Mehr Zeit für Aufarbeitung : Verlängerung für die Enquete beschlossen
Der Bundestag zieht ein Zwischenfazit zum 20-jährigen Afghanistan-Engagement. Für die weitere Aufarbeitung bekommt die Kommission mehr Zeit.
Die Arbeit der Enquete-Kommission "Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands" wird auch über die parlamentarische Sommerpause 2024 weitergehen. Mit breiter Mehrheit stimmte der Bundestag am Freitag einem entsprechenden Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu. Einzig die Gruppen Die Linke und BSW enthielten sich ihrer Stimme. Ursprünglich war vorgesehen, dass die von Michael Müller (SPD) geleitete Kommission spätestens im Herbst 2024 ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegt. Vor dem Hintergrund der noch bevorstehenden Aufgaben sei dieses Ziel jedoch nicht realisierbar, hieß es in dem Antrag. Die Enquete-Kommission wurde 2022 eingesetzt, um Lehren aus dem deutschen Engagement in Afghanistan 2001 bis 2021 zu ziehen und Handlungsempfehlungen für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik zu geben.
Grüne: Gemeinsames Ziel hat gefehlt
Afghanistan und Deutschland seien durch Jahrzehnte des Austausches miteinander verbunden gewesen, sagte Schahina Gambir (Grüne). Dennoch sei es "nicht gelungen, das daraus entstandene Wissen effektiv zu nutzen. Das hatte gravierende Folgen". Kritische Entwicklungen wie das Erstarken der Taliban seien nicht rechtzeitig erkannt worden. Den Bundesregierungen mit den beteiligten Ministerien habe ein gemeinsames Ziel gefehlt. Das Parlament sei seinem "Kontrollauftrag nicht ausreichend nachgekommen". Es müssten "klare und verantwortliche Kommunikationsstrukturen" geschaffen werden, sagte Gambir.
Aus Sicht von Peter Beyer (CDU) werde die Arbeit der Enquete die Nationale Sicherheitsstrategie ergänzen, dortige Fehlstellen ausformulieren. Viele Erfolge wie die relative Stabilität in Afghanistan und gesellschaftliche Verbesserungen seien durch den Abzug 2021 und durch politische Fehleinschätzungen zunichte gemacht worden, sagte Beyer. Zu den Erkenntnissen der Arbeit der Enquete gehöre aber auch: "Der Einsatz war nicht umsonst."
Vorsitzender: Umfangreicher, teurer und verlustreicher Einsatz
Kein Einsatz in der Geschichte der Bundesrepublik sei umfangreicher, teurer und verlustreicher gewesen, sagte der Vorsitzende des Gremiums, Michael Müller (SPD). "Trotzdem sind Deutschland und seine Partner mit dem Abzug und der erneuten Machtübernahme der Taliban mit den Zielen und Vorstellungen für ein langfristig stabiles Afghanistan strategisch gescheitert." Der deutsche Einsatzbeschluss sei 2001 unter dem Schock der Terroranschläge gefallen, es habe wenig Handlungsspielraum und Vorbereitungszeit gegeben. Für das ambitionierte Ziel eines Staatsaufbaus über die Terrorbekämpfung hinaus habe es an einer langfristigen und realistischen Strategie und an Ressourcen gefehlt. Man habe zudem das Land, seine Entscheidungsstrukturen und lokalen Machtverhältnisse nie richtig verstanden.
Jan Ralf Nolte (AfD), erinnerte daran, dass an dem zwanzig Jahre dauernden Afghanistan-Einsatz 93.000 Bundeswehrsoldaten teilgenommen haben. "59 von ihnen kehrten nicht lebend nach Deutschland zurück. Genau wie drei Bundespolizisten und drei Mitarbeiter deutscher Hilfsorganisationen." Am Schicksal dieser Menschen könne man den "wahren Preis des Afghanistan-Einsatzes ablesen". Es sei "im Kern nicht darum gegangen, die Mandatsziele umzusetzen, sondern den USA seine Treue zu beweisen". Das Ziel eines Staatsumbaus "in einem kulturell ganz fremden Raum" nach westlichem Vorbild sei "ein unrealistischer Ansatz" gewesen.
Vizevorsitzende Serap Güler (CDU) zieht im Interview eine Zwischenbilanz der Arbeit der Enquete-Kommission. In Afghanistan seien unrealistische Ziele gesetzt worden.
Die Enquete-Kommission wertet 20 Jahre Engagement in Afghanistan aus. Ihre Zwischenbilanz spart nicht mit Kritik.
Die Enquete-Kommission gehe nun in den zweiten Teil ihrer Arbeit über, wende sich den Lehren und Schlussfolgerungen zu, erklärte Christian Sauter (FDP). Der Zwischenbericht sei die Grundlage dafür. "Er zeigt die Erfolge des Einsatzes auf, aber auch, dass dieser am Ende mit der Machtübernahme der Taliban deutlich gescheitert ist", sagte er. Eine umfassende politische Strategie, mit realistischen Zielen, sowie dafür ausreichende Mittel, hätten gefehlt. "Das Spannungsfeld von Staatsaufbau und Terrorbekämpfung wurde nicht hinreichend und langfristig betrachtet."