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Wahlrecht in den USA : Ausgebremst

US-Präsident Biden droht bei der Reform des Wahlrechts zu scheitern. Zehn Monate vor den Zwischenwahlen im Kongress ist das ein schlechtes Omen für die Demokraten.

31.01.2022
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4 Min
Foto: picture-alliance/AP/Susan Walsh

Bis zu den "Midterms" bleibt Joe Biden nicht viel Zeit, wichtige Vorhaben umzusetzen und eine Mehrheit der Republikaner im Kongress zu verhindern.

Bei seinem Amtsantritt im Januar 2021 hatte Joe Biden versprochen, die amerikanische Demokratie werde sich unter seiner Führung als ruhiger, verlässlicher Dienstleister für breite Bevölkerungsschichten präsentieren. In der Realität hat eine größer werdende Mehrheit der Amerikaner nach dem ersten Amtsjahr erhebliche Zweifel, ob der 79-Jährige politisch und ökonomisch einlösen kann, was er in Aussicht gestellt hat.

Bidens ambitionierte Reform-Agenda ist nach dem rund 2000 Milliarden US-Dollar starken Corona-Hilfspaket und dem rund tausend Milliarden Dollar schweren Infrastruktur-Programm ins Stocken geraten; auch weil in den Reihen der eigenen Demokratischen Partei Schlüsselfiguren Widerstand leisten. Umfragen zeigen, dass der Präsident schleichend Rückhalt verliert. Stabil 60 Prozent plus x sind unzufrieden mit ihm. Die hohe Inflationsrate von zuletzt sieben Prozent, der stagnierende Kampf gegen die Pandemie und die Rekordzahl von fast zwei Millionen Asylsuchenden an der Grenze zu Mexiko sind Gründe dafür.

Die wichtigste Zielmarke aller Bestrebungen Bidens, die Stimmung zu drehen, ist der 8. November. Dann werden bei den "midterms" alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und 34 von hundert Senatoren/-innen neu gewählt. Im Senat gibt es heute ein 50:50-Patt. Im "House" benötigen die Republikaner fünf Sitze mehr, um die Macht zu übernehmen. "Mehr als machbar", sagen Analysten.

Käme es so, wäre Biden schlagartig fast jede politische Beinfreiheit genommen. Vorhaben mit nachhaltiger Strahlkraft hätten so gut wie keine Chance. Joe Biden würde bis zur nächsten Wahl ein Dasein als "lame duck" ("lahme Ente") fristen. In der Demokratischen Partei würden Konflikte zwischen Gemäßigten und Links-Progressiven offen ausbrechen.

Umfragen und massive Veränderungen beim politisch gesteuerten Zuschnitt der Wahlbezirke ("gerrymandering"), die mehrheitlich den Republikanern in die Hände spielen, machen aus heutiger Sicht eine Wahlniederlage der Demokraten sehr wahrscheinlich.

Schrittweise Aushöhlung

Dazu kommen elementare Probleme mit dem Allerheiligsten - dem Wahlprozess. Die Republikaner treiben Veränderungen voran, die nach Überzeugung von Kritikern der "Grand Old Party" das Wahlrecht schrittweise aushöhlen. Nach Zählung des "Brennan Center for Justice" haben allein im vergangenen Jahr 20 republikanisch regierte Bundesstaaten mehr als 30 Gesetze verabschiedet, die unter dem Strich die Stimmabgabe erschweren sollen. Mal wird die Briefwahl, die dem Wahlverlierer von 2020, Donald Trump, bis heute ein Dorn im Auge ist, eingeschränkt. Mal wird die Vorlage eines landesweit nicht vorgeschriebenen Personalausweises zur Voraussetzung gemacht. Vereinzelt soll, etwa im Südstaat Georgia, Helfern das Verteilen von Wasserflaschen oder Snacks an wartende Bürger verboten werden, die am Wahltag vor den oft dünn gesäten Wahlbüros stundenlang in der Warteschlange ausharren müssen. Alles in allem, so die Überzeugung der Demokraten und unabhängiger Organisationen, sollen Wählerschichten benachteiligt werden, etwa Afro-Amerikaner, die traditionell die Partei mit dem Esel im Wappen wählen.

Noch massiver sind die Bemühungen der Republikaner, den Einfluss von lokalen und regionalen Wahlbehörden und der Kongresse auf Ebene der Bundesstaaten zu erhöhen. Sie sollen de facto in den Stand versetzt werden, die Stimmenauswertung nach dem Urnengang nach politischer Opportunität steuern zu können.

Ein Indiz: In 15 Bundesstaaten kandidieren gerade zehn Republikaner für das bei Wahlen wichtigste Schlüsselamt des "secretary of state". Sie teilen Trumps komplett widerlegte Behauptung, ihm sei die Wahl 2020 durch Betrug der Demokraten "gestohlen" worden. Kämen diese Funktionäre ans Ruder, könnten unliebsame Wahlergebnisse nachträglich "frisiert" werden, befürchten US-Medien. In dieses Spektrum gehört auch das von Republikanern verfolgte Ziel, die Listen der Wahlmänner und -frauen für das "electoral college", das letztlich den Präsidenten wählt, auf bundesstaatlicher Ebene mit loyalen Parteigängern zu bestücken - um so am Ende den gewünschten Kandidaten in Washington an die Macht zu bringen.

Die Demokraten wollen dieser maßgeblich durch Trump befeuerten Entwicklung mit zwei Gesetzen beikommen, die nationale Mindeststandards festlegen. Dazu gehört zum Beispiel die Ausweitung von Briefwahl-Möglichkeiten, eine automatische Registrierung von Wählern ohne Passzwang, das Wahlrecht für ehemalige Strafgefangene und die Festsetzung des Wahltages auf einen Feiertag, um der arbeitenden Bevölkerung mehr Möglichkeiten der politischen Partizipation zu geben. Im anderen Paket bekäme das Justizministerium Hebel in die Hand, um potenziell diskriminierende Wahlgesetze in den Bundesstaaten zu neutralisieren. Dieses Recht wurde 2013 vom Obersten Gerichtshof einkassiert.

Widerstand in eigenen Reihen

Doch alle Versuche der Demokraten, die Wahlgesetze wetterfest zu machen, scheiterten bisher am Widerstand von zwei Nein-Sagern aus den eigenen Reihen, die Republikaner sind ohnehin geschlossen dagegen. Die Senatoren Joe Manchin (West Virginia) und Kyrsten Sinema (Arizona) weigern sich hartnäckig, einen gewichtigen Stolperstein aus dem Weg zu räumen - den Filibuster. Nur wenn die "heilige Kuh" des Interessenausgleichs - eine Sperr-Minorität, die der Minderheit erlaubt, Gesetzesvorhaben der Mehrheit zu blockieren - geschlachtet würde, könnten die Gesetze bei einem 50:50 Stimmen-Patt durchkommen. Doch danach sieht es nicht aus.

Dabei hatte Joe Biden in das Vorhaben viel politisches Kapital investiert. Am ersten Jahrestag der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 - ein von Ex-Präsident Donald Trump animierter Mob wollte die Verfassung aus den Angeln heben und die Zertifizierung des Biden-Wahlsieges hintertreiben - beschwor er seine Landsleute mit bohrenden Fragen: "Werden wir eine Nation sein, die politische Gewalt als Regelfall akzeptiert? Werden wir eine Nation sein, in der wir es zulassen, dass parteiische Wahlhelfer den rechtmäßig zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes umstoßen?" Biden appellierte an die Amerikaner: "Wir dürfen uns nicht erlauben, so ein Land zu werden." Die Gewissheit, dass die Abwehrschlacht gelingt, konnte er ihnen nicht geben.

Der Autor ist USA-Korrespondent der Funke Mediengruppe .