolgreich jede Reform verhindert", und ihr "jetzt zusammengenageltes Stückwerk" sei keine Reform.
Konstantin Kuhle (FDP) nannte das Koalitionsmodell einen "absoluten Schuss in den Ofen" und ungeeignet, auf das "Problem eines XXL-Bundestages zu antworten". Alle Experten hätten in der Anhörung bestätigt, "dass das Ganze objektiv nicht dazu führt, dass der nächste Deutsche Bundestag kleiner wird".
Friedrich Straetmanns (Linke) sagte, bei allen Sachverständigen habe Einigkeit bestanden, dass der Koalitionsentwurf "absolut sein Ziel verfehlt". Nach diesem "Wahlrechtsreförmchen und mit der Zahlengrundlage aller aktuellen Umfragen" werde der Bundestag auf mehr als 800 Abgeordnete wachsen.
Britta Haßelmann (Grüne) wertete die Koalitionsvorlage als "Zumutung", "handwerklich grottenschlecht" und inhaltlich völlig ungeeignet, den Bundestag zu verkleinern. "Es wird keinen Dämpfungseffekt geben", konstatierte sie.
Michael Frieser (CSU) sprach dagegen von einer "moderaten, in zwei Schritten aufgesetzten Reform", die nicht jedem gefallen müsse. Mahmut Özdemir (SPD) räumte ein, dass das Gesetz keinen Schönheitspreis gewinne, aber eine "ehrliche Lösung" sei, weil sie den geringsten Schaden anrichte und "wirksam, verbindlich und verständlich" sei.