Gewalt in der Weimarer Republik : Anschlag von Rechtsextremisten auf Außenminister Rathenau
Vor hundert Jahren wurde Walther Rathenau ermordet. In der Weimarer Republik waren Anschläge von Rechtsextremisten auf Politiker nicht selten.
Ein trüber Himmel an diesem Samstagmorgen, dem 24. Juni 1922: denn es hatte in der Nacht ausgiebig geregnet. Trotzdem besteht Walther Rathenau darauf, während der Fahrt von seiner Villa in der Grunewalder Königsallee zum Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße in seinem Wagen mit aufgeklapptem Coupé kutschiert zu werden.
Als der Fahrer in einer Kurve abbremsen muss, wird er von einem bulligen Tourenwagen überholt. In diesem Moment erheben sich in dem anderen Fahrzeug zwei Männer in langen Ledermänteln. Der eine feuert mit einer Maschinenpistole auf Rathenau, der andere wirft eine Handgranate in dessen Auto, wo sie explodiert.
Blut überall, vor der Rückbank brannte es
Der Außenminister wird von acht Kugeln getroffen, sein Unterkiefer zerschlagen, einige Finger abgerissen, der rechte Fuß zertrümmert. "Rathenau hatte keine Chance", so schreibt der Journalist Thomas Hüetlin in seinem Buch über den "24. Juni 1922" und den rechten Terror in Deutschland.
"Es war eine bestialische Szenerie. Blut überall, auch auf dem Boden des Autos. Vor der Rückbank brannte es." Zwar lebte er noch, und eine Krankenschwester, die zufällig des Weges kam, kümmerte sich um den Sterbenden. Aber auf der Rückfahrt zur Villa bemerkte sie, dass Rathenaus Leben erlosch.
Protest gegen den rechten Terror in vielen Städten
Die Attentäter Hermann Fischer und Erwin Kern sowie deren Fahrer Ernst Techow gehörten zur Freikorpsgruppe "Organisation Consul" (OC), die in den 1920er Jahren zahlreiche "Fememorde" beging. Hervorgegangen war der OC-Kreis aus der berüchtigten "Brigade Ehrhardt", ein Zusammenschluss ehemaliger kaiserlicher Offiziere, die als marodierende rechtsterroristische Bande grausige Verbrechen verübte, so beim Ende der Münchner Räterepublik, den Aufständen in Schlesien und beim Kapp-Putsch in Berlin 1920.
Die Nachricht vom Mord verbreitete sich rasch, sie wurde von einem Teil der Bevölkerung schockiert, vom anderen jedoch mit Genugtuung aufgenommen. Allerdings füllten sich bald die Straßen, um gegen den rechten Terror zu protestieren. Allein im Berliner Lustgarten versammelten sich über eine halbe Million Demonstranten, auch in anderen deutschen Städten kam es zu Kundgebungen und Aufmärschen.
Im Reichstag fand eine Sondersitzung statt, bei der Reichskanzler Joseph Wirth, der als Zentrumsmann den liberalen Rathenau (DDP) zum Außenminister gemacht hatte, den Ermordeten als einen "Freund" bezeichnete. Er nannte ihn einen "Diener der Republik" und "Bahnbrecher einer wahren Verständigung der Völker".
Eine Mordhetze bedrohe Deutschland von Königsberg bis Konstanz. Und dann fiel jene Passage, die er in Richtung der Rechten im Parlament schickte, die aber weit darüber hinaus Geschichte machte: "Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind, und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts."
Rathenau betätigte sich auch als Schriftsteller und Naturwissenschaftler
Walther Rathenau zählt zu den auffälligsten Persönlichkeiten jener Jahre, sogar zu einem Abbild seiner Zeit. So nennt der Historiker Lothar Gall seine Rathenau-Biographie zugleich das "Portrait einer Epoche". In ihm vereinigten sich viele Fähigkeiten und Qualitäten.
Das ergibt sich aus den mannigfaltigen Bereichen, mit denen er sich beschäftigte und in denen er sich versuchte. Als Sohn und Erbe des dynamischen AEG-Gründers Emil Rathenau sah er seine Erfüllung nicht nur in der Rolle eines Wirtschaftsführers. Er betätigte sich als Schriftsteller und Literat, Gesellschaftstheoretiker und Naturwissenschaftler, als Kunstmäzen - und eben als Politiker.
Dennoch blieb er bei allem in der Rolle eines "Außenseiters", wie Gall klassifiziert, "eines auf unterschiedlichen Gebieten dilettierenden reichen Mannes, dem man teils wohlwollend, teils skeptisch begegnete."
Es hält sich bis heute die Interpretation, Walther Rathenau habe dem Schriftsteller Robert Musil als Vorbild für seinen erfolgreichen Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" gedient. Gall glaubt, Rathenau habe "ein übergreifendes, Richtung gebendes, seine Kräfte konzentrierendes und leitendes Lebensziel letztlich gefehlt".
In den Augen vieler Deutscher erschien er als Großkapitalist
In den Augen vieler Deutscher erschien er namentlich als Großkapitalist und Jude, an dem sich Diskriminierung und Ablehnung, Hetze und Hass der republikfeindlichen und rechtsextremen Milieus gezielt abladen ließen. "Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!" Dieser Vers wurde ganz ungehemmt in entsprechenden Kreisen intoniert. Der virulente Antisemitismus der Weimarer Republik fand in Rathenau eine adäquate Projektionsfläche.
Doch nicht allein Rathenau geriet damals ins Visier der gewalttätigen Netzwerke der Freikorps und Rechtsterroristen. Im Frühjahr 1919 wurden die beiden Spartakus-Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von Freikorps-Soldaten nach endlosen "Verhören" geradezu massakriert.
Am 20. August 1921 erschossen zwei Angehörige der "Organisation Consul" den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger bei einem Spaziergang im Schwarzwald. Auch der erste Reichskanzler Philipp Scheidemann oder der Publizist Maximilian Harden wurden gefährlich attackiert.
Es sind die Namen prominenter Opfer. Aber insgesamt weist die Statistik für die Jahre 1918 bis 1922, so der Historiker Peter Alter, an die 400 politischen Morde aus. Die Motivation: Entweder erhofften sich die Terroristen von rechts einen Aufstand der Linken, um diesen dann schonungslos niederzuschlagen und damit ein autoritäres Regime zu etablieren. Oder man wollte sich mit solchem rücksichtslosen und vulgären Treiben direkt an die Macht putschen.
Die Weimarer Republik wird auch als Demokratie ohne Demokraten bezeichnet
So wie Adolf Hitler am 8. und 9. November 1923 in München. Da versuchte er als Anführer der noch jungen Nazi-Partei, nach dem Vorbild der italienischen Faschisten, mit einem Marsch auf Berlin die demokratisch legitimierte Reichsregierung zu stürzen. Auch wenn dieser Staatsstreich scheiterte, war es doch ein gefährliches Wetterleuchten. Zehn Jahre später hatten die Nazis ihr Ziel erreicht, sie hielten die Hebel der Macht in der Hand.
Eine Demokratie ohne Demokraten, so ist Weimar immer wieder bezeichnet worden. Aber diese Republik ist auch an ihren inneren Widersprüchen und retardierenden Vorbehalten gescheitert. Und das betrifft ebenso jene, die sichtbar Verantwortung trugen. Beispielsweise die Justiz.
Auf dem rechten Auge blind zu sein: Dies gilt vor allem für viele Richter, die zu zögerlich und äußerst milde mit Verfassungsgegnern und Gewalttätern umgingen. Muss es am Ende vielleicht gleichfalls heißen: eine Demokratie ohne Eigenschaften?
Allerdings fügte es das Datum, dass fast genau zwanzig Jahre nach dem Rathenau-Mord abermals Abertausende in Berlin auf den Plätzen standen und die Straßen säumten. Da allerdings nicht freiwillig, sondern befohlen. Wieder ging es um ein Begräbnis, nämlich für den SS-Granden Reinhard Heydrich, über viele Jahre Chef des Reichssicherheitshauptamtes und zuletzt auch stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren.
Er hatte am 27. Mai 1942 bei einem Attentat tschechischer Untergrundkämpfer in Prag Verletzungen erlitten, an deren Folgen er starb. Als "Racheakt" ordnete die NS-Führung die totale Vernichtung des böhmischen Dorfes Lidice in der Nähe von Prag an.
Reinhard Heydrich war einer der fanatischsten und skrupellosesten Nazi-Funktionäre
Bei der Begräbniszeremonie wurden große Worte bemüht, mit denen Heydrich in den Stand eines "idealen Nationalsozialisten" versetzt werden sollte. SS-Führer Heinrich Himmler gab vor, wie sein Stellvertreter künftig gesehen werden sollte: "Als tapferer Kämpfer, als froher und ernster, niemals zu beugender Geist, als Charakter reinster Prägung, edel, anständig und sauber".
Dabei war Heydrich einer der fanatischsten und skrupellosesten Nazi-Funktionäre. Wo Heydrich agierte, herrschte Gewalt, Verbrechen, Vernichtung, Tod. Das galt besonders gegenüber den Juden.
Als Organisator der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942, zeichnete er verantwortlich für die "Endlösung der Judenfrage", eben dem Holocaust, dem in Europa sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen. Thomas Mann sagte in seinem US-Exil: "Wohin dieser Mordknecht kam, floß das Blut in Strömen. Überall, auch in Deutschland, hieß er schlecht und recht: der Henker."
Wachsende rechte Szene trotz Zergliederung in unterschiedlichen Milieus
Aber gerade am NS-System und der Person Heydrichs lässt sich festmachen, dass frühe und ständige Warnungen vor rechter Gewalt keine lästige Übertreibung darstellen. Halten autoritäre Machthaber die Macht erst in den Händen, ist es bald um Recht, Freiheit und Humanität geschehen.
Auch wenn es heißt, Geschichte wiederhole sich nicht, so ist doch inzwischen eine Metapher wieder zurück: Der Feind steht rechts. Es geht Politikern und Beamten, die in Deutschland die innere Sicherheit beobachten und verantworten, jetzt oft von den Lippen. "Die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie ist weiterhin der Rechtsextremismus", sagte erst kürzlich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Seit Jahren wächst die rechte Szene, auch wenn sie in unterschiedlichen Milieus zergliedert ist. In jüngster Zeit lässt sich beobachten, dass "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", die den bundesdeutschen Rechtsstaat nicht anerkennen, Zustrom finden.
Ihre Zahl beläuft sich nach Angaben des Verfassungsschutzes auf rund 21.000. Hetze, Hass und Terror gehören inzwischen zum Alltag, nicht zuletzt durch weitgehend unkontrollierte "sozialen Medien". Dort verstärken sich antisemitische Narrative und verschwörungsideologische Inhalte.
Rechtsextremes Potenzial wird auf 33.900 Menschen geschätzt
Der jüngste Verfassungsschutzbericht 2021 schätzt das rechtsextreme Potenzial auf 33.900 Menschen. Der gewaltbereite Anteil liegt bei 13.500 Personen. Abseits solcher Zahlen beunruhigt ein neuerlicher Trend, vor allem in Ostdeutschland. Rechtsextreme suchen dort massiv Grundstücke und kaufen Immobilien, als Rückzugsorte, Ausbildungsstätten, Infiltrationspunkte.
Auf diese Weise wird die interne Vernetzung intensiv vorangetrieben. Das Ziel ist klar: Die Anschlussfähigkeit an bürgerlich-demokratische Kreise zu vergrößern, um das liberale System von innen heraus zu schwächen.