Interview zu Jugendsexualität : "Sexting ist per se nichts Verwerfliches"
Pädagogin Larissa Bode wirbt für einen differenzierten Blick auf die Mediennutzung von Jugendlichen und warnt vor zu vielen Verboten.
Frau Bode, wenn Jugendliche Nacktbilder auf dem Handy verschicken, sogenanntes Sexting, das kann per se nichts Gutes sein, oder?
Larissa Bode: Es ist als erstes ganz wichtig, den Begriff Sexting genau zu definieren. Denn im gesellschaftlichen Diskurs werden Begriffe oft vermischt. Wenn von Sexting gesprochen wird, wird der Begriff oft undifferenziert genutzt und mit Begriffen wie Cybergrooming oder Sextortion vermischt. Hinter Sexting, also dem freiwilligen und privaten Versenden von erotischem Material, kann auf jeden Fall auch etwas Gutes stecken. Ich würde mich bei der Definition gerne an die der Wissenschaftlerin Nicola Döring anlehnen. Sie beschreibt Sexting als den privaten und einvernehmlichen Austausch von selbstproduziertem erotischem Material - vor allem Bilder und Videos - sogenannten Sexts, zwischen zwei Personen über digitale Medien. Wichtig dabei ist, dass der Inhalt der Sexts privat ist, einvernehmlich und freiwillig selbst produziert wurde; zudem impliziert er nicht unbedingt Nacktheit. Im Bereich von Jugendlichen ist Sexting rechtlich erlaubt, wenn beide Personen mindestens 14 Jahre und noch nicht 18 Jahre alt sind. Es ist also erst einmal eine Ausdrucksform von Sexualität, also per se nichts Verwerfliches. Sexting kann für Jugendliche einen Beitrag zur Entwicklung der eigenen Sexualität und zur Identitätsbildung leisten.
Aber doch hängt dem Sexting irgendwie ein schmuddeliger, gar gefährlicher Ruf an...
Larissa Bode: Das liegt daran, dass wir es oft nur thematisieren, wenn es "schiefgegangen" ist. Also wenn Sexts unter Jugendlichen unerlaubt weitergeleitet wurden, zum Beispiel in den Klassenchat, und es infolgedessen zu massiven negativen Auswirkungen für die betroffene Person kommt. Außerdem ist es ein Problem, wenn wir aus einer adultistischen Perspektive über das Thema sprechen. Wenn also Erwachsene eine Meinung zu etwas haben und es vielleicht verurteilen, obwohl sie sich nicht wirklich damit auskennen. Damit suggeriere ich den Jugendlichen unter Umständen, dass es grundsätzlich nicht in Ordnung ist, was sie tun. Aber Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf digitale Teilhabe, auch im sexuellen Bereich. Doch sie haben auch ein Recht auf die nötige Medienkompetenz, um sie vor Missbrauch bestmöglich zu schützen - durch ihre eigene Kompetenz und die der Erwachsenen um sie herum.
Was braucht es für diese Medienkompetenz?
Larissa Bode: Man muss genau besprechen: Was ist eigentlich ok, was ist nicht ok, wie ist die gesetzliche Regelung? Es geht darum, zu differenzieren und gemeinsam Grenzen zu setzen. Gleichzeitig muss man Kinder und Jugendliche im Sinne der Kinderrechte befähigen, selbst die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Und wenn es zu einem Missbrauch kommt, dann müssen sie genug Vertrauen in die sie umgebenden Erwachsenen haben, um davon zu erzählen, damit sie Unterstützung bekommen. Sexting sollte als ein Teil der Jugendphase gesehen werden. Als zeitgemäße, wenn auch risikoreiche Antwort auf Entwicklungsaufgaben in der Pubertät. Selbstdarstellung, Flirten, Anerkennung in der Peer Group; all das spielt eine Rolle. Sich nur auf den Schutzaspekt zu konzentrieren, indem alles verboten wird, führt dazu, dass die Kinder und Jugendlichen keine Kompetenz in der Risikoeinschätzung lernen.
Man kann Jugendliche also bestmöglich befähigen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und doch kann man den Missbrauch nicht verhindern. Sei es das Weiterleiten von Bildern im Klassenchat oder Übergriffe durch erwachsene Straftäter.
Larissa Bode: Das stimmt. Dann ist es wichtig, dass erwachsene Ansprechpersonen etabliert sind, denen die Jugendlichen vertrauen. Und es ist sehr wichtig, das Victim Blaming zu vermeiden, also nicht zu vermitteln: "Du bist ja selbst schuld, dass das die Runde gemacht hat, warum machst du auch solche Fotos von dir." Man muss der jungen Person zur Seite stehen und vermitteln, dass das Schlimme nicht ist, dass die Fotos angefertigt worden sind, sondern dass sie unrechtmäßig weitergeleitet wurden.
Was ist mit dem Missbrauch durch Sexualstraftäter? Ist die Teilhabe der Jugendlichen nicht ein Einfallstor für schwere Straftaten?
Larissa Bode: So schwer das ist - Missbrauch wird sich kaum ganz verhindern lassen, das ist ja auch in anderen Bereichen der digitalen Welt so. Die einzige Antwort darauf wäre, die absolute Abstinenz zu fordern. Es ist gut, dass das Sexualstrafrecht dahingehend angepasst wurde, um Täter besser zur Rechenschaft ziehen zu können. Und es ist absolut schlimm, dass es diese Taten gibt, ich möchte das nicht relativieren. Aber ich kritisiere, dass Kindern und Jugendlichen, um so etwas zu verhindern, ihr Recht auf digitale Teilhabe abgesprochen wird. Da bleibt natürlich eine kaum aufzulösende Spannung: Inwiefern sorgen wir für den Schutz von Kindern und Jugendlichen, ohne ihre Möglichkeiten im digitalen Kontext einzuschränken und wo müssen wir bei den technischen Schutzeinstellungen und der Kompetenzförderung nachbessern.
Was wünschen Sie sich bei diesem Thema vom Gesetzgeber?
Larissa Bode: Ich bin der Meinung, das Strafrecht müsste dahingehend angepasst werden, dass weniger schwerwiegende Fälle unter Jugendlichen individuell wegen Geringfügigkeit eingestellt werden können. Momentan fallen Jugendliche auch dann in den Strafrechtsbereich, wenn sie Bilder von Minderjährigen auf dem Handy haben, aber selbst nicht die Schuld daran tragen. Wenn etwa eine Person in einem Messengerdienst ein Bild verschickt und das automatisch heruntergeladen wird, dann habe ich das auf dem Handy, obwohl ich das gar nicht wollte und mache mich wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material strafbar. Es sollte mehr Spielraum geben, das zu bewerten. Außerdem sollte es zu einer einheitlichen gesetzlichen Wertung von sexuellem Verhalten Jugendlicher in digitalen und analogen Lebenswelten kommen.