Berufsorientierung in Schulen : Ohne Schulabschluss droht prekäre Beschäftigung
Tausende Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss. Die Folge sind prekäre Jobs und Ungleichheit. Kann die Berufsorientierung an Schulen Abhilfe schaffen?
Rund 1,7 Millionen Menschen unter 30 Jahren haben in Deutschland keinen Schulabschluss.
Das Schuljahr ist zu Ende - und für viele Jugendliche endet damit ihre Schulzeit. Auch in diesem Jahr wird sich ein Trend fortsetzen, der sich seit langem verfestigt: Zehntausende Schulabgänger verlassen die Schule ohne Abschluss.
Anfang Juli hat das Statistische Bundesamt die jüngsten Zahlen veröffentlicht. Demnach verließen im Jahr 2021 rund 47.500 Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden Schulen ohne Abschluss. Das entspricht einem Anteil von 6,2 Prozent. Ein Jahr zuvor hatte der Anteil bei sechs Prozent gelegen. 2019 waren es gar 6,8 Prozent, ein Rekordwert.
Dabei haben Menschen ohne Abschluss haben ein höheres Risiko, in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu landen. In einer aktuellen Studie warnt die Bertelsmann-Stiftung davor, dass die jetzigen Abgänger ohne Abschluss als "Nachwuchs" zu den bereits rund 1,7 Millionen jungen Erwachsenen unter 30 Jahren stoßen werden, die keinen Abschluss haben.
Dauerhaft keine Chance auf dem Arbeitsmarkt
"Am deutschen Arbeitsmarkt ist eine abgeschlossene Berufsausbildung von großer Bedeutung", sagt Professor Ludger Wößmann vom Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik. Das lasse sich sehr deutlich an den aktuellen Arbeitslosenquoten ablesen: Während die Quote bei Menschen mit Berufsausbildung bei drei Prozent liege, betrage sie bei Menschen ohne Berufsausbildung rund 20 Prozent. "Viele junge Menschen, die ohne beruflichen Bildungsabschluss bleiben, werden also keine dauerhaft sichere Arbeit haben", so Wößmann.
In einer aktuellen Untersuchung für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft hat Wößmann zusammen mit Kollegen des Aktionsrats Bildung dargelegt, wie die berufliche Souveränität der Bevölkerung gestärkt werden könnte. Dabei ist aufgefallen, dass die Berufsorientierung von Jugendlichen in Deutschland sehr stark an Berufsfeldern der Vergangenheit ausgerichtet ist, die Gefahr laufen, in Zukunft automatisiert zu werden. Diese Ausrichtung ist unter Jugendlichen mit benachteiligtem sozioökonomischem Hintergrund besonders stark ausgeprägt, was eine weiter steigende Ungleichheit erwarten lässt.
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Das enge Berufswahlspektrum spiegelt sich seit Jahren auch in den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen wider. Regelmäßig entfallen rund drei Viertel aller neuen Verträge auf die 25 meistgewählten Berufe. Zu den beliebtesten Ausbildungsplätzen bei Frauen zählen nach wie vor Bürokauffrau und medizinische Fachangestellte. Junge Männer interessieren sich bevorzugt für eine Ausbildung zum Automechatroniker oder Verkäufer.
Berufsorientierung an allen Schulformen ausweiten
Wößmann plädiert dafür, Kinder und Jugendliche umfassend über die Breite und Vielfalt der Berufswahlmöglichkeiten zu informieren. Das sei eine wichtige Aufgabe der Schulen. Dazu müssten entsprechende fachbezogene und fächerübergreifende Unterrichtsinhalte in die Lehrpläne aufgenommen beziehungsweise deutlich gestärkt werden. Bestehenden "Genderstereotypen", die bei der Berufswahl immer noch eine große Rolle spielten, müsse "aktiv entgegengetreten werden", schreibt der Aktionsrat Bildung.
Unterstützung erhält er für diese Idee von Professor Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB): "Grundsätzlich muss die Berufsorientierung an allen Schulformen ausgeweitet werden, wobei klar ist, dass eine verbesserte Berufsorientierung allein die großen Herausforderungen am Ausbildungsmarkt nicht lösen kann." Dabei sollten Formate gewählt werden, die die Jugendlichen ansprächen und mögliche Karrierepfade aufzeigten. Nur wer sich im Vorfeld damit beschäftige, welche Optionen sich bieten, könne diese auch kennenlernen und ausprobieren. Im Nachgang müssten diese Praxiserlebnisse dann reflektiert werden und in weitere konkrete Schritte münden.
Zu lange vernachlässigt wurde nach Meinung von BIBB-Präsident Esser das Thema Teil- und Zusatzqualifikationen. Ohne das Berufsprinzip zu gefährden, sollten Menschen ohne Schulabschluss stärker als bislang die Möglichkeit zur Kompetenzförderung bekommen. Damit könnten "Erfolgserlebnisse im Bildungsweg ermöglicht und so mittelfristig die Zahl der Fachkräfte erhöht werden", sagt Esser. Das Potenzial sei vorhanden. Bei einer Halbierung der Abbrecherquoten im beruflichen und hochschulischen Bereich bis 2030 könnten so zum Beispiel mehr als 340.000 zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden.