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Afghanistan : Gebrochene Versprechen

20 Jahre dauerte der Einsatz in Afghanistan, in dem gleichzeitig gekämpft und das Land aufgebaut wurde. Am Ende scheiterte beides.

08.08.2022
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Wenige Wochen nach Kabuls Fall, im September 2021, beschloss die Nato ihr 20 Jahre langes Engagement in Afghanistan "umfassend zu evaluieren." Bereits im November lag das Ergebnis vor: Die Nato habe in Afghanistan "die immense Stärke der Alliierten demonstriert, wenn sie ein gemeinsames Ziel verfolgen", heißt es in einer öffentlichen Bekanntmachung. Das katastrophale Ende des Einsatzes, hingegen, wird auf die zu weit ausgreifende "Ambition ein stabiles Afghanistan aufzubauen" zurückgeführt. Künftig solle die Allianz ihre Missionen zurückhaltender konzipieren, die politischen und kulturellen Normen vor Ort berücksichtigen.

Nato-Quellen geben ehrlicherweise zu, dass der Bericht keine von allen Alliierten geteilte Meinung wiedergebe. Die Meinungsverschiedenheiten existierten lange vor dem Afghanistan-Krieg. Sie begleiteten jede Phase des Einsatzes, und sie trugen erheblich zu dessen Misserfolg bei. Die USA führten am Hindukusch von Anfang an einen "Krieg gegen den Terror". Das Ziel war die Al-Qaida-Infrastruktur zu zerstören und den Terrorstrippenzieher Osama bin Laden zu eliminieren. Andere Staaten wollten dagegen keinen Krieg führen, sondern einen stabilen Staat in Afghanistan aufbauen, damit das Land am Ende nicht wieder ins Chaos stürze.

Zwei unabhängige Operationen: Kämpfen und aufbauen

Die Beschlüsse der internationalen Gemeinschaft spiegelten diese Differenzen und fanden einen Kompromiss. Nato-Verbündete unterstützten den Kampf der US-Truppen logistisch. Dafür akzeptierte Washington die Stabilisierungsmaßnahmen. So entstanden in Afghanistan nach 2001 zwei unabhängige Operationen und parallele Kommandostrukturen.

Neben kämpfenden Truppen agierte die die Internationale Schutz- und Aufbautruppe Isaf, die zunächst in der Hauptstadt Kabul für Sicherheit sorgen sollte. Bald wurde die Mission auf den Norden und Westen des Landes ausgedehnt, wo bis dahin kaum gekämpft wurde.

Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Anja Niedringhaus

US-Soldat in Südafghanistan: Mehr als zwanzig Jahre lang waren dort Nato-Truppen postiert.

Der erste Zivile Repräsentant der Nato in Afghanistan, Hikmet Çetin, erinnert sich, wie die ständige Suche nach Kompromissen die Einsatzkräfte lähmte. "Nachdem einmal eine politische Entscheidung getroffen ist, muss der Befehlshaber vor Ort freie Hand haben", sagt er rückblickend. Das war am Hindukusch nicht der Fall.

Militärische Komponente immer mehr im Mittelpunkt

Nach 2006 wurde das Isaf-Gebiet schrittweise auf das ganze Land erweitert und die Kommandostrukturen zusammengeführt. Ab diesem Zeitpunkt wurde Isaf, die auch mit dem zivilen Aufbau beauftragt war, ausschließlich US-amerikanischen und britischen Kommandeuren unterstellt, also den Nationen, die auch den Krieg weiterführten. Allmählich änderte sich der Blick der afghanischen Bevölkerung auf die Isaf-Truppen, die nun immer öfter in die Kampfhandlungen eingebunden waren. Die militärische Komponente rückte immer mehr in den Mittelpunkt.

Zwei große Militäroperationen gegen die Taliban in den Jahren 2006 und 2010 scheiterten. Kämpfende Nato-Truppen missachteten oft die lokalen Traditionen und agierten zuweilen auch am Rande des Völkerrechts. Ab 2006 intensivierten sich die Gerüchte, dutzende Gefangene der Nato-Truppen seien spurlos verschwunden. Die Glaubwürdigkeit der Isaf und der kooperierenden afghanischen Politiker sank.


„Mehr Arbeitsplätze und das Land hätte sich anders entwickelt.“
Hikmet Çetin, erster Zivile Repräsentant der Nato in Afghanistan

Dass die Nato ihre politischen und wirtschaftlichen Versprechen nicht einhalten konnte, trug zum Vertrauensverlust bei. Hikmet Çetin ist sich sicher: "Hätte man konsequent in Bildung und Gesundheit investiert und Arbeitsplätze geschaffen, hätte sich das Land ganz anders entwickelt." Aber das Geld floss entweder in die Taschen ausländischer Experten oder korruptionsverdächtiger afghanischer Amtsträger. Philipp Münch von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik zufolge hat "das Ansehen des afghanischen Staats insbesondere durch die vielfach wahrgenommene Korruption und die stets umstrittenen Wahlen" gelitten. Münch weist als Hauptursache des Misserfolgs auf die "Abwesenheit eines gefestigten politischen Zentrums" hin.

Eindruck eines unendlichen und ergebnislosen Einsatzes

Mit der Zeit entstand auch im Westen der Eindruck eines unendlichen und ergebnislosen Einsatzes. In Deutschland rebellierten sogar Mitglieder der regierenden Parteien. So sagte 2007 der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, die Nato sei kein "Bündnis dafür, eine völkerrechtswidrige Strategie der USA zu stützen." Auch Hikmet Çetin kritisiert die Konzentration auf das Militärische. "Sie können den Terror nicht nur mit militärischen Mitteln bekämpfen", sagt er, "niemand suchte eine politische Lösung."


„Die Nato ließ die afghanische Regierung fallen.“
Philipp Münch, Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Washington änderte seine Strategie 2009 mit Barack Obama. Nun wollten die USA schnellstens aus Afghanistan raus. Die Tötung von Bin Laden beschleunigte den Prozess. In Washingtons Augen waren die Kriegsziele erreicht. Zunächst wurde die aktive Isaf-Mission durch die passive "Resolute Support"-Mission ersetzt. Die Nato sollte die afghanische Regierung nur noch beratend unterstützen. Denn Washington hatte inzwischen andere Prioritäten.

Der neue US-Präsident Donald Trump verhandelte kurzerhand einen Friedensvertrag mit den Taliban, ohne die afghanischen Partner zu beteiligen und ohne - so der Verdacht - sich mit den Nato-Partnern zu beraten. Das sei der Wendepunkt gewesen, meint Cetin. Jahrelang betonte die Nato, der Übergangsprozess sei nicht "Kalendergetrieben". Das änderte sich schlagartig. Trumps Nachfolger Joe Biden befahl seinen Truppen den Rückzug. "Die USA und die Nato-Verbündeten ließen die afghanische Regierung fallen", sagt Philipp Münch.