Wahlen in Polen : Polen muss auf politische Zeitenwende warten
Ein links-liberales Dreierbündnis kann die konservative PiS nach acht Jahren von der Macht ablösen. Doch weil der PiS-nahe Staatspräsident mauert, wird das dauern.
Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk hat gute Chancen, neuer Regierungschef werden. Doch bis es soweit ist, könnten noch Wochen vergehen.
Die Spitzenpolitiker rund um Jaroslaw Kaczynski konnten die Enttäuschung auf ihren Gesichtern am Wahlabend des 15. Oktober nur schlecht überspielen. Extra früh hatte die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) den Termin für die Parlamentswahlen angesetzt. Monatelang hatte sie alles unternommen, um die Wähler bei der Stange zu halten und sich dabei auf Herausforderer Donald Tusk als Erzfeind eingeschossen. Sogar der Benzinpreis war zum Endspurt bei den marktführenden, staatlichen "Orlen"-Tankstellen besonders tief angesetzt worden. Jeder sollte ein Wahlgeschenk bekommen, nicht nur die Rentner, die in Polen ein Drittel der Wähler stellen.
Doch es nützte alles nichts: PiS fiel auf unter 36 Prozent und verlor somit innerhalb von vier Jahren mehr als acht Prozent der Stimmen und 41 Sitze im Parlament.
Trotz Verlusten in Polen stärkste Kraft
In dieser zweite Amtszeit setzte PiS ein verschärftes Abtreibungsverbot durch, griff massiv in die Pressefreiheit ein und führte einen Getreidestreit mit der Ukraine, die man nicht erst seit der russischen Invasion vor 20 Monaten bedingungslos unterstützt hatte.
Doch trotz aller Verluste - laut dem offiziellen Endergebnis der zentralen Wahlkommission hat PiS die Parlamentswahlen dennoch mit 35,4 Prozent der Stimmen (194 Sitze) klar gewonnen. Für das größte Oppositionsbündnis, die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des früheren Regierungschefs Donald Tusk, stimmten 30,7 Prozent. Ihm gehört unter anderem das zentristische Wahlbündnis "Dritter Weg" an, das mit 14,4 Prozent deutlich besser abgeschnitten hat als erwartet. Die im Bündnis ebenfalls vertretene "Neue Linke" büßte hingegen gegenüber 2019 fast die Hälfte ihrer Abgeordneten ein und kommt nur noch auf 8,6 Prozent (26 Sitze).
Trotz niedriger Temperaturen bildeten sich wie hier in Breslau lange Schlangen vor den Wahllokalen, teilweise warteten die Wähler stundenlang, um ihre Stimme abgeben zu können.
Die rechts-extreme "Konföderation" gewann mit 7,2 Prozent der Stimmen nur die Hälfte der erwarteten Sitze. Die deutsche Minderheit ging erstmals seit 1989 leer aus, obwohl sie von der Fünfprozent-Hürde befreit ist.
Die drei Oppositionsparteien kommen damit auf 248 von 460 Sitze im polnischen Parlament, dem Sejm, und könnten so problemlos eine neue Regierung bilden. Allerdings benötigen sie dazu einen Regierungsauftrag des Staatspräsidenten. Doch der von Amts wegen parteilose Andrzej Duda, dessen ursprüngliche politische Heimat die PiS ist, hat durchblicken lassen, dass er es nicht eilig hat - und wohl wie üblich einen Regierungschef der stärksten Partei designieren wird, also PiS.
PiS fehlen Bündnispartner
Allerdings zeigt sich, dass PiS nach acht Regierungsjahren schwerlich Bündnispartner jenseits der extremen Rechten findet. Ihre Avancen an die Adresse der kleinen Bauernpartei PSL, die zusammen mit "Polen2050" das oppositionelle Wahlbündnis "Dritter Weg" gegründet hatte, lehnte die PSL nach der Wahl empört ab. Acht Jahre lange habe PiS auf die PSL eingetreten, und nun komme sie angekrochen und mache ihr schöne Augen, erklärte PSL-Chef Wladyislaw Kosiniak-Kamysz am Mittwoch. Und fügte hinzu: "Ich schließe eine Koalition mit PiS rundweg aus." Ähnlich klang es aus den Reihen der Formation "Polen2050" des katholischen Showmasters Szymon Holownia. Allenfalls könnten sich gewisse PiS-Abgeordnete nach eingehender moralischer Prüfung anschließen, sagte Holownia augenzwinkernd.
Auf Staatspräsident Duda kann PiS allerdings weiterhin zählen. Er wird die Partei allem Anschein nach so lange wie möglich weiter regieren lassen, indem er die Fristen für eine Regierungsbildung maximal ausdehnt. Der neue Sejm soll demnach erst am 13. oder 14. November erstmals zusammenkommen. Von da an hat Duda laut Verfassung 14 Tage Zeit, einen neuen Premier zu benennen, der danach wiederum 30 Tage Zeit hat, eine mehrheitsfähige Regierung zu zimmern. Vermutlich wird Duda dafür erneut Mateusz Morawiecki (PiS) designieren.
Erst wenn dies scheitern sollte, wonach im Moment alles aussieht, kann der Sejm in einem zweiten Schritt eine Mehrheitsregierung berufen. PiS hat derweil damit begonnen, die in dem informellen Dreierbündnis vereinigte Opposition zu spalten. Das Staatsfernsehen TVP drischt zwar nicht mehr auf Tusk ein, unternimmt aber alles, um Streitpunkte zwischen PO, "Dritter Weg" und "Neuer Linken" zu akzentuieren und die mutmaßlich neue Koalitionsregierung als labil darzustellen. So wird unter anderem betont, sie bestehe de facto aus elf Parteien, wobei dabei marginale Gruppen wie die "Grünen" oder "Zentrum für Polen" mitgezählt werden.
Opposition könnte Gesetze mit Veto blockieren
Mit einer neuen Regierung ist also so schnell nicht zu rechnen. Tusk dürfte erst Anfang 2024 seinem Ziel der Machtablösung und Wiederannäherung an Deutschland und die EU näher kommen. Dazu gibt es zu bedenken, dass der rechts-konservative Staatspräsident Duda noch bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit im Sommer 2025 jegliche, der PiS missliebigen Gesetze mit seinem Veto torpedieren kann. Um dieses zu überstimmen, bräuchte die Dreierkoalition 278 Stimmen, aber sie hat nur 248. Selbst wenn Polens politische Zeitenwende in den beiden Kammern vollzogen ist, wird PiS somit an wichtigen Schalthebeln bleiben.
Der Autor ist freier Journalist in Polen.