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Grüner Wasserstoff : Saubere Energie aus Afrika?

Ein deutsches Unternehmen investiert in Namibia Milliarden in die Wasserstoff-Produktion. Ein Vorbild für ähnliche Kooperationen mit anderen afrikanischen Staaten?

28.08.2023
2024-02-26T15:12:13.3600Z
6 Min
Foto: © picture-alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

Will keinen "grünen Energie-Imperialismus": Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, vorne links) mit Namibias Präsident Hage Gottfried Geingob.

Namibia ist bei deutschen Touristen ein beliebtes Reiseziel: Spektakuläre Wüsten und wilde Tiere im Etosha-Nationalpark locken Gäste an. Seltener dagegen besuchen hochrangige Politiker wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nebst großem Gefolge aus Wirtschaftsmanagern die einstige Kolonie des Deutschen Reiches. Denn wirtschaftlich betrachtet ist das Land im Süden Afrikas ein Zwerg. Vielbeachtet war daher der Auftritt Habecks dort im vergangenen Dezember. Namibias Präsident Hage Gottfried Geingob wähnte in Anbetracht der Delegation im Scherz schon eine "Invasion" auf sich zurollen. Doch eine neuerliche Kolonialisierung liegt der Bundesregierung fern: Habeck bekannte sich zur Anerkennung des Genozid an den Völkern der Herero und Nama Anfang des 20. Jahrhunderts.

Transport per Schiff nach Deutschland geplant

Der Grund der Reise war jedoch kein historischer, sondern ein höchst aktueller. Deutschland braucht saubere Energie und die soll ab 2027 in Form von Wasserstoff unter anderem aus Namibia kommen. Zehn Milliarden Euro investiert ein Gemeinschaftsunternehmen dort in die Produktion von grünem Wasserstoff. Per Schiff soll das Gas dann nach Deutschland transportiert werden und helfen, den gewaltigen Bedarf der hiesigen Industrie an erneuerbaren Energien zu decken. Gleichzeitig erhoffen sich die Politiker beider Seiten davon auch einen Entwicklungsschub für das Land auf partnerschaftlicher Basis. Es sollen neue Jobs entstehen und die Hafenstadt Lüderitz vom Transport des Wasserstoff-Derivats Ammoniak profitieren.

"Die Gründung eines Joint-Ventures ist eine gute Option", erläutert Simon Gerards, Rohstoffexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Die Länder des globalen Südens seien in der Vergangenheit oft reine Rohstofflieferanten gewesen, ohne langfristig Wohlstand erwirtschaften zu können. Gerards sieht in dem kooperativen Vorgehen eine Chance für Entwicklungs- und Schwellenländer, in eine neue Rolle als Handelspartner mit nachhaltiger Strategie zu kommen. Zurück in die Vergangenheit will auch Habeck auf keinen Fall. "Das Letzte, was wir akzeptieren dürfen, ist eine Art von grünem Energie-Imperialismus", stellte er klar.

Taugt Namibia als Vorbild?

Partnerschaft und Kooperation - so sieht die Strategie Deutschlands im weltweiten Wettbewerb um wichtige Rohstoffe aus. Energie ist nur einer davon, wenngleich der wohl wichtigste. Die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern hat sich als Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine schmerzlich gezeigt. Nun arbeiten die EU, aber auch die Mitgliedsländern an einer Diversifizierung der benötigten Importe, um neuerlichen Notlagen in anderen Krisen vorzubeugen. Namibia ist nur ein Beispiel. Aber taugt es als Vorbild für andere Länder?

Viele Zukunftstechnologien benötigen Rohstoffe, die im eigenen Land nicht oder nicht in ausreichenden Mengen zu finden sind. "Deutschland ist bei vielen für die Energiewende und E-Mobilität wichtigen mineralischen Rohstoffen aus China bereits heute abhängiger als vom Öl und Gas aus Russland", warnt der Bundesverband der Deutschen Industrie. Lithium ist das wohl herausragende Beispiel für einen wachsenden Bedarf an Metallen. Der Rohstoff wird für die Herstellung der Batterien für E-Autos benötigt.

Die Liste der zunehmend für Zukunftstechnologien benötigten Rohstoffe ist lang. Darauf finden sich landläufig bekannte Stoffe wie Nickel, Kobalt, Kupfer, Titan und Platin. Viele Bezeichnungen sind dagegen weitgehend unbekannt. Von Indium, Rhenium, Ruthenium, Scandium, Germanium oder Iridium haben vermutlich die meisten noch nichts gehört. Einige gehören zur Gruppe der Seltenen Erden. Der Begriff täuscht, denn diese Metalle sind nicht alle selten. Aber sie sind begehrt und zum Teil fast ausschließlich in China zu finden. Ob Windkraftanlage, Computer, Steuerungstechnik, E-Mobilität oder auch die digitalisierte Landwirtschaft - vieles ist ohne diese Rohstoffe nicht möglich.

Oft fehlt die Stabilität

Wie hoch der Bedarf in den kommenden Jahrzehnten tatsächlich sein wird, lässt sich nicht genau vorhersagen. Die Prognosen weisen je nach Annahme des technologischen Fortschritts und politischer Rahmensetzung eine beträchtliche Spannbreite auf. Es geht aber nicht nur um den Rohstoff selbst. Auch bei der Weiterverarbeitung gibt es teilweise eine hohe Konzentration. Für die Versorgungssicherheit der deutschen Industrie ist dies problematisch.

Mit der neuen Rohstoffstrategie der Bundesregierung will sich das Land aus der Abhängigkeit so weit wie möglich befreien. Das ist nicht nur eine Frage des Grades, in dem die Industrie auf Lieferungen aus einzelnen Ländern angewiesen ist. Auch das politische Umfeld spielt eine wichtige Rolle. "Dies setzt ein stabiles politisches System und einen korruptionsarmen Raum voraus", sagt IW-Experte Gerards. Das ist alles andere als selbstverständlich. In wichtigen Erzeugerländern herrschen politisch instabile Verhältnisse oder die Menschenrechte werden nicht ausreichend gewahrt. Instabilität gefährdet die Sicherheit der Lieferketten.


„Der Glaube an 'Wandel durch Handel' und an apolitische Wirtschaftsbeziehungen waren eine Illusion“
Simon Gerards, Rohstoffexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft

Das IW sieht daher einen Paradigmenwechsel aufziehen. "Der Glaube an 'Wandel durch Handel' und an apolitische Wirtschaftsbeziehungen waren eine Illusion", stellt Gerards fest. An dessen Stelle rücke ein "Wandel durch Investitionen". Diesem Prinzip folgt auch das Abkommen mit Namibia über die Wasserstoffproduktion.

Instabile Verhältnisse dürften aber in afrikanischen Ländern vielfach noch ein Hemmnis für ähnliche Übereinkünfte darstellen. Das IW wirft daher den Blick weiter in Richtung Lateinamerika. "Viele lateinamerikanische Staaten verfügen nicht nur über große Rohstoffvorkommen, sondern weisen auch eine hohe Demokratiedichte auf", erläutert Gerards.

Vorräte wecken Begehrlichkeiten

Schon lange bezieht Europa von den Staaten dort Rohstoffe, von Getreide über Kautschuk, Salpeter, Holz und vergleichsweise kurze Zeit vor allem Lithium. Hier verfügt Chile allein über gut 40 Prozent der Weltreserven.

Auch wenn der aktuelle Produktionsanteil an manchen Rohstoffen in südamerikanischen Ländern nur gering ist, wecken die Vorräte dennoch Begehrlichkeiten. Peru fördert beispielsweise nur zwei Prozent des Selens, sitzt aber auf 13 Prozent der weltweiten Reserven. Auch bei der Energieerzeugung mischen die Lateinamerikaner mit. Chile hat eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen; Argentinien wird vom IW ein hohes Wachstumspotenzial in diesem Bereich zugemessen.

Deutschland hat in der Vergangenheit bereits eine Reihe von Partnerschaften aufgebaut. Brasilien ist nach Angaben der Deutschen Rohstoffagentur ein unverzichtbarer Lieferant von Erzen und Industriemineralien. Mit Chile vereinbarte die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2013 eine strategische Partnerschaft zum Bergbau. Auch mit der Mongolei, Kasachstan, Südafrika und Peru sind Kooperationen aufgebaut worden.

Staatliche Hilfe ist nötig

Doch diese Aufzählung zeichnet ein zu schönes Bild, wie das IW feststellt. Trotz Absichtsbekundungen aus der Wirtschaft gebe es kaum Diversifizierungen bei Investitionen und Handelsströmen. "Zahlreiche kritische Rohstoffe beziehen wir aus China, gerade für zukunftsorientierte Bereiche wie die Halbleiterindustrie", kritisiert das Institut. Dafür gibt es nach Einschätzung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) auch eine Reihe guter Gründe. Das zeigt gerade das Beispiel Namibia. "Der Erfolg steht und fällt mit der Förderung von Wasserstoffprojekten", sagt BDI-Fachmann Matthias Wachter. Die Produktion sei viel zu teuer. Ohne staatliche Hilfen gebe es keine Abnehmer dafür.

Bei anderen Rohstoffen, die im Bergbau gefördert werden, kommt ein anderes Problem dazu. Die deutschen Industrieunternehmen haben sich aus dem Bergbau verabschiedet. Es gibt auch trotz Rohstoffknappheit kaum Ambitionen für eine Rückkehr ins Schürfgeschäft. Der Bergbau würde den Unternehmen zudem Minuspunkte bei Nachhaltigkeitsbewertungen eintragen. Es müssten also lokale Partner für den Bergbau gefunden werden, sagt Wachter. Mit langfristigen Abnahmeverträgen könnten solche Partnerschaften abgesichert werden. Auch hier sei wieder der Staat gefordert. Die Politik könne dies durch Investitionsgarantien oder ungebundene Finanzkredite unterstützen.

Anpassen an raue Gepflogenheiten des Rohstoffgeschäfts?

Einer schnellen Diversifikation der Lieferketten für Rohstoffe stehen auch die hohen Standards in Europa im Wege. "Ein zweites Problem ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz", erläutert Wachter. Die Unternehmen könnten es vor Ort oft nicht durchsetzen. Einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zufolge überlegt fast jedes vierte unter das Gesetz fallende Unternehmen, Handelsbeziehungen zu beenden oder sich aus Risikoländern zurückzuziehen.

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Auch der Rohstoff-Experte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Lukas Menkhoff, gibt sich da keinen Illusionen hin. "Wenn man die eigenen Ansprüche hoch hängt", warnt er, "muss man die Kosten dafür tragen." Viele Länder würden sich dagegen wehren, sich die deutschen Standards aufdrängen zu lassen. Wenn es mit der Zusammenarbeit mit neuen Lieferländern etwas werden soll, muss sich Deutschland wohl den rauen Gepflogenheiten des Rohstoffgeschäfts anpassen. "Entweder wir machen Konzessionen oder wir müssen mehr bezahlen", so Menkhoff. 

Wolfgang Mulke ist freier Wirtschaftsjournalist.