Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes : "Wir ziehen Lehren für die Zukunft"
Vizevorsitzende Serap Güler (CDU) zieht im Interview eine Zwischenbilanz der Arbeit der Enquete-Kommission. In Afghanistan seien unrealistische Ziele gesetzt worden.
#1
Frau Güler, was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse nach der ersten Arbeitsphase der Enquete-Kommission?
Serap Güler: Insgesamt sticht heraus, dass der Konflikt in Afghanistan zu wenig kontextualisiert wurde, es fehlte den deutschen Akteuren an detailliertem Wissen über lokale Konfliktcharakteristiken. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass zu optimistische, unrealistische Ziele gesetzt wurden, vor allem wurde dadurch eine nachhaltige Konfliktbearbeitung, ohne zum Beispiel die unbeabsichtigte Stärkung von korrupten Akteuren, behindert. Spezifisches Wissen zu Konfliktkontexten muss künftig großflächiger erfasst werden sowie Eingang in Strategien und Operationen finden.
#2
Der Afghanistan-Einsatz wurde bereits vielfach analysiert, es gibt eine Fülle an Fachliteratur. Welchen Mehrwert bringt die Arbeit der Enquete?
Serap Güler: Neben der multiperspektivischen Arbeitsweise der Kommission - in der Kombination aus Bundestagsabgeordneten und Sachverständigen - hat das Gremium den Vorteil, dass es nicht einfach aufarbeitet und auswertet, sondern auch vorausschaut. Wir ziehen Lehren für die Zukunft.
#3
Was tun Sie in den sogenannten Cluster-Gruppen?
Serap Güler: Die Kommissionsmitglieder haben sich für die zweite Phase der Arbeit in fünf Cluster-Gruppen zusammengefunden, um Empfehlungen für ein besseres vernetztes Engagement deutscher Kräfte in Krisenkontexten zu entwickeln. Die Gruppen behandeln jeweils verschiedene thematische Aspekte des vernetzen Ansatzes wie zum Beispiel "Wissen, Monitoring und Evaluierung", "Strategie und Auftragsbildung" und "nationale Koordinierung".
Die Enquete-Kommission wertet 20 Jahre Engagement in Afghanistan aus. Ihre Zwischenbilanz spart nicht mit Kritik.
Michael Müller (SPD) leitet die Bundestags-Enquete, die Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz ziehen soll. Erste Ergebnisse helfen schon jetzt in Mali und Irak.
#4
Wie empfinden Sie die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in der Kommission?
Serap Güler: Der deutsche Einsatz in Afghanistan dauerte 20 Jahre und wurde unter der zeitweiligen Regierungsbeteiligung von SPD, Grünen, FDP sowie CDU/CSU geführt. Aufgrund dieser Verantwortung für die Ergebnisse des Einsatzes gebietet sich auch eine gemeinsame und nicht parteipolitisch orientierte Aufarbeitung. Aufgrund dessen wurde die Kommission im Sommer 2022 auch auf einen interfraktionellen Antrag dieser Bundestagsfraktionen eingesetzt. Die Zusammenarbeit ist konstruktiv, sachlich orientiert und offen - so wie es sich für eine gründliche Aufarbeitung gehört.
#5
Wie geht die Arbeit der Enquete-Kommission nun weiter?
Serap Güler: Die zweite Phase der Kommissionsarbeit nimmt Fahrt auf - seit zwei Monaten sind die Cluster-Gruppen aktiv. Bis Ende 2024 soll die inhaltliche Arbeit mit der Entwicklung von Empfehlungen für künftige vernetzte Engagements abgeschlossen sein. Deren Ergebnisse formen dann gemeinsam mit den Ergebnissen des Zwischenberichts den Abschlussbericht der Kommission.