Kürzungen bei Ausgaben für Entwicklung : Im Ressort von Svenja Schulze fehlt fast eine Milliarde Euro
Die notwendigen Einsparungen im Haushalt 2024 treffen die Entwicklungspolitik besonders hart - und entfachen den Streit um den Nutzen der Hilfen neu.
Kaum ein Politikbereich muss in Folge des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Haushalt so viele Federn lassen wie die Entwicklungszusammenarbeit: 400 Millionen Euro strich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) seiner Kollegin Svenja Schulze (SPD) zusätzlich aus dem Etat für 2024. Und das, obwohl schon der Regierungsentwurf für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Vergleich zum Vorjahr deutlich geschrumpft war - um 640 Millionen Euro auf 11,52 Milliarden Euro. Nach den neuerlichen Kürzungen bleiben der Entwicklungsministerin nur noch 11,22 Milliarden Euro - fast eine Milliarde Euro weniger.
NGOs warnen vor Folgen für die Partnerländer
So sinken die Mittel für Krisenbewältigung und den Wiederaufbau von Infrastruktur von 1,24 Milliarden Euro in 2023 auf 1,04 Milliarden Euro. Insgesamt muss die bilaterale staatliche Zusammenarbeit ein Minus von 600 Millionen Euro verkraften. Für viele Projekte und Partner im Ausland eine Hiobsbotschaft, wie Nichtregierungsorganisationen nach dem Ende der Haushaltsberatungen klarstellten: "Die Kürzungen im Etat des BMZ werden drastische Auswirkungen auf die Menschen in unseren Partnerländern haben", sagte etwa Karl-Otto-Zentel, Generalsekretär der Hilfsorganisation CARE Deutschland. Die Bundesregierung dürfe sich nicht in die Reihe der Staaten einreihen, "die sich Schritt für Schritt aus der internationalen Verantwortung herausziehen".
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) steht wegen der Budgetkürzungen für ihr Haus vor großen Herausforderungen.
Davor warnte auch Ressortchefin Schulze. In der zweiten Lesung der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung räumte sie am Mittwoch ein, sie habe diesem Haushalt "nur schweren Herzens zugestimmt". Ihrer Meinung nach brauche es aktuell "mehr Entwicklungspolitik und nicht weniger". Denn die mit Klimawandel, Kriegen und Konflikten, Migration und Pandemien verbundenen Probleme, "lassen sich nicht ohne internationale Zusammenarbeit lösen".
Der Unionsfraktion warf Schulze vor, Vorhaben, die die Vorgängerregierung unter ihrer Führung selbst auf den Weg gebracht habe, im Haushaltsstreit zu "skandalisieren" und damit teilweise "AfD-Rhetorik" zu übernehmen. Sie bezog sich dabei auf Forderungen aus den Reihen von CDU und CSU nach weiteren Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit. Das Geld sollte danach besser im eigenen Land eingesetzt werden, etwa für Agrarsubventionen oder Hochwasserhilfen.
CDU sieht Ausgaben unter Rechtfertigungsdruck
In der Debatte erklärte dazu unter anderem Carsten Körber (CDU), die Ausgaben des Staates stünden "nicht zuletzt seit den Bauernprotesten" vor allem im Bereich der Entwicklungspolitik unter besonderem Rechtfertigungsdruck. "Wenn die Leute das Gefühl bekommen, dass man sich in Berlin mehr um die Klimaresilienz indischer Großstädte kümmert als um die Frage, wann im Erzgebirge der Bus kommt, dann wird Vertrauen verloren gehen." Körber und sein Fraktionskollege Herrmann Gröhe sprachen sich vor diesem Hintergrund für eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik aus: ein Mehr an Konditionierung und eine stärkere Berücksichtigung eigener Interessen.
AfD will sämtliche Ausgaben auf den Prüfstand stellen
Die AfD hatte im Haushaltsverfahren gleich Ausgabenkürzungen im Entwicklungsetat in Höhe von acht Milliarden Euro beantragt, um die Bürger im Land zu entlasten. Nun will sie sämtliche Ausgaben "gründlich auf den Prüfstand stellen", kündigte Michael Espendiller an. Er warf der Bundesregierung vor, "über viele Haushaltstitel und Projekte Milliarden an Steuereuros" an ihr nahestehende Nichtregierungsorganisationen zu verteilen.
Die wichtigsten Kürzungen im Überblick
📉🔨 Die Mittel für Krisenhilfe und Wiederaufbau sinken von 1,24 Milliarden Euro auf 1,04 Milliarden Euro. Insgesamt werden bei der bilateralen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit 600 Millionen eingespart.
📉🥔 Deutschland reduziert seine Beteiligung am Welternährungsprogramm von 78 Millionen auf 58 Millionen Euro. Weil es zu wenig Mittel hat, musste das Programm zuletzt viele Hilfen drastisch zurückfahren, erst in dieser Woche zum Beispiel sein größtes Hilfsprogramm für Syrien.
📉♻️ Für die Sonderinitiative "Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme" stehen nur noch 420 Millionen Euro zur Verfügung statt 519,1 Millionen. Beim internationalen Klima- und Umweltschutz sinkt das Budget von 60 auf 54,33 Millionen Euro.
Felix Banaszak (Bündnis 90/Die Grünen) erwiderte, Deutschland könne sich "diese nationalistische Argumentation" und Vorwürfe wie den, es könne das Klima nicht alleine retten, nicht mehr leisten. "Ach ne! Deswegen geben wir doch Geld unter anderem dafür aus, dass in anderen Ländern global Klimaschutz gemacht werden kann; eben weil es so nötig ist, dass das überall auf der Welt passiert", betonte Banaszak.
SPD nennt Verhalten der Union "beschämend"
Bettina Hagedorn (SPD) forderte die Unionsfraktion auf, auf einen konstruktiven Kurs zurückzukehren. Beim Haushalt 2023 habe diese noch Anträge gestellt, gegenfinanziert "mit den 60 Milliarden Euro, gegen die ihr vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt habt". Weil diese Gegenfinanzierung jetzt nicht mehr zur Verfügung gestanden habe, habe die Union jetzt lediglich Maßgabebeschlüsse "ohne Zahlen" vorgelegt, mit Forderungen, "was die Regierung alles tun soll". Dass Unionspolitiker zugleich in Talkshows forderten, den Rotstift bei der internationalen Zusammenarbeit anzusetzen, nannte Hagedorn "beschämend".
Claudia Raffelhüschen (FDP), die den Sparkurs schon bei der Einbringung des Haushalts verteidigt hatte ("Müssen Brände löschen, ohne auf Kosten nachfolgender Generationen die Wassermenge zu erhöhen"), betonte, bei den Kürzungen im Einzelplan sei darauf geachtet worden, keine laufenden Projekte zu stoppen und keine festen Zusagen zurückzunehmen. Deutschland sei weiter zweitgrößter Geber in absoluten Zahlen.
Abgeordnete fordern Untersuchung zu UNWRA
Raffelhüschen äußerte sich wie andere Redner außerdem zu den Vorwürfen gegen das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNWRA), wonach einzelne Mitglieder am Terror der Hamas beteiligt gewesen sein sollen. "Die Kritik an strukturellem Antisemitismus ist nicht neu, wurde aber bisher zu leicht weggewischt", urteilte die FDP-Politikerin. Es reiche nicht, Zahlungen auszusetzen, es brauche eine umfassende Untersuchung. Hermann Gröhe forderte "eine Rundumerneuerung der - notwendigen - Hilfe für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Diese UNRWA-Führung ist dazu erkennbar nicht geeignet."