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Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Kritik : Fünf Fragen zu Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

Juniorprofessorin Amrei Bahr hat die Initiative #IchBinHanna ins Leben gerufen. Sie kritisiert das Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

26.06.2023
True 2024-03-14T09:51:43.3600Z
2 Min

#1

Sie haben die Protest-Initiative #IchBinHanna mit ins Leben gerufen. Ein Hashtag, mit dem Forschende über ihre Arbeitsbedingungen berichten. Wie sieht dieser aus?

Amrei Bahr: Aktuell ist die Situation für die meisten Wissenschaftler in Deutschland sehr prekär. Sie müssen sich von einem Kettenvertrag zum nächsten hangeln. Es fehlt an Möglichkeiten, langfristig in der Wissenschaft zu arbeiten.

Foto: privat
Amrei Bahr
ist Juniorprofessorin an der Uni Stuttgart und Initiatorin von #IchbinHanna.
Foto: privat

#2

Woran liegt das?

Amrei Bahr: Nur sehr wenige Stellen werden unbefristet vergeben, viele sind Professuren. Wer keine davon ergattern kann, muss nach spätestens zwölf Jahren und zahlreichen Kurzzeitverträgen den Wissenschaftsbetrieb verlassen. Das ist eine Folge des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Dies führt dazu, dass der Großteil der Menschen, die viele Jahre lang das System am Laufen halten, am Ende ohne Perspektive dasteht.

#3

Ziel dieser Befristungspraxis ist es, regelmäßig neue Forschende und damit auch neue Ideen und Innovationen in die Wissenschaftsbetriebe zu holen. Geht der Plan auf?

Amrei Bahr: Das Problem an dem Gesetz ist, dass es keine Anreize setzt, unbefristete Stellen zu schaffen. Da kein Instrument darauf hinwirkt, dass es für die Forschenden nach zwölf Jahren Befristung weitergeht, wandern viele mitsamt ihrer Expertise in die freie Wirtschaft oder ins Ausland ab. Gleichzeitig können Kurzzeitverträge Forschende aus dem Ausland daran hindern, hier zu arbeiten, weil beispielsweise ihre Aufenthaltserlaubnis von einem gültigen Arbeitsvertrag abhängt. Dadurch geht dem Wissenschaftsstandort Deutschland enorm viel Kompetenz verloren.

#4

Die Regierung hat angekündigt, das Gesetz zu überarbeiten. Laut einem Entwurf dürfen Beschäftigte nach der Promotion (sogenannte Postdocs) nur noch maximal vier statt bisher sechs Jahre ohne eine Perspektive auf Entfristung befristet angestellt werden. Ist dies ein Schritt in die richtige Richtung?

Amrei Bahr: Der neue Entwurf wird die Situation eher weiter verschlechtern. Die Arbeitgeber könnten immer noch für vier Jahre von der Forschung der Postdocs profitieren und sie dann auf die Straße setzen. Es fehlt also der Anreiz, sich überhaupt an seine Forschenden zu binden. Gleichzeitig erhöht sich der Druck auf die Postdocs selbst, schneller als bisher eine unbefristete Stelle finden zu müssen. Das ist kein gutes Modell.

#5

Wie sähe denn ein gutes Modell aus?

Amrei Bahr: Um die im Koalitionsvertrag versprochene Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase zu erhöhen, muss die Zeit bis zu einer verlässlichen Anschlusszusage für eine unbefristete Stelle möglichst kurz sein: Sie sollte maximal zwei Jahre dauern. So rechnet sich der Personalaustausch für Arbeitgeber nicht mehr.

Zusätzlich sollte man mit einer Befristungshöchstquote arbeiten. Dadurch wäre für jede wissenschaftliche Einrichtung klar geregelt, wie viele befristete Stellen sie haben darf.