Afghanistan-Untersuchungsauschuss : Bundesinnenministerium hielt lange an Abschiebeflügen fest
Welche Rolle spielte das Innenministerium während des Truppenabzugs aus Afghanistan? Offenbar hat es bei der Evakuierung der Ortskräfte auf der Bremse gestanden.
Vor der Sommerpause rückt das Bundesinnenministerium (BMI) und dessen Rolle im Rückzugsprozess aus Afghanistan immer mehr in den Fokus des 1. Untersuchungsausschusses. So zeichnet sich durch die Aussagen der Zeugen immer mehr ab, wie sehr das BMI nach dem Beschluss, aus Afghanistan abzuziehen, bestrebt war, seine migrationspolitischen Leitlinien durchzusetzen, trotz der besonderen politischen und militärischen Lage im Land. Das wurde auch am vergangenen Donnerstag deutlich, als ein für Rückführungsflüge verantwortlicher Referatsleiter des BMI vor dem Ausschuss aussagte. Ihm zufolge war die steigende Zahl der zivilen Todesopfer in Afghanistan für das Ministerium kein Grund, einen Abschiebestopp in Erwägung zu ziehen. Er verwies auf Zahlen der Vereinten Nationen, wonach die Zahl der zivilen Todesopfer im ersten Quartal 2021 niedriger gewesen sei als im Jahr 2015.
Deshalb, aber auch auf Grundlage des Asyllageberichtes des Auswärtigen Amtes (AA), habe das BMI an den Abschiebeflügen noch kurz vor dem Fall Kabuls festgehalten. Der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe die Flüge erst am 11. August ausgesetzt - einen Tag, nachdem EU-Botschafter in Kabul mit einem Schreiben diesen Schritt nahegelegt hätten.
Auch beim Thema Ortskräfte scheint das BMI auf der Bremse gestanden zu haben - um "Ausnahmen nicht zur Regel zu machen", wie ein anderer Referatsleiter betonte, der für die Bundespolizei zuständig ist. Man habe auf "ordentliche Verfahren" bestanden und ein "Visa on Arrival", also bei Ankunft in Deutschland, nicht akzeptiert. Der Grund: "Gerade die afghanischen Staatsbürger reisen seit längerer Zeit durch Schlepper unerlaubt ein."
Unklare Zuständigkeiten im Innenministerium
Erneut ging es im Ausschuss um Zuständigkeiten. Durchweg alle bisher vom Untersuchungsausschuss befragten BMI-Mitarbeiter sind Fragen der Abgeordneten ausgewichen, mit der Begründung, das Thema liege nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich. In der jüngsten Sitzung platzte dem Abgeordneten Peter Heidt (FDP) nun der Kragen. Er bat den Zeugen, ihm zu erklären, warum beim BMI niemand für irgendetwas zuständig sei. "Die Themen sind komplex", lautete die kurze Antwort.
Zumindest die Frage, ob es eine politische Linie im Haus gegeben habe, konnte in der Sitzung geklärt werden. So bestätigte der für die Bundespolizei zuständige Referatsleiter, dass ihm "die generelle politische Linie natürlich bekannt" gewesen sei. Schließlich würden die politischen Entscheidungen auch in die Fachebenen transportiert. Auch der Leiter des Referats Rückführungen sagte, es habe eine Vorgabe in Form von Besprechungen gegeben, "die Zahl der Ausreisepflichtigen in Deutschland im Rahmen der Möglichkeiten zu senken".