Gendergerechte Sprache : Expertenstreit über die geschlechtergerechte Sprache
Der Streit über gendergerechte Sprache fällt heftig aus. Frauen wehren sich gegen einen stereotypen und sexistischen Sprachgebrauch.
In den Tiefen der 1980er Jahre tauchte es plötzlich an Schulen auf und trieb so manchen Deutschlehrer in den Harnisch: Das Binnen-I. In den Bundestag waren gerade erstmals die Grünen eingezogen und deren Abgeordnete wie etwa Waltraud Schoppe waren sich sicher: "Neue Männer braucht das Land!" Und eine nicht sexistische Sprache.
Feministische Sprachkritik war in den 1980ern angesagt. Pünktlich zum Auftakt des neuen Jahrzehnts hatten die Sprachwissenschaftlerinnen Senta Trömel-Plötz, Marlis Hellinger, Ingrid Guentherodt und Luise F. Pusch in einer Fachzeitschrift ihre "Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs" veröffentlich und "geschlechtergerechte Alternativen" präsentiert.
Bis heute gültig: Sprache ist sexistisch, wenn sie Frauen und ihre Leistungen ignoriert
"Sprache ist sexistisch, wenn sie Frauen und ihre Leistungen ignoriert, wenn sie Frauen nur in Abhängigkeit von und Unterordnung zu Männern beschreibt, wenn sie Frauen nur in stereotypen Rollen zeigt und ihnen so über das Stereotyp hinausgehende Interessen und Fähigkeiten abspricht und wenn sie Frauen durch herablassende Sprache demütigt und lächerlich macht", schrieben die vier Wissenschaftlerinnen. Diese Definition hat bis heute Gültigkeit.
Unterschiedliche geschlechtliche und sexuelle Idenditäten: Sie alle wollen gesellschaftlich und sprachlich anerkannt werden.
Im Visier der feministischen Sprachforschung war von Anfang an das generische Maskulinum, an dem sich bis heute die Vorkämpferinnen und Vorkämpfer einer geschlechter- beziehungsweise gendergerechten, -sensiblen oder -inklusiven Sprache stören. Gemeint ist die überwiegende Verwendung des grammatisch männlichen Geschlechts bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen.
Durch die Verwendung des generischen Maskulinums würden "Frauen unsichtbar gemacht", lautet die Kritik. Die herkömmliche sprachwissenschaftliche Lehre, dass das grammatische Geschlecht (Genus) nicht zwangsläufig eine Aussage über das biologische Geschlecht (Sexus) einer Person treffe, sollte keine Gültigkeit mehr besitzen. Die vier Sprachforscherinnen setzten sich denn auch für den konsequenten Gebrauch der Doppelnennung von Männern und Frauen ein.
Mit dem Binnen-I werden ermüdende Doppelnennungen vermieden
Als Erfinder des Binnen-I gilt hingegen der Journalist Christoph Busch, der die Binnenmajuskel erstmals 1981 verwendet haben soll. Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch griff den Vorschlag auf und forcierte ihn. Der Vorteil: Die auf Dauer ermüdenden Doppelnennungen wie "Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen" lassen sich schlicht ersetzen durch "SprachwissenschaftlerInnen".
Auch wenn sich das Binnen-I nie durchsetzen sollte, hinterließ die feministische Sprachkritik trotzdem ihre Spuren. Auch ein konservativer Bundeskanzler wie Helmut Kohl (CDU) kam nicht umhin, sich in seiner jährlichen Neujahrsansprache stets an seine "lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen" zu wenden.
Verfassungsgericht verfügt Eintragung eines dritten Geschlechts
Im November 2017 war es dann das Bundesverfassungsgericht, das das Fenster für die Weiterentwicklung einer geschlechtergerechten Sprache noch einmal weit aufstieß und damit zugleich aber für ein weiteres Problem sorgte. Die Karlsruher Richter entschieden, dass die Eintragung eines dritten Geschlechts neben "männlich" und "weiblich" in das Geburtsregister ermöglicht werden muss. Zur Begründung verwiesen sie auf das im Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht.
Nach der höchstrichtlerlichen Entscheidung, dass es eben auch Menschen gibt, die sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht in das Mann-Frau-Schema einordnen lassen oder nicht einordnen lassen wollen, war aus der Logik "Wer A sagt, muss auch B sagen" klar, dass dies in der Sprache abgebildet werden sollte. Die Diskussion über eine Sprachform, die intersexuelle und transsexuelle, nichtbinäre oder genderfluide Menschen ist aber etliche Jahre älter.
Neue Bezeichnungen wie "trans", "queer" oder "divers"
Während viele Menschen erst einmal googeln mussten, was unter Bezeichnungen wie "trans", "queer" oder "divers" zu verstehen ist, und sich wunderten, wie viele unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten es denn geben soll, setzte sich recht schnell das sogenannte Gendersternchen als Zeichen für all diese Identitäten durch und verdrängte zunehmend den sogenannten "Gendergap", ein Unterstrich zwischen dem Wortstamm und den geschlechtsanzeigenden Suffixen "-er" und "-in".
Aktuell setzt sich zudem in Print- und Online-Medien der Doppelpunkt anstelle des Gendersternchens durch. In der gesprochenen Sprache werden Gendersternchen, Gap und Doppelpunkt durch eine kurze Sprechpause (Glottisschlag) angezeigt. In der "Tagesschau" oder den "heute"-Nachrichten ist dies inzwischen immer öfter zu vernehmen.
Neuerungen werden im Rat für deutsche Rechtschreibung zumindest diskutiert
Bereits 2020 verkündete der Dudenverlag in seinem "Handbuch zur geschlechtergerechten Sprache", dass Binnen-I, Gender-stern, Gendergap und Doppelpunkt "zwar noch nicht Bestandteil der amtlichen Rechtschreibung" seien, "doch sind die drei zuerst genannten als weitverbreitete und legitime Mittel des Strebens nach geschlechtergerechtem schriftlichen Ausdruck durchaus anerkannt und werden auch in den Sitzungen des Rats für deutsche Rechtschreibung zumindest diskutiert." Empfohlen hat der Rechtschreibrat sie bislang aber nicht.
Was sich auf den ersten Blick wie die Geschichte eines natürlichen Sprachwandels liest, hat sich zu einer hochemotionalen Auseinandersetzung in der Gesellschaft entwickelt. Bewusste Eingriffe in die Sprache stoßen meist auf Widerspruch, vor allem wenn sie "von oben" verordnet erscheinen.
Kritiker warnen vor einer "Sprachdiktatur"
Die Rechtschreibreform von 1996 war ein warnendes Beispiel. Von "Sprachdiktatur" sprechen denn auch Kritiker und ziehen Vergleiche zum ideologisch umgeformten "Neusprech" in George Orwells dystopischem Roman "1984". Andere empfinden das "Genderdeutsch" sprachästhetisch schlichtweg als "grässlich".
Für die Befürworter der geschlechtergerechten Sprache zählen vor allem zwei Argumente. Alle Menschen jedweder geschlechtlichen Identität haben das Recht, respektvoll und angemessen in der Sprache benannt zu werden. Und: Der Gebrauch der Sprachform leiste einen Beitrag, die Gleichstellung voranzutreiben. Zum Beispiel, weil junge Frauen sich eher ermutigt fühlten, auch klassische Männerberufe zu ergreifen, wenn nicht immer nur von "Ingenieuren" und "Soldaten" die Rede sei, sondern auch von Ingenieurinnen oder Soldat*innen. Die geschlechtergerechte Sprache spreche alle Menschen gleichermaßen an.
Viele Menschen fühlen sich durch die Sprachregelungen nicht angesprochen
An diesem Punkt sind allerdings Zweifel berechtigt. Angesprochen fühlen sich viele Menschen durch die geschlechtergerechte Sprache eben nicht. Kritiker wenden ein, dass es sich um ein "Elitenprojekt" handle, das vornehmlich an Universitäten, in den Medien oder der Politik betrieben werde. Umfragen scheinen das zu belegen.
Laut einer aktuellen Umfrage von "infratest dimap" lehnen 65 Prozent der Deutschen die Verwendung dieser Sprachform in den Medien und in der Öffentlichkeit ab. Dies seien sogar neun Prozent mehr als im vergangenen Jahr, so die Demoskopen. Am ehesten werde die geschlechtergerechte Sprache noch bei jungen und höher gebildeten Menschen akzeptiert. Auch bei Frauen kommt sie etwas besser an.
Skepsis hält sich auch unter Feministinnen
Nicht so ganz glücklich mit dem Gender-sternchen sind auch Feministinnen der Binnen-I-Generation wie Luise F. Pusch. Intersexuelle und Diverse hätten zwar "ein Recht auf sprachliche Sichtbarkeit", schrieb sie unlängst in der "Emma", aber es ginge nicht, dass der Genderstern "das Femininum in drei Teile zerreißt: männlicher Wortstamm, Genderstern, weibliche Endung. Dass wir Frauen in solchen Gebilden mit der Endung abgespeist werden sollen, ist inakzeptabel."
Einwände kommen auch vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband. Dieser verweist darauf, dass gegenderte Formen mit Stern, Unterstrich oder Doppelpunkt von Screenreadern, mit deren Hilfe Computer Onlinetexte vorlesen, nur sehr schwer und je nach Software sehr unterschiedlich verarbeiten. Dies gehe zu lasten der Verständlichkeit.
Auch in der sogenannten Leichten Sprache, die sich an Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Lern- und Leseschwierigkeiten richtet, sind Genderformen mit Stern, Unterstrich, Doppelpunkt oder Binnen-I nicht geeignet. Im Sinne der Barrierefreiheit werden von Behindertenverbänden deshalb entweder die Doppelnennung von Frauen und Männern oder geschlechtsneutrale Formulierungen über substantivierte Partizipien und Adjektive bevorzugt.
Das Bemühen, es allen recht zu machen, führt mitunter zu Sprachakrobatik
Geschlechtsneutrale Formulierungen wiederum stoßen nicht bei allen Feministinnen auf Gegenliebe, die einst angetreten waren, um Frauen mehr Sichtbarkeit in der Sprache zu verleihen. Als sich die bekannte "Harry-Potter"-Autorin Joanne K. Rowling auf Twitter die Formulierung "Menschen, die menstruieren" mit der sarkastischen Bemerkung "Ich bin mir sicher, es gab mal ein Wort für solche Leute" kommentierte, ging einer der berüchtigten digitalen Shitstorms nieder: Rowling sei "transfeindlich", hieß es.
Auf dem Feld der gendergerechten Sprache kann Mann, Frau oder Trans-Person schnell in einen verbalen Fettnapf treten. Und das redliche Bemühen, immer allen gerecht zu werden, führt mitunter zu wahrer Sprachakrobatik: So sprach die Linksfraktion im Bundestag eingedenk solcher Debatten in einem Antrag zur Reform der Paragrafen 218 und 219 von "Menschen, die schwanger werden können, in der überwiegenden Mehrzahl Frauen". Gerechtigkeit war seit jeher ein mühevolles Geschäft. Und nicht immer wird sie erreicht.