Russland unter Putin : Der Staat als Beute
Catherine Belton beschreibt den unerwarteten Aufstieg des früheren KGB-Offiziers Wladimir Putin zum Präsidenten Russlands mit Hilfe alter Seilschaften.
Viel wird dieser Tage gerätselt über die Motive des russischen Präsidenten. Was um alles in der Welt hat Wladimir Putin zu der Annahme bewogen, die Ukrainer würden die russischen Besatzungstruppen mit Blumensträußen empfangen? Wer nach Antworten sucht, die über Küchenpsychologie und Kremlastrologie hinausgehen, wird in Catherine Beltons Buch "Putins Netz" fündig. Der Untertitel: "Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste".
Die Hauptthese: Die Geheimdienstnetzwerke des früheren KGB-Offiziers Putin hätten das Land seit den späten 1990er Jahren nicht nur aus den Händen der Oligarchen entrissen. Vielmehr hätten Teile des KGB bereits vor Ende der Sowjetunion eine Zukunft unter Bedingungen der Marktwirtschaft geplant, mit der Absicht, die eigenen Leute eines Tages wieder an Schaltstellen des russischen Staates zu bringen. "Sie betrachteten sich als auserwählt, die Rückkehr Russlands zu Weltmacht zu bewerkstelligen und glaubten, dass das Wiedererstarken des Staates und ihre eigenes Schicksal - praktischerweise - untrennbar miteinander verbunden seien." KGB-Vertreter hätten sich mit der organisierten Kriminalität und findigen Funktionären, späteren Oligarchen, zusammengetan, um Sowjet- und Parteivermögen auf ausländischen Konten zu verteilen: Eine Kriegskasse für den zu erschaffenden Staatskapitalismus. In einer "etatistischen Kehrtwende" hätten Putin und die seinen dann beschlossen, die Ressourcen des Landes zurückzuholen, und Oligarchen, die sie selbst groß gemacht hatten, in die Schranken zu weisen.
Ein Dompteur zwischen Raubtieren
Die Autorin geht weit in die Biografie Putins zurück, in seine Jahre als KGB-Mann in Dresden, die Zeit als rechte Hand des Bürgermeisters in St. Petersburg bis zum überraschenden Aufstieg an die Spitze Russlands und die sich anschließende Dauerpräsidentschaft. Putin wird nicht als der präsidiale Alleinakteur geschildert, als der er sich so gern gibt. Zuweilen erscheint er wie ein Dompteur zwischen Raubtieren, von den Seinen "gekettet an die Präsidentschaft, sodass er niemals ohne Weiteres abtreten könne".
Für ihre Thesen bietet die frühere "Financial-Times"-Korrespondentin in Moskau die Aussagen eines ganzen Reigens ehemaliger Kremlbeamter, Geheimdienstler und Oligarchen auf. Allerdings, und das ist ein Schwachpunkt, beschränkt sie sich bei aller akribischen Recherche weitgehend auf diese Kreise. Gern hätte man auch den Blick aus der Mitte der russischen Gesellschaft wie überhaupt von jungen Menschen, die gar keinen anderen Mann im Kreml als Putin kennen - und nicht nur von Ehemaligen aus dem "inner circle", die nun im Londoner Exil Groll tragen oder offene Rechnung zu begleichen haben.
Nichtsdestotrotz ist das Buch lesenswert, zum Beispiel dort, wo es die Gedankenwelt von Ex-Geheimdienstlern wie Putin und seines Sicherheitberaters Nikolai Patruschew schildert, die Idée fixe etwa, die westliche Welt könne gar nichts anderes im Sinn haben, als Russland zu spalten. Da "Putins Netz" offenbar glaube, sich im Kampf um das Imperium und um die eigene Selbsterhaltung zu befinden, habe es den westlichen Kurs der Ukraine nicht zulassen können. Die Geheimdienstler mögen von Anfang an den Samen der Revanche für den Untergang der Sowjetunion gesät haben, schreibt Belton. Allerdings seien sie von Anfang an dazu verdammt gewesen, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Catherine Belton:
Putins Netz.
Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste.
HarperCollins,
Hamburg 2022;
605 S., 26,00 €