Republikaner verlassen US-Kongress : Abgang der Ausgebrannten
Donald Trumps tief gespaltene Republikaner könnten kurz vor den Wahlen ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren. Den Kongress macht das nicht produktiver.
Donald Trump kann acht Monate vor der Präsidentschaftswahl in Washington vieles gebrauchen, das hier mit Gewissheit nicht: einen durch Sabotage in den eigenen Reihen vorzeitig herbeigeführten Machtwechsel im Repräsentantenhaus; weg von seinen Republikanern hin zu den Demokraten von Amtsinhaber Joe Biden, die bereits im Senat die Mehrheit halten. Aber genau danach sieht es derzeit aus. Durch die vorzeitigen Abgänge mehrerer Abgeordneter der "Grand Old Party" (GOP) ist die Mehrheitsfraktion so arg dezimiert, dass sich Anführer Mike Johnson voraussichtlich ab Mitte April bei Abstimmungen nur noch einen einzigen Abweichler in den eigenen Reihen leisten kann, will er Gesetze mit rein konservativer Handschrift durchbringen. Je winziger die Mehrheit, desto erpressbarer wird der Mann aus Louisiana, der als Sprecher des Repräsentantenhauses formal die Nr. 3 im US-Staatsgefüge nach Präsident Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris ist.
Noch ist Mike Johnson - hier neben US-Vizepräsidentin Kamala Harris - Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Doch die Mehrheit der Republikaner schrumpft.
Weil etliche der 217 konservativen Kongress-Leute alt und gesundheitlich anfällig sind und die Spekulation umhergeht, dass in den nächsten Wochen weitere Abgeordnete den intern als "völlig dysfunktional" beschriebenen Kongress verlassen wollen, wird offen darüber debattiert, dass die Tage von Johnson gezählt sein könnten. Für ihn würde nach dieser Lesart der Demokrat Hakeem Jeffries irgendwann zwischen Mai und November auf den Posten des "Speaker" nachrücken. Das wäre eine historische Premiere, eine Sensation sowieso und letztlich eine offene Kampfansage gegen Trump aus dessen eigener Partei.
Republikaner werfen wegen radikaler Trump-Kollegen hin
Als Indiz für die Zuspitzung gelten die kürzlich vollzogenen Abschiede der Abgeordneten Ken Buck (Ohio) und Mike Gallagher (Wisconsin). Beide sind keine Trump-Fans. Beide haben sich bewusst parlamentarischer Rachefeldzüge, etwa der von der Fraktionsführung versuchten Amtsenthebung von Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas, entzogen. Buck spricht schnörkellos darüber, dass er seine Partei von Trumps MAGA-Radikalen gekapert sieht und "nicht mehr wiedererkennt". Er beklagt die selbstzerstörerische Dynamik, die aus seiner Sicht von rund 30 Parteikollegen am rechten Rand ausgeht. Der sogenannte "Freedom Caucus" strebe keine politischen Kompromisse im Zweiparteiensystem an, sondern spezialisiere sich auf politische Amokläufe, die an den Bedürfnissen der Menschen im Land vorbeigingen, in sozialen Medien und auf Fox News aber den Beifall von Trump und Radikalen auslöse.
Gallagher, ein 40 Jahre altes Nachwuchstalent im Stile des früheren "GOP"-Machers Paul Ryan, dem aufgrund seiner militärisch-strategischen Erfahrung eine große Zukunft vorhergesagt wurde, hält sich etwas bedeckter. Der Stil seines Abgangs spricht allerdings Bände. Anstatt sein Aus zeitlich so zu legen, dass der Bundesstaat Wisconsin seinen Stuhl noch im Sommer neu besetzen kann, will der perspektivisch mit dem Geheimdienstezulieferer Palantir in Verbindung gebrachte Politiker, der dem wichtigen China-Sonderausschuss vorstand, erst nach dem 19. April gehen. Damit ist klar, dass seine Nachwahl nur parallel zur Präsidentschaftswahl im November vonstatten gehen kann, der 8. Kongress-Distrikt in Wisconsin bliebe somit monatelang verwaist.
Gallagher setzt damit nach Ansicht von Parteifreunden bewusst die schmale Mehrheit der Republikaner aufs Spiel, was mit dem sofortigen Rauswurf aus der Fraktion bestraft werden müsse. Denn mit doppelter Mehrheit - Senat und Repräsentantenhaus - könnten die Demokraten im Kongress zusammen mit Präsident Biden im Weißen Haus ab Sommer aus einem Guss regieren und bis zur Amtseinführung des neuen Präsidenten im Januar 2025 entscheidende Akzente setzen.
Analysten sprechen von "politischen Burn-Out-Phänomenen"
Donald Trump hat das rechtlich unanfechtbare Gebaren der Abweichler bereits als Bedrohung erkannt und mit Herabwürdigung bedacht. Buck und Gallagher seien "Feiglinge und Weichlinge", deren Tun man nie vergessen dürfe, polterte er über Ostern und sprach von einer "Schande".
Wie eng es für Trumps Republikaner werden könnte, belegen ernüchternde Zahlen. Das gesamte Parlament - 435 Abgeordnete im "House" und 100 Senatoren - verzeichnet bis heute über 50 Abgänge, das sind fast zehn Prozent des Kongresses.
Weil nur die wenigsten ein anderes Amt anstreben, gehen Analysten von "politischen Burn-Out-Phänomenen" und "tiefer Frustration" aus. Indizien dafür gibt es. Debbie Lesko (Arizona), Greg Pence (Indiana), Kelly Armstrong (North Dakota) und Cathy McMorris Rodgers (Washington State) haben in unterschiedlichen Worten ihr Aus bei den Republikanern mit dem gleichen Tatbestand erklärt: "Washington ist kaputt. Es ist schwer, irgendetwas hinzubekommen." Hauptgrund: Ein nennenswerter Teil der Republikaner wolle, auch um Trump zu gefallen, keine Kompromisse - sondern "Zerstörung" oder "Stillstand".
Das lässt sich in Zahlen messen. Der 118. US-Kongress gehört mit etwa 30 Gesetzesvorhaben zu den unproduktivsten der amerikanischen Parlamentsgeschichte. Zum Vergleich: In den zwei Jahren, in denen im 117. Kongress die Demokratin Nancy Pelosi als Sprecherin fungierte, verabschiedete das Repräsentantenhaus über 300 Gesetze.
Miese Stimmung bei den Konservativen
Nach der Rückkehr aus der Osterpause war etlichen Abgeordneten die Ernüchterung über den "desolaten Zustand" der eigenen Fraktion noch immer anzusehen. "Ob wir bis zur Sommerpause zurückfinden auf einen konstruktiven Weg, ist fraglich", erklärte der Büroleiter eines Abgeordneten aus dem Mittleren Westen: "Die Animositäten untereinander nehmen zu." Er erinnerte daran, dass die Republikaner bereits 2018 das Repräsentantenhaus an die Demokraten abtreten mussten. Bei der Präsidentenwahl 2020 ging das Weiße Haus an Joe Biden.
Und nach den Kongress-Zwischenwahlen 2022 reichte es nur für jene knappe Mehrheit in der ersten Parlamentskammer, die jetzt durch Fluchtbewegungen aus republikanischen Reihen auf der Kippe steht. Für "Speaker" Mike Johnson wird die Lage immer bedrohlicher. Die "frühen Rücktritte" der Kollegen helfen der konservativen Bewegung nicht, "das Land zu retten", sagte der fromme Baptist kürzlich. "Ohne republikanische Mehrheit haben wir keine Hoffnung, das zu schaffen."
Der Autor ist US-Korrespondent der Funke-Mediengruppe.