Sultanat Brunei : Der Sultan und die Scharia
Trotz internationaler Proteste hat der Sultan von Brunei, Hassanal Bolkiah, drakonische Strafen eingeführt. Angewendet werden sie jedoch nie.
Der Aufschrei war groß: Als das Sultanat Brunei ankündigte, die Strafgesetze ab April 2019 zu verschärfen und unter anderem die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen einführen zu wollen, liefen nicht nur Menschenrechtsaktivisten weltweit Sturm. Die UN kritisierten den Schritt scharf, das Europäische Parlament rief dazu auf, unter anderem die Einfrierung von Vermögenswerten und Visa-Verbote zu prüfen. Prominente wie George Clooney forderten zudem den Boykott von Hotels, die dem Sultan von Brunei, einem der reichsten Monarchen der Welt, gehören. Der Protest zeigte scheinbar Erfolg: Sultan Hassanal Bolkiah gab bekannt, auf die Vollstreckung der Todesstrafe gegen Homosexuelle zu verzichten. Das schon existierende De-facto-Moratorium, keine Todesurteile umzusetzen, gelte.
Sultan Hassanal Bolkiah, hier bei der Feier zu seinem 73. Geburtstag im Juli 2019, regiert Brunei seit 1967 allein.
Strafrechtskodex gilt weiter
Doch der Strafrechtskodex, der drakonische Strafen wie Steinigung, Auspeitschung und Amputation von Gliedmaßen vorsieht, ist weiterhin in Kraft. Es bleibt die Frage, was hinter der von vielen als plötzlich empfundenen Entwicklung steckt: Warum führt Brunei erstmalig ein umfassendes Scharia-Strafgesetzbuch ein? Der von Malaysia umschlossene Kleinstaat auf der Insel Borneo verfügt immerhin dank großer Erdölvorkommen über Wohlstand und einen vergleichsweise hohen Entwicklungsstandard.
Aus Sicht des Brunei-Experten Dominik Müller von der Universität Erlangen-Nürnberg ist die Entwicklung keineswegs so überraschend. Der 75-jährige Sultan, der bereits seit 1967 gleichzeitig Staatsoberhaupt und Regierungschef ist, die wichtigsten Ministerien und das Oberkommando über Armee und Polizei führt, habe als Hüter der offiziellen Religion bereits Mitte der 1990er-Jahre die Einführung eines umfassenderen islamischen Strafrechts angekündigt.
Die stärkere politische und gesetzgeberische Betonung des Islams habe sogar schon mit Ende des britischen Protektorats begonnen. "Brunei ist 1984 und damit erst vergleichsweise spät unabhängig geworden. Der Islam spielte eine wichtige identitätsstiftende Rolle", erklärt der Kultur- und Sozialanthropologe Müller. Die Hervorhebung der langen Tradition islamisch-malaiischer Herrschaft habe auch dazu gedient, die absolute Monarchie zu legitimieren. Die innere Stabilität insbesondere vor Einflüssen eines militanten, radikaleren Islams zu schützen, sei bis heute ein zentrales Motiv des Sultans.
"Es geht darum, die Diskurshoheit über den Islam zu erhalten und antimonarchische Tendenzen bereits im Keim zu ersticken." Eine real existierende islamische Opposition habe es zwar in Brunei nie gegeben, aber das Beispiel der islamischen Revolution in Iran habe nachhaltig geprägt, so Müller. Die Strafrechtsreform könne insofern als Teil einer Art "Präventivstrategie" des Königshauses verstanden werden. "Es ist stets versucht worden, mögliche Forderungen aus konservativ-muslimischen Kreisen vorbeugend zu erfüllen. Bestimmte Eliten, wie etwa Gruppen um den Staatsmufti, setzten sich aber auch bereits seit den 1980er-Jahren vehement für ein Scharia-basiertes Strafrecht in Brunei ein.
Bemühen um Schadenbegrenzung
Säkulare Kräfte im Staatsapparat wiederum teilten diese Überzeugung nicht, tolerierten die Reform aber und bemühten sich international um Schadensbegrenzung. Im Außenministerium sei zum Beispiel bereits frühzeitig an einer öffentlichen Erklärung gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat gearbeitet worden, so der Brunei-Experte. Die Ausweitung des Moratoriums der Todesstrafe erfolgte also nicht nur aufgrund des internationalen Drucks.
Dass auch selbst "mildere" Strafen fast nie verhängt werden, zeige zudem, dass es der Staatsführung vor allem um die Umerziehung der Bürger gehe. "Die Strafrechtsreform ist hauptsächlich symbolischer Natur. Sie dient der Abschreckung und Selbstinszenierung", betont Müller. Verharmlosen dürfe man das dennoch nicht, die neuen Gesetze seien eine "geladene Pistole". Dass diese aber zum Einsatz komme, erwarte er nicht: "Das Rechtssystem eröffnet viele Wege, um eine Bestrafung zu vermeiden." Diese Widersprüchlichkeit zeige sich in Brunei tagtäglich: Transgender-Personen etwa sehe man trotz Verbots unbehelligt auf offener Straße. Die massive internationale Kritik an der Strafrechtsreform hätten viele Bruneier als ungerecht empfunden. Bewirkt habe sie letztlich einen Schulterschluss auch säkularer Gruppen mit dem Königshaus, so Müller. Möglicherweise haben die internationalen Proteste den Menschenrechten einen Bärendienst erwiesen.