Abfederung der Gaspreise : Deal ohne Lösung
Der Streit um geeignete Maßnahmen zur Eindämmung der Gaspreise geht in die nächste Runde. Zentrale Fragen bleiben beim Gipfel in Brüssel offen.
We have a Deal on Energy", vermeldete EU-Ratspräsident Charles Michel am frühen Freitagmorgen froh auf Twitter. Nach mehrstündigen und anwesenden Diplomaten zufolge äußerst zähen Verhandlungen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die richtigen Instrumente gegen galoppierende Energiekosten habe es eine Einigung gegeben. Doch anders als es die Botschaft Michels vermuten lässt, ist der "Deal" der 27 EU-Staaten ziemlich lückenhaft. Zentrale Fragen im Streit über den richtigen Weg zur Abfederung der Gaspreise bleiben weiter offen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag, wo er kurz vor dem Herbstgipfel der EU in Brüssel seinen Kurs im Ukraine-Krieg und in der Energiekrise erklärte.
Zwar sind sich die EU-Länder jetzt einig, an einem Preisdeckel arbeiten zu wollen. Doch wie sollen die Kosten konkret begrenzt werden? Darüber will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun mit den Fachministern der Mitgliedstaaten beraten, wie sie am zweiten Gipfeltag ankündigte. Am Ende soll ein Gesetzesvorschlag zur Einführung eines Marktkorrekturmechanismus stehen, "der Episoden überhöhter Gaspreise begrenzen soll". Im Gipfel-Beschluss ist von einem "vorübergehenden dynamischen Preiskorridor" für den Gas-Handel die Rede, der die Versorgungssicherheit aber nicht gefährden soll. Nur: Zu alldem haben die EU-Staaten, von denen immerhin mehr als die Hälfte eine Gaspreisbremse befürwortet, ganz unterschiedliche Ideen. Neuer Streit ist also vorprogrammiert.
Scholz: "Noch viele Zweifel" in Bezug auf eine europäische Obergrenze für Gaspreise
"Wir haben uns zusammengerauft", freute sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gleichwohl in der belgischen Hauptstadt, wo er allerdings keinen einfachen Auftritt gehabt haben dürfte: Der deutsche Kurs in der Energiekrise mit dem 200-Milliarden-Euro-Entlastungspaket für private Haushalte und Unternehmen und einer nationalen Gaspreisbremse hat ihm den Vorwurf des Egoismus eingehandelt. Dass Scholz sich dann noch gegen eine europäische Obergrenze für Gaspreise stemmte, verleitete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Brüssel zu der Einschätzung, Scholz sei als Vertreter Deutschlands in der EU "isoliert". Ein vor dem Gipfel geplantes Ministertreffen beider Regierungen in Berlin und Paris wurde abgesagt wegen mangelnder Einigkeit in zentralen Punkten.
Scholz betonte auch nach dem Gipfel, er habe weiterhin "noch viele Zweifel" in Bezug auf eine europäische Obergrenze für Gaspreise. In seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag zum Treffen in Brüssel erklärte er nochmals warum: "Ein politisch gesetzter Preisdeckel birgt immer das Risiko, dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen - und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger." Er lobte jedoch, dass die EU Einkaufsgemeinschaften europäischer Unternehmen möglich machen und einen Teil der Kapazität der europäischen Gasspeicher im nächsten Jahr gemeinsam befüllen wolle. Einen weiteren Gipfel zur Energiefrage schloss er nicht aus.
Im Bundestag hagelt es Kritik für des Kanzlers Krisenmanagement
Der Kanzler steht wegen seines Krisenmanagements nicht nur in Brüssel im Kreuzfeuer der Kritik. Auch die Opposition im Bundestag ließ in der Debatte im Anschluss an Scholz' Erklärung kein gutes Haar am Kurs der Ampelkoalition. "Deutschland dürfte in Brüssel als das Land in Europa bewertet werden, dessen Regierung in den letzten Monaten am heftigsten gestritten und mit am wenigsten bei der Entlastung der privaten Haushalte und Unternehmen erreicht hat", warf Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) dem Kanzler vor. Die besten Beschlüsse in Brüssel bewirkten überhaupt nichts, wenn die Bundesregierung in Deutschland nicht schnell zu wirksamen Entlastungen komme.
Nach Ansicht von AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla leidet die Bevölkerung unter einem von der Bundesregierung selbst entfachten "Wirtschaftskrieg", der nachhaltig beschädige "was die Generationen vor uns mühevoll errichtet haben". Dabei gebe es, betonte er, mit den russischen Nord-Stream-Pipelines die Möglichkeit, die Energieversorgung in Deutschland und Europa "souverän und preiswert sicherzustellen".
Wie Chrupalla forderte auch Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, ein Ende der Russland-Sanktionen. Sie würden Deutschland, der EU und den Ländern des Globalen Südens enorm schaden, während Russlands Kriegsmaschinerie unbeeindruckt weiter rolle, befand Mohamed Ali. Statt "lächerliche Entlastungspäckchen" zu schnüren, müsse die Bundesregierung sofort einen Energiepreisdeckel für Verbraucher und Unternehmen sowie ein Wintergeld in Höhe von 1.500 Euro für jeden Haushalt mit kleinem und mittlerem Einkommen auf den Weg bringen, finanziert durch eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne und eine Vermögenssteuer.
FDP: Deutschland muss sich energiepolitisch international diversifizieren
"Vor uns stehen Krisengebirge mit sich überlappenden Krisen, dafür gibt es keine Blaupause", nahm Achim Post (SPD) die Bundesregierung gegen die Vorwürfe in Schutz. Der Bundeskanzler handle vernünftig, pragmatisch und lösungsorientiert und habe Milliarden-schwere Entlastungspakete auf den Weg gebracht. "Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum das als lächerlich eingeschätzt wird."
"Die Entlastungen wirken", befand auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann, die der Unionsfraktion vorwarf, sich in der größten Krise "in Fundamentalopposition zu verkriechen". Die Bundesregierung werde sich dafür stark machen, dass europäische und nationale Maßnahmen gegen hohe Energiepreise Hand in Hand gingen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr lobte das Ziel gemeinsamer Gaseinkäufe in der EU und eines Mechanismus zur Verringerung von Preisdynamiken im europäischen Gasmarkt. Zugleich müsse Deutschland sich energiepolitisch international diversifizieren, beispielsweise über Energiepartnerschaften mit Afrika. Sein Fazit: "Wir lassen in Deutschland niemanden alleine."