1. Todestag von Jina Mahsa Amini im Iran : Eine Frage des Willens
Am ersten Todestag von Jina Mahsa Amini spart die Opposition nicht mit Kritik an der Iranpolitik der Bundesregierung. Lässt sie die Protestbewegung im Stich?
22 Jahre alt war die Iranierin Jina Mahsa Amini, als sie vor einem Jahr festgenommen wurde und in Polizeigewahrsam starb. Ihr Tod setzte eine beispiellose Protestwelle gegen das Mullah-Regime in Gang.
Vor einem Jahr nahm die Sittenpolizei in Teheran die damals 22-jährige Jina Mahsa Amini fest, weil sie ihr Kopftuch angeblich nicht korrekt trug. Wenige Tage später war die junge Frau tot. Berichten zufolge hatten die Beamten ihr bei der Inhaftierung mit einem Schlagstock auf den Kopf geschlagen; in Gewahrsam fiel sie ins Koma und starb am 16. September 2022 in einem Teheraner Krankenhaus. Auch wenn die genauen Umstände ihres Todes unklar bleiben, sind die Kritiker des Mullah-Regimes überzeugt, dass Mahsa Amini an den Folgen der Polizeigewalt gestorben ist.
Aus Anlass ihres ersten Todestages gedachten die Abgeordneten am Mittwoch in einer Vereinbarten Debatte der Toten. "Wir werden ihr Schicksal und ihren Namen niemals vergessen", versprach Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen). Norbert Röttgen (CDU) erinnerte an all jene, die wie Amini inhaftiert, gefoltert oder hingerichtet wurden, weil sie für ein Leben in Freiheit und Würde eingetreten sind.
Solidarität in allen Landesteilen des Iran
Der Tod der jungen Frau hatte im Iran eine seit 1979 beispiellose Protestwelle in Gang gesetzt. Zu Tausenden gingen die Menschen Tag für Tag auf die Straßen und forderten mehr Rechte und Freiheiten sowie ein Ende des theokratischen Mullah-Regimes. Frauen legten ihre Kopftücher ab, im ganzen Land war der Slogan "Zan, Zendegi, Azadi!" ("Frau, Leben, Freiheit!") zu hören. Wieder reagierte das Regime mit Gewalt: Menschenrechtsorganisationen zufolge wurden mindestens 250 Menschen, darunter 34 Minderjährige, von Sicherheitskräften getötet, Hunderte verletzt und Tausende in Gefängnisse verschleppt.
Zwar hat sich die Bundesregierung in den vergangenen Monaten für die mittlerweile sieben Sanktionspakete der EU gegen das Regime in Teheran eingesetzt. Trotzdem sieht sie sich seit Beginn der Proteste Vorwürfen ausgesetzt, sie engagiere sich zu wenig gegen die Menschenrechtsverletzungen im Iran. Diese bekräftigte die Opposition im Bundestag. Die Ampel sei ihrem Solidaritätsversprechen nicht gerecht geworden, urteilte Norbert Röttgen. Die Menschen fühlten sich im Stich gelassen. So zeigten die beschlossenen Sanktionen, "dass sie keinen beeindrucken wollen". In ihrer Iranpolitik habe sich die Koalition zudem "tunnelartig" auf die Verhandlungen über das Nuklearabkommen fokussiert und sich damit von der Verhandlungsbereitschaft des Regimes abhängig gemacht.
Dass die Bundesregierung den Menschen, "die für Freiheit und Gerechtigkeit jeden Tag ihr Leben riskieren und massenhaft auch verlieren" zu wenig konkrete Unterstützung bietet, findet auch Dietmar Bartsch (Die Linke). "Wo ist denn die feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock bei dieser feministischen Revolte im Iran?", fragte er in Richtung der deutschen Außenministerin.
Aus Sicht von Bartsch und Jürgen Braun (AfD) setzt die Ampel dem Mullah-Regime auch im Inland zu wenig entgegen. Bartsch verwies auf "Berichte über den iranischen Geheimdienst, der Exiliranerinnen, die das Regime aktiv bekämpfen, verfolgt und malträtiert - in Deutschland!". Braun warf dem iranischen Regime unter anderem vor, als Drahtzieher hinter mehreren Anschlägen auf jüdische Einrichtungen zu stehen. "Wann kommt die deutsche Antwort auf diese Machenschaften?", wollte er wissen.
Streit um Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation
Gabriela Heinrich (SPD) nahm die Bundesregierung in Schutz. Es gebe keine Fixierung auf das Nuklearabkommen, die Ampel werde "den Druck hochhalten". Die Protestbewegung wolle man durch Sanktionen und Interventionen bei den Gremien der Vereinten Nationen stärken. Agnieszka Brugger verwies nicht nur auf die Sanktionspakete der EU, sondern auch auf den von der Bundesregierung "maßgeblich mitinitiierten" Beschluss des UN-Menschenrechtsrates in Genf, der darauf abziele, die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen festzuhalten, "damit die Schuldigen die gerechte Strafe erfahren können".
Eine vom EU-Parlament bereits Mitte Januar aufgestellte Forderung bleibt jedoch offen: die EU-Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation. Die militärische Eliteeinheit gilt als hauptverantwortlich für das brutale Vorgehen gegen Demonstrierende im Iran, bisher stehen nur einzelne Mitglieder auf den Sanktionslisten der EU - auch weil sich die Mitgliedstaaten uneinig sind über diesen Schritt.
Das sorgt auch in den Reihen der Koalitionsfraktionen für Unmut. "Die juristischen Voraussetzungen liegen insbesondere aus Sicht des Europäischen Auswärtigen Dienstes noch nicht vor", bedauerte Brugger. Sie appellierte an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sich für eine Änderung der Rechtsauffassung einzusetzen. Bijan Djir-Sarai (FDP) bezeichnete die Revolutionsgarden als "Hauptträger des Systems" und hielt es für rechtlich möglich, diese auf die Terrorliste der EU zu setzen. "Man muss es nur politisch wollen." Daran hat CDU-Politiker Röttgen allerdings Zweifel: "Die Terrorlistung der Islamischen Revolutionsgarden ist der Wahrheitsfall, ob Sie mit dem Regime brechen wollen oder auf das Regime setzen", sagte er in Richtung Bundesregierung.
Das Parlament im Iran hat unterdessen kurz nach dem ersten Todestag von Jina Mahsa Amini eine Gesetzesreform auf den Weg gebracht, die harte Strafen für Verstöße gegen die Kleiderordnung vorsieht. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft, hohe Geldstrafen, Umerziehungskurse und Ausreisesperren. Schon zuvor hatte die berüchtigte Sittenpolizei die Kleiderkontrollen auf den Straßen verstärkt.