Parlamentspräsidenten : Im Zeichen des Krieges
Bei der G7-Zusammenkunft fordert der Chef der ukrainischen Rada weiter Unterstützung für sein Land.
Unter Polizeischutz fährt die Kolonne auf den Friedrich-Ebert-Platz am Reichstagsgebäude. In einiger Entfernung stehen Passanten an der Absperrung und blicken interessiert auf die schwarzen Autos. Kaum haben diese angehalten, steigt ein knapp zwei Meter großer Mann aus einem der Fahrzeuge: Ruslan Stefantschuk.
Statt Militärkluft, wie bei seinem letzten Besuch, trägt der Präsident der ukrainischen Werchowna Rada heute einen schwarzen Anzug. Herzlich wird er von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas begrüßt, die eine Schleife in den ukrainischen Landesfarben am Kragen ihres Blazers trägt. Die beiden umarmen sich wie alte Bekannte, nennen sich beim Vornamen.
Hauptthema des Treffens ist Russlands Angriff
Anlässlich der G7-Parlamentspräsidentenkonferenz vom 15. bis 17. September 2022 ist Stefantschuk nach Berlin gereist. Zwar gehört sein Land nicht zu den sieben demokratischen Industrienationen, die sich als G7 eine gemeinsame Wertegemeinschaft verstehen, dennoch ist er Gast auf der diesjährigen Konferenz. Schließlich wird sich das Treffen, wie schon der G7-Regierungsgipfel im bayrischen Elmau diesen Sommer, hauptsächlich mit der Ukraine und dem russischen Angriffskrieg befassen.
Vor 47 Jahren trafen sich im Zuge der Öl- und Finanzkrise erstmals die Staats- und Regierungschefs sechs großer Wirtschaftsmächte zu einem Weltwirtschaftsgipfel - der Beginn der späteren G7. Noch heute trifft die Gruppe sich jährlich, um aktuelle globale politische Fragen zu diskutieren und gemeinsame Ziele und Positionen abzustimmen.
Deutschland hat die Präsidentschaft inne
Seit 2000 kommen auch die G7-Parlamentspräsidenten und Sprecher aus Deutschland, Frankreich, Italien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und Japan sowie Großbritannien - das aufgrund des Staatsbegräbnisses von Königin Elizabeth II. aber kurzfristig absagen musste - zum gegenseitigen Austausch und der Stärkung der interparlamentarischen Beziehungen zusammen. Das Europäische Parlament ist seit 2007 als ständiger Gast dabei. Neben dem offiziellen Programm sind besonders die bilateralen Gespräche am Rande der Konferenz wichtig, um die Beziehungen zwischen den teilnehmenden Ländern zu stärken. Da es sich bei der G7 um ein informelles Forum handelt, spielt der Vorsitz eine besondere Rolle. Nach 2015 hat Deutschland dieses Jahr erneut die Präsidentschaft inne.
Bis 2014 zählte auch Russland zu der Gruppe - damals noch G8 genannt. Doch als Reaktion auf die russische Annexion der Krim wurde das Land aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Einerseits Sanktionen, andererseits Hilfe
"Dieser Schritt war zweifelsohne richtig, wenn auch wohl sehr spät", sagt Bas am Freitag in ihrer Eröffnungsansprache. Selbstkritisch fügt sie an, dass Deutschland Putins Bestrebungen trotz einiger Warnzeichen nicht richtig gedeutet habe: "Wir unterlagen zu lange dem Trugschluss, Russland durch wirtschaftliche Verflechtung einbinden zu können".
Man werde weiter auf harte Sanktionen gegenüber Russland setzen und die Ukraine politisch, finanziell und militärisch unterstützen. Der Krieg habe die europäische "Sicherheitsarchitektur" verändert, sein Ausgang sei entscheidend für die Weltpolitik: "Wie viele Autokraten schrecken wir davon ab, mit militärischem Einsatz auf politischen Gewinn zu spielen?", fragt sie in die Runde.
"Ukraine ist Schutzschild für die zivilisierte Welt"
Auch Stefantschuk, der Bas gegenübersitzt, betont, dass die Ukraine nicht nur sich selbst verteidige, sondern Schutzschild für die gesamte zivilisierte Welt sei. Er spricht mit tiefer nachdrücklicher Stimme, untermalt seine Aussagen mit kontrollierten aber entschiedenen Handbewegungen. Damit die Ukraine den Krieg gewinne, müsse vereint, schnell und mutig gehandelt werden. Die Konferenz kann laut Stefantschuk das Signal senden, dass die Größe eines Landes nicht an seiner territorialen Ausdehnung oder militärischer Stärke gemessen werde, sondern daran, wie viel Wert es einem Menschenleben beimesse.
Seit Beginn des Krieges gibt es immer wieder Berichte über mögliche Kriegsverbrechen der russischen Armee. Unter anderem ein Team der Vereinten Nationen sammelt und untersucht entsprechende Beweise. Orte wie Irpin, Isjum oder Butscha erlangten in den vergangenen Monaten traurige Berühmtheit, da dort nach Abzug russischer Truppen die Leichen zahlreicher Zivilisten gefunden wurden.
Fotoausstellung zeigt Folgen des Krieges
Eine Fotoausstellung vor dem Konferenzsaal im Reichstagsgebäude zeugt von den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs, der am 24. Februar 2022 begann. Einige Delegationsmitglieder nutzen die kurzen Kaffeepausen, um sich die Bilder anzuschauen. Zerbombte Gebäude, Menschen die mit Hund und Taschen verängstigt entlang einer zerstörte Brücke gehen und ein Soldat, der in einen Graben Schutz sucht: Momentaufnahmen eines Krieges, festgehalten von dem ukrainischen Fotojournalisten Maks Levin, der die Folgen des Angriffskrieges in der Region um Kiew dokumentierte - bis er am 11. März während eines Einsatzes verschwindet. Am 1. April findet man seine Leiche. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt, laut ukrainischer Staatsanwaltschaft soll er während eines russischen Angriffs von zwei Kugeln getötet worden sein.
USA: Russland muss für Verbrechen sühnen
Russland müsse für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, sagt die Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Bereits am Tag vor der Konferenz traf sie Bas zum bilateralen Gespräch - das erste Aufeinandertreffen der beiden. Die USA hätten bereits Hilfe im Wert von 50 Milliarden Dollar an die Ukraine gezahlt, weitere Unterstützung solle folgen. Im Vergleich zu dem, was das ukrainische Volk durchmache, sei dies nur ein geringer Preis. Das Land müsse diesen Krieg unbedingt gewinnen. "Wir werden so lange weiter machen, bis die Waffen schweigen", sagt sie. Um die Ukraine nach Kriegsende wieder aufzubauen, hat der amerikanische Kongress laut Pelosi beschlossen, dass russische Vermögenswerte beschlagnahmt und eingefroren werden.
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Insgesamt herrscht große Einigkeit bei den G7. Ob Anthony Rota (Kanada), Hiroyuki Hosoda (Japan), Yaël Braun-Pivet (Frankreich) oder Roberto Fico (Italien) - alle bekräftigen die Unterstützung der Ukraine. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola fordert, dass ein Sondergerichtshof eingerichtet werden soll, um Kriegsverbrecher zu verurteilen. Außerdem bekräftigte sie, dass die Türen für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine geöffnet seien. Das Land ist seit dem 23. Juni 2022 EU-Beitrittskandidat.
Obwohl der Zeitplan bei solchen Konferenzen eng getaktet ist, bleibt nach den Reden noch etwas Zeit für einen spontanen Austausch zwischen den Parlamentspräsidenten und Sprechern. Was das ukrainische Parlament denn konkret brauche, fragt die Bundestagspräsidentin. Expertise und Hilfe, um den angestrebten EU-Beitritt voranzutreiben, seien nötig, erwidert Stefantschuk. Später auf der Pressekonferenz wird er auch Luftabwehrsysteme und schwere Waffen fordern, denn die Lage an der Front habe sich in den letzten Tagen stark geändert.