Interview zur Bologna-Reform : "Der Bologna-Prozess hat ein Umdenken initiiert"
Vor 25 Jahren wurde die Bologna-Reform beschlossen. Ist die Umsetzung der Studienreform geglückt? Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung im Interview.
#1
Herr Müller, am 19. Juni 1999 wurde die Bologna-Reform beschlossen. Welche Bilanz kann gezogen werden?
Ulrich Müller: Eine ziemlich positive: Der Bologna-Prozess hat ein Umdenken initiiert. Bologna hinterfragte eingefahrene universitäre Muster und sorgte für massiven Veränderungsdruck.
Hinter der - zum Glück nur noch vereinzelt zu vernehmenden - Fundamentalkritik am Bologna-Prozess, übrigens fast nur aus Universitäten, steckt nicht selten die fehlende Bereitschaft, die Studierendenperspektive in den Mittelpunkt der Hochschule zu rücken.
Ulrich Müller ist Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter für politische Analysen beim gemeinnützigen Centrum für Hochschulentwicklung.
#2
Was muss noch verbessert werden?
Ulrich Müller: Inzwischen sind viele Studiengänge bereits im Bachelor inhaltlich sehr spezialisiert angelegt. Es wäre sinnvoller, eine Spezialisierung erst im Master vorzusehen. Und: Es muss auch nicht die Regel bleiben, den Master-Studiengang unmittelbar an den Bachelor anzuschließen.
Die Hochschulen sollten Studierende ermutigen, mit dem Bachelor erste Erfahrungen im Berufsleben zu sammeln und den Master dann berufsbegleitend zu machen.
#3
Das Ziel der Bologna-Reform war es, dass junge Menschen nach drei Jahren Studium fit für den Arbeitsmarkt sind. Hat das funktioniert?
Ulrich Müller: Universitätsabsolvent*innen machen im Durchschnitt heute mit 26 Jahren ihren Master. 1996 waren sie im Schnitt über 30. Arbeitgeber beklagten sich in den 1990er Jahren, dass Hochschulabsolvent*innen zu alt seien. Vor einigen Jahren tauchte dann die Frage auf, ob Hochschulabsolvent*innen nicht zu jung seien. Diese Kritik hört man angesichts des heutigen Fachkräftemangels aber kaum noch.
#4
Das Jura- oder Medizinstudium endet meistens noch immer mit dem Staatsexamen. Ist das problematisch?
Ulrich Müller: Das klassische Jurastudium als ziemlich resistente Bastion der Bologna-Verweigerer illustriert als Negativbeispiel sehr gut, was es für Folgen hat, den mit Bologna verbundenen Paradigmenwechsel zu ignorieren.
Zum Beispiel stehen Studierende, die nach jahrelangem Studium zweimal durch das Erste Staatsexamen fallen, mit leeren Händen da. Das sorgt für hohen individuellen Druck. Auch spielen die internationale Perspektive und der Praxisbezug nicht die Rolle, die sie in der heutigen Berufswelt und Lebensrealität spielen sollten.
#5
Ziel von Bund und Ländern ist es, dass noch mehr Studierende Auslandserfahrungen sammeln. Welche Förderungen bräuchten junge Menschen dafür?
Ulrich Müller: Aufgrund der klaren Anrechnungsregeln war es noch nie mit so wenig Aufwand verbunden, ein in Deutschland begonnenes Studium für einige Semester oder gar bis zum Abschluss im Ausland fortzuführen.
Das größte Hindernis für mehr Mobilität ist die Finanzierung. Wer sein Studium mit einem Nebenjob selbst finanzieren muss, kann sich ein Auslandssemester schlicht nicht leisten. Da müssen staatliche Förderprogramme ausgebaut werden.