Evakuierung in Kabul : An der Belastungsgrenze
Im Untersuchungsausschuss berichtet ein Hauptmann der Bundeswehr über die chaotischen Zustände bei der Evakuierung am Kabuler Flughafen.
"Wenn es länger gedauert hätte, hätten es manche Soldaten psychisch nicht mehr aushalten können", sagt der Offizier vor dem Untersuchungsausschuss Afghanistan. Der Hauptmann war einer der Zeugen, der in der Sitzung des Ausschusses am Donnerstag Auskunft über die Evakuierungsoperation der Bundeswehr im August 2021 in Kabul gab. Der Ausschuss untersucht die Ereignisse, die zwischen die Unterzeichnung des von den USA und den Taliban ausgehandelte Doha-Abkommens und die chaotische Evakuierung am Flughafen Kabul fielen.
Erst kurz vor dem Abflug hätten sie das Ziel der Reise erfahren, berichtete der Soldat, "für 72 Stunden", habe es zunächst geheißen. Die Einheit landete in den frühen Morgenstunden des 25. August 2021 am Kabuler Flughafen. Die Evakuierung der US-Amerikaner lief auf vollen Touren. Als die Türen der Bundeswehrmaschine geöffnet wurden, sei ihm als erstes "eine unerträgliche Hitze aufgefallen" berichtete der Zeuge. Das Flughafengelände sei hell erleuchtet gewesen. Dann habe er Gefechtslärm gehört.
Entscheidungen zur Ausreise mit "gesundem Menschenverstand" getroffen
Er habe seine Einheit eine Schleuse einrichten lassen. In den folgenden zehn Tagen hätten er und seine Soldatinnen und Soldaten, in Absprache mit dem deutschen Botschafter Jan Hendrik van Thiel und dem Brigadegeneral Jens Arlt, darüber entschieden, wer nach Deutschland ausgeflogen wird und wer nicht - nach den Kriterien: "Deutsche Staatsbürger, Aufenthaltstitel, Nato-Partner, Mitarbeit in deutschen Organisationen." Wer das Flughafengelände überhaupt betreten durfte, darüber hätten allein die US-Amerikaner nach eigenen Kriterien entschieden. Die Deutschen hätten Personenkontrollen durchgeführt, Papiere kontrolliert und - mangels Vorgaben - "mit gesundem Menschenverstand" festgestellt, ob jemand berechtigt war, nach Deutschland ausgeflogen zu werden. Vor den Toren des Flughafens habe er afghanische Soldaten gesehen, berichtete der Zeuge. 20 Meter weiter hätten die Taliban gestanden. Er habe Leute gesehen, die mit Gewehrkolben auf die Brüste von Kindern geschlagen haben. "Nichts war mit meinen moralischen Vorstellungen vereinbar", sagte er und fügte hinzu, dass es dennoch gelungen sei, mehrere Familien zusammenzuführen.
Er habe Namenslisten bekommen, mit denen er nichts anfangen konnte. Viele Menschen seien ohne ordentliche Dokumente gekommen. Er habe sich viel Zeit genommen und sei unkonventionelle Wege gegangen, um die Identitäten zu prüfen. Die Soldaten hätten alles Mögliche getan, um den Menschen zu helfen.