Interview zur deutsch-französischen Zusammenarbeit : "Die persönlichen Begegnungen helfen sehr"
Der Co-Vorsitzende der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, Nils Schmid (SPD), über die Zusammenarbeit von Bundestag und Nationalversammlung.
Herr Schmid, Sie waren beim gemeinsamen Festakt der Parlamente in Paris. Im Bundestag haben Sie vorher gesagt: Wir fahren da nicht nur zum Feiern hin, sondern auch zum Arbeiten. Was ist dabei herausgekommen?
Nils Schmid: Das Treffen der Parlamente hatte diesmal einen deutlich stärkeren politisch-parlamentarischen Charakter als in der Vergangenheit. Bei früheren Jubiläen haben wir Festsitzungen abgehalten, diesmal haben wir wirklich miteinander debattiert. Außerdem haben sich in Paris zwei neue Arbeitsgruppen der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung (DFPV) konstituiert, eine zur Zukunft Europas und eine zur Energiesouveränität. Sie sollen in den kommenden zwölf Monaten konkrete Empfehlungen vorlegen. Wir haben auch besprochen, wie die Arbeit der DFPV in diesem Jahr aussehen soll.
Was sind Ihre Pläne? Der Start im Jahr 2019 war für die Versammlung wegen der Pandemie ja nicht einfach.
Nils Schmid: Unser Ziel ist es, in diesem Jahr mindestens zweimal in Präsenz zu tagen. Auf deutscher Seite überlegen wir, die Sitzungen außerhalb Berlins zu machen, an Orten des Parlamentarismus wie der Frankfurter Paulskirche oder in Weimar. Wir wollen bei den Fachausschüssen außerdem darum werben, sich untereinander besser auszutauschen. Das läuft zum Beispiel bei den Verteidigungsausschüssen schon sehr gut, bei anderen aber nicht.
Nach den Wahlen in beiden Ländern sitzen in Bundestag und Nationalversammlung viele neue Abgeordnete. In Frankreich hat Präsident Macron keine parlamentarische Mehrheit mehr, die rechtsnationale, europaskeptische Fraktion des "Rassemblement National" ist stark wie nie. Macht sich das in Ihrer Arbeit bemerkbar?
Nils Schmid: Natürlich sind es vor allem die proeuropäischen Fraktionen, die sich in der DFPV engagieren. Trotzdem haben uns die Wahlen nicht geschwächt, im Gegenteil. Es gibt viele neue Abgeordnete in beiden Häusern, die sich sehr motiviert bei uns einbringen. Persönliche Begegnungen wie die in Paris helfen auch sehr, die Zusammenarbeit weiter zu verbessern und sie breiter in den Parlamenten verankern.
Das Verhältnis der Regierungen gilt als angespannt. Spüren Sie das in der Parlamentsarbeit genauso deutlich?
Nils Schmid: Es läuft gut zwischen uns Abgeordneten, aber anders als die Regierungen müssen wir auch keine konkreten Entscheidungen treffen. Insgesamt ist es klar, dass die Ansichten auch mal auseinandergehen. Das ändert aber nichts an der Qualität und Enge unserer Beziehungen. Die Differenzen sind vielmehr ein Zeichen dafür, dass wir in zentralen Fragen detailliert um die richtigen Antworten ringen.
Warum machen sich die Unterschiede gerade jetzt so stark bemerkbar?
Nils Schmid: Weil die Reibungspunkte präsenter sind als noch vor 20 oder 30 Jahren. In der Energie- und Rüstungspolitik hat es schon immer große Unterschiede zwischen unseren Ländern gegeben, aber sie treten heute offener zutage, weil beides, erst recht nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, nicht länger als rein nationale Angelegenheit betrachtet wird. Auch der Aachener Vertrag ist ein Grund, dass es öfter zu Reibereien zwischen Berlin und Paris kommt.
Den neuen Freundschaftsvertrag haben Präsident Emmanuel Macron und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Januar 2019 beschlossen, um die Beziehungen zu vertiefen. Und nun führt er zu noch mehr Zank?
Nils Schmid: Ja, denn mit ihm sind wir in den Mühen der Ebene angekommen. Die Liste der Projekte im Aachener Vertrag ist lang, wir sind seither mit konkreten Umsetzungsfragen beschäftigt. Und natürlich zeigen sich dann unterschiedliche Interessen und Sichtweisen. Erst recht, weil sich unsere politischen Systeme sehr unterscheiden: Frankreich ist ein Zentralstaat mit einem starken Präsidenten, Deutschland ein föderaler Bundesstaat, in dem neben dem Bund eben auch Länder und Kommunen eine starke Rolle spielen.
Und der Bundestag. Es gibt wohl kaum ein Parlament in der EU, das in der Außen- und Europapolitik annähernd so viel zu sagen hat.
Nils Schmid: Exakt. Und wir wollen unserer Regierung auch bei der Umsetzung des Aachener Vertrages genau auf die Finger schauen. Die Dichte und Tiefe der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist durch ihn noch mal viel größer geworden, da braucht es parlamentarische Begleitung.
Die Parlamentarische Versammlung hat bisher nichts Konkretes erreicht. Wird sich das jetzt ändern?
Nils Schmid: Ein konkreter Erfolg ist, dass es während der Pandemie nicht zu erneuten Grenzschließungen kam. Neben der erwähnten Vernetzung der Fachausschüsse wollen wir auch die Umsetzung von EU-Richtlinien in Deutschland und Frankreich harmonisieren. Das allerdings ist recht knifflig, denn diese komplexen Gesetzesvorhaben werden bisher hauptsächlich in den Fachministerien vorbereitet.
Ein Dauerthema bleibt auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Seit 1992 ist zum Beispiel eine Bahnverbindung zwischen Berlin und Paris geplant. Die gibt es bis heute genauso wenig wie eine Verbindung zwischen Colmar und Freiburg, beides steht jetzt weiter im Aachener Vertrag. Warum passiert da so wenig?
Nils Schmid: Solche Großprojekte beanspruchen viel Zeit und sind, so ehrlich muss man sein, auch bei uns häufig umstritten, was die Umsetzung und Finanzierung betrifft. Wir werden auf jeden Fall genau darauf achten, wie es damit und mit den anderen Vorhaben im Vertrag von Aachen weitergeht. Als nationale Parlamente müssen wir aber auch über die Grenzregion hinausdenken.
Nichts von dem, was Sie planen, scheint einfach umsetzbar zu sein. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würde ganz oben stehen?
Nils Schmid: (Lacht) Ach, die Liste ist so lang. Aber es gibt ein Thema, das uns in der Versammlung besonders am Herzen liegt: dass wieder mehr Kinder Deutsch oder Französisch in der Schule lernen. Das Interesse hat leider stark abgenommen, und dadurch gibt es auch weniger Schüleraustausche. Aber Sprache ist ein Fundament für das gegenseitige Verständnis und persönliche Freundschaften, es bleibt eine Daueraufgabe, dafür zu werben.