Abzug aus Afghanistan : Bereit zum Risiko
Die Bundesregierung wollte die Botschaft in Afghanistan halten. Auch weil man weiter habe abschieben wollen, berichtete ein Zeuge im Untersuchungsausschuss.
Der 1. Untersuchungsausschuss (Afghanistan) hat am Donnerstag zwei Diplomaten befragt, die eine entscheidende Rolle in der deutschen Afghanistan-Politik gespielt haben. Die beiden ehemaligen Afghanistan-Sonderbeauftragten Markus Potzel und Jaspar Wieck informierten den Ausschuss über die Interessen Deutschlands in Afghanistan, die Ziele der Bundesregierung und die Gründe ihrer Entscheidungen. Der Ausschuss versucht Licht in die Ereignisse nach dem Abschluss des Doha-Abkommens 2020 zwischen den USA und den Taliban und der chaotischen Evakuierung im August 2021 zu bringen.
Ein Sonderbeauftragter ist "die" Autorität der Region
Vor allem Potzel musste teils unangenehme Fragen beantworten. In vorangegangenen Sitzungen hatten ihn andere Zeugen wegen seiner Äußerungen belastet. Potzel, der bis Juli 2021 als Sonderbeauftragter fungierte, sollte seine Formulierungen über den damaligen deutschen Gesandten in Kabul, Jan van Thiel, erklären. Potzel, wie auch sein direkter Nachfolger Wieck, der Potzel als "die Autorität in dieser Region" bezeichnete, betonten, die Arbeit von van Thiel sei sehr geschätzt und seine Berichte seien bei den Entscheidungen berücksichtigt worden. Doch seine Informationen seien nicht die einzigen gewesen.
Erörtert wurden im Ausschuss auch grundsätzliche Fragen. Je tiefer die Abgeordneten in den Akten graben, desto deutlicher wird, dass die Bundesregierung bereit war, größere Risiken einzugehen als andere Nationen, um nach einem Machtwechsel in Afghanistan zu bleiben. Potzel sagte, Deutschland habe in Afghanistan "vielfältige Interessen" gehabt. Ein Verbleib im Land wäre hilfreich bei der Evakuierung von Staatsbürgern und Ortskräften sowie bei Rückführungen gewesen, außerdem besser für die Terrorismus- und Drogenbekämpfung. Auch um die Entwicklungszusammenarbeit weiterzuführen, wollte man zunächst präsent bleiben. Die Situation in Afghanistan sei in Berlin immer auch mit Blick auf die Innenpolitik betrachtet worden. Das Innenministerium habe ein Interesse daran gehabt, Abschiebungen fortzusetzen, es sei Wahlkampf gewesen.
Es hätte eine Alternative zur Evakuierung gegeben
2009 habe Deutschland Verbindung mit den Taliban aufgenommen, um eine politische Lösung des Konfliktes zu erreichen, sagte Wieck. Dabei sei Vertrauen aufgebaut worden. Aus diesem Grund, so Potzel, hätte die Botschaft nicht unbedingt evakuiert werden müssen. Doch als die USA die Green Zone und ihre Botschaft räumten, habe man Plünderungen durch Kriminelle befürchten müssen. Dass die deutsche Auslandsvertretung durchaus hätte bleiben können, zeige das Beispiel der Türkei, sagte Wieck. Das Nato-Mitglied habe seine Botschaft in Kabul nicht geschlossen. Allerdings hatte die Türkei, anders als die USA und Deutschland, keine militärische Rolle in Afghanistan gespielt.