Abzug aus Afghanistan : Erst perfekt, dann chaotisch
Hochrangige Bundeswehr-Offiziere berichten im Untersuchungsausschuss von Rückverlegung und Evakuierung.
Selbstsicher, offen und emotional - so könnte der Auftritt des Brigadegenerals Ansgar Meyer vor dem Untersuchungsausschuss Afghanistan im Bundestag beschrieben werden. Er hatte im Jahr 2021 den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan organisiert und durchgeführt und stand dem Gremium vergangenen Donnerstag Rede und Antwort.
Den Auftrag habe er persönlich von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhalten, sagt der erfahrene Soldat. Nicht ohne Stolz betont er, "den militärischen Teil des Auftrages" ausgeführt zu haben. Dann fügt er aber hinzu: "Wenige Wochen später sah ich im Fernsehen Saigon. Das war ein Schock für mich."
Zeuge: Umgang mit Ortskräften war noch nicht klar
Aus ihm ist leicht herauszuhören, dass er in seiner Zeit als letzter Kontingentführer des deutschen Kontingents in Afghanistan hauptsächlich mit der Rückverlegung der Bundeswehr beschäftigt war. "Ich bin davon ausgegangen" gibt er zum Protokoll, "dass die Ortskräfte, sobald alles geregelt ist, mit kommerziellen Flügen ausfliegen würden." Daher habe er sich im Juni 2021 gegen einen geplanten Charterflug für 300 Ortskräfte ausgesprochen. Er hätte kurz vor dem endgültigen Abzug des Kontingentes stattfinden sollen, erklärt er, was die Eigensicherung der Truppe gefährdet hätte. Damals sei noch nicht klar gewesen, wie mit den Ortskräften umgegangen werden sollte. Man habe keine falschen Erwartungen wecken wollen.
Rückverlegung der letzten Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan im Juni 2021.
Der Abzug des Kontingents, "eine sehr emotionale Angelegenheit", wie Meyer es nennt, sei ohnehin eine Balanceakt gewesen. Bis der konkrete Abzugsbefehl gekommen sei, habe man nicht gewusst, ob die Truppen tatsächlich abgezogen oder in eine neue Mission eingebunden werden sollten. Außerdem habe die enge Bindung an die Friedensbedingungen die Flexibilität eingeschränkt. Der Abzug sei zwar von langer Hand geplant gewesen. Die Pläne hätten aber immer wieder an die aktuelle Lage angepasst werden müssen.
Dass die nicht einfach war, führte Meyer ebenfalls aus: Täglich seien 120 bis 140 Zwischenfälle im ganzen Land registriert worden, berichtete er. Auch im Norden, wo die deutsche Truppe stationiert war, sei die Lage angespannt gewesen. Die Taliban hätten den Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte erhöht.
Auch Terror der Taliban brach den Widerstand der afghanischen Armee
Als im April 2021 der damalige Außenminister Heiko Maas die Truppe besuchte, sei man davon ausgegangen, dass die afghanische Armee nach dem Abzug der internationalen Truppen gegen die Taliban mittelfristig keine Chance hätte.
Dabei sei die afghanische Armee sehr professionell aufgestellt, die Führungskräfte seien gut ausgebildet und hochmotiviert, vor allem die Spezialkräfte auch im Gefecht sehr effektiv gewesen. Doch die hohen Verluste und die eher "rigorose Führung in unteren Ebenen" hätten die Armee geschwächt. Die Soldaten hätten teilweise ihren Sold nicht bekommen. Die erfolgreiche Propaganda der Taliban und deren Terror hätten den Rest getan.
So seien die Taliban beispielsweise in ein Dorf einmarschiert und hätten die Dorfältesten vor die Wahl gestellt: Entweder sollten sie die Soldaten im nahegelegenen Checkpoint zum Niederlegen ihrer Waffen überreden oder sie würden sowohl alle Soldaten als auch die Dorfältesten töten. In der Regel hätten die Soldaten daraufhin die Waffen niedergelegt. Nur ganz wenige Soldaten seien zu den Taliban übergelaufen. So sei jedoch ein Dominoeffekt entstanden und der Widerstand der Armee unerwartet schnell gebrochen.
Erstellung der Abzugs- und Evakuierungspläne erläutert
Nach dem Brigadegeneral trat der Oberstleutnant auf den Zeugenstand, der Abzug und Evakuierung in Deutschland geplant hat. Der 57-jährige Berufssoldat erklärte den Abgeordneten, wie solche Pläne erstellt werden. Er erhalte nur eine Personenzahl, wisse aber nie, ob es sich um militärisches Personal oder Zivilisten handelt. Es sei aber wichtig, dass die Einsatzkräfte eine Liste bekommen, damit sie die Identität der zu Evakuierenden überprüfen können. Die Vorgaben kämen in der Regel vom Auswärtigen Amt.
Vor Ort hätten die Soldaten die Vorgabe, nur diejenigen zu evakuieren, die auf der Liste stehen und ihre Identität nachweisen können. Auch in Zweifelsfällen könnten die Soldaten nicht davon abweichen. Die Herausforderung in Kabul sei gewesen, dass die Einsatzkräfte nicht wussten, wer evakuiert werden sollte.