Deutsch-französische Beziehungen : Es knirscht zwischen Deutschland und Frankreich
Beim 60. Jahrestag des deutsch-französischen Nachbarschaftsvertrags haben sich die Regierungen als enge Partner präsentiert. Doch sie standen sich schon mal näher.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mit ihren Kabinetten beim Regierungstreffen in Paris.
Kampfflugzeuge sind im gepflasterten Innenhof des Élysée-Palasts selten zu sehen. Doch am 22. Januar stand ein solcher Jet im Miniaturformat rechts vom Eingang der Ehrenloge - ein Modell des Future Combat Air Systems (FCAS), das Frankreich und Deutschland derzeit entwickeln und das zu den Aushängeschildern der deutsch-französischen Freundschaft gehört, die Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an jenem Tag feierten: 60 Jahre zuvor hatten Deutschland und Frankreich ihre "Erbfeindschaft" mit dem Élysée-Vertrag beendet.
Gleich mehrere gemeinsame Industrieprojekte wurden zu diesem Anlass im Élysée ausgestellt. FCAS hatten Macron und Scholz' Vorgängerin Angela Merkel 2017 auf den Weg gebracht. Danach ging es wegen Rivalitäten zwischen den beteiligten Firmen, dem französischen Flugzeugbauer Dassault und dem Partner Airbus, allerdings kaum voran. Erst im Dezember konnte die Entwicklung eines Prototyps schriftlich vereinbart werden.
Rede zur Zeitenwende kam auch in Frankreich gut an
Scholz hatte im Oktober 2022 mit einer Reise nach Paris dazu beigetragen, die Blockade aufzulösen. Zu jener Zeit hatte es zwischen Deutschland und Frankreich gewaltig geknirscht. Der deutsch-französische Ministerrat wurde abgesagt, auch wegen Differenzen in Verteidigungsfragen, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine offen zutage getreten waren.
Mit seiner Rede zur "Zeitenwende" hatte Scholz Ende Februar 2022 zwar auch in Frankreich Applaus geerntet. Weniger gut kam jenseits des Rheins allerdings an, dass die Bundeswehr hauptsächlich mit Material aus den USA aufgerüstet werden soll. Vor allem, weil Macron gerade im Verteidigungsbereich auf eine größere europäische Unabhängigkeit setzt. Auch dass Deutschland die Initiative für ein Raketenabwehrsystem mit anderen Nato-Staaten ergriff, wurde in Paris mit Misstrauen gesehen. "Frankreich spielt in dieser Zeitenwende keine Rolle", sagt der Experte Joseph de Weck. In der Prager Rede, die Scholz Ende August an der Karlsuniversität hielt, kam das Nachbarland praktisch nicht vor. Auch die gemeinsamen deutsch-französischen Verteidigungsprojekte wie das FCAS und den gemeinsamen Kampfpanzer MGCS erwähnte der Bundeskanzler mit keinem Wort.
Scholz würdigt europäisches Engagement Macrons
In der Pariser Sorbonne-Universität, wo der Festakt zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags stattfand, wollte Scholz das Versäumnis offenbar wieder gut machen. Der Nachbar sei eine "unentbehrliche Nation" beim Aufbau eines vereinten Europas, sagte er. "Frankreich ist und bleibt das auch heute." Gleichzeitig würdigte der Kanzler das europäische Engagement Macrons und sagte auf Französisch: "Merci Monsieur le Président, merci de tout coeur" - Danke, Herr Präsident, danke aus ganzem Herzen.
Macron mahnte seinerseits, den Élysée-Vertrag nicht nur als Teil der Geschichte zu sehen. "Dieser Tag darf nicht nur eine Feier sein, sondern auch ein Versprechen, ein Engagement, ein Appell, ein neuer Ehrgeiz." Er hob die Einigkeit hervor, die Deutschland und Frankreich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gezeigt hätten. "Unsere Einheit wurde nicht gespalten und wir haben uns nicht aus der Verantwortung gestohlen." Doch auch wenn beide Männer sich nach ihren Ansprachen freundschaftlich die Hände schüttelten, ließ ihre Körpersprache vermuten, dass sie sich weniger nahe stehen als die beiden "Väter" des Élysée-Vertrags, Charles de Gaulle und Konrad Adenauer.
Jahrzehntelange Freundschaft
Deren Beziehung hatte mit einer Einladung Adenauers in de Gaulles Landgut im ostfranzösischen Colombey-les-deux-Eglises 1958 begonnen. Sowohl Gastgeber als auch Gast hegten damals noch viel Misstrauen dem anderen gegenüber. "Wir werden den Speiseplan nicht ändern und aus dem üblichen Geschirr essen", soll de Gaulles Frau Yvonne angekündigt haben. Dennoch war der Bundeskanzler von dem zweitägigen Besuch begeistert: "Sie haben mich behandelt, als wäre ich bei mir zu Hause", sagte er hinterher. Die beiden alten Männer fanden in den Folgejahren in inniger Freundschaft zueinander, die den Elysée-Vertrag erst ermöglichte. Als der Kanzler schon im Ruhestand war, besuchte de Gaulle Adenauer noch regelmäßig in dessen Haus in Rhöndorf bei Bonn. Eine ähnlich enge Beziehung verband nach ihnen auch Helmut Schmidt und Valéry Giscard D'Estaing. "Helmut Schmidt war mir ein wahrer Freund", erinnerte sich Giscard in mehreren Interviews an den SPD-Politiker, mit dem er die Grundlagen der europäischen Währungsunion legte.
Mitterrand und Kohl setzten Wiedervereinigung um
Eine noch größere Aufgabe hatten François Mitterrand und Helmut Kohl zu bewältigen: Sie mussten die deutsche Wiedervereinigung umsetzen. Und das, obwohl Mitterrand gesagt haben soll, er liebe Deutschland so sehr, dass er froh sei, dass es zwei davon gebe. Die beiden Politiker, die sich 1984 über den Gräbern des Ersten Weltkriegs in Verdun die Hand gereicht hatten, bewältigten die Aufgabe. Als Mitterrand 1996 starb, rannen Kohl bei der feierlichen Totenmesse in der Pariser Kathedrale Notre-Dame Tränen über die Wangen.
Nach ihnen bereinigten Gerhard Schröder und Jacques Chirac zwar noch manche Missstimmung bei einem Bier, doch echte Nähe entstand zwischen den neuen deutsch-französischen Paaren nicht mehr. Angela Merkel hatte es mit gleich vier französischen Präsidenten zu tun: Auf Chirac folgten der nervöse Nicolas Sarkozy und der ungeschickt wirkende François Hollande. Über Macron sagte die Kanzlerin in einem Interview: "Gewiss, wir ringen miteinander". Das hinderte die beiden allerdings nicht daran, im Sommer 2020 ein Hilfspaket im Kampf gegen die Corona-Krise zu präsentieren. Die 750 Milliarden, die es umfasste, wurden erstmals durch gemeinsame Verschuldung finanziert.
"Deutsch-französischer Motor"
Merkels Nachfolger Olaf Scholz scheint sich nun ganz vom romantischen Bild des deutsch-französischen Paares verabschieden zu wollen. Stattdessen sprach der Kanzler an der Sorbonne vom deutsch-französischen Motor, der eine "Kompromissmaschine" sei. Seinen Antrieb beziehe er "nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik. Sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und Interessenunterschiede immer wieder in gleichgerichtetes Handeln umzuwandeln." Beim gemeinsamen Kampfflugzeug ist das bereits gelungen. Bei anderen Themen muss die "Kompromissmaschine" ihre Effizienz noch zeigen.
Die Autorin ist freie Korrespondentin in Paris.