Kita-Ausbau : Sind die Grenzen des Wachstums erreicht?
Der Kita-Ausbau hält mit dem wachsenden Bedarf nicht Schritt- auch weil Fachkräfte fehlen. Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage ist zuletzt noch tiefer geworden.
Mehr als eine halbe Million neue Betreuungsplätze und nahezu eine Verdopplung der Beschäftigtenzahlen: Der Kita-Ausbau in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Eigentlich. Doch obwohl der Bund seit 2008 Milliarden in die Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige investiert, hält der forcierte Ausbau mit dem wachsenden Bedarf nicht Schritt. Noch immer bekommt nicht jedes Kind, dessen Eltern sich Betreuung wünschen, einen Kitaplatz.
Betreuungslücke schließen gleicht Mammutaufgabe
Die Kluft zwischen Platzangebot und Nachfrage ist zuletzt sogar noch tiefer geworden. Dafür verantwortlich seien nicht nur die bis 2018 jährlich gestiegenen Geburtenzahlen so Kirsten Fuchs-Rechlin, Leiterin der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte des Deutschen Jugendinstituts (DJI, siehe auch Interview). "Wir haben gerade bei den unter Dreijährigen noch immer einen ungedeckten Betreuungsbedarf, weil sich mehr Eltern einen Kita-Platz für ihr Kind wünschen." Laut "DJI-Kinderbetreuungsreport 2020" stieg der Bedarf bei den unter Dreijährigen zwischen 2013 und 2019 von 39 auf 49 Prozent. Mehr als ein Drittel der Eltern mit Bedarf ging leer aus. "In den kommenden Jahren werden mehr neue Plätze gebraucht, als im vergangenen Jahrzehnt bereits geschaffen wurden", prognostizierte DJI-Direktor Thomas Rauschenbach 2019.
Die Betreuungslücke zu schließen, ist eine Mammutaufgabe: Vielerorts stockt der Kita-Ausbau gar - vor allem, weil Fachkräfte fehlen. Die Zahl der Auszubildenden lasse sich nicht mehr grenzenlos steigern, heißt es im "Fachkräftebarometer 2019" mit Verweis auf nur noch zaghaft steigende Anfängerzahlen. "Die Grenzen des Wachstums könnten mittlerweile erreicht sein." Wie groß die Personalnot ist, dazu gibt es unterschiedliches Berechnungen. Während die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik der TU Dortmund bislang von bis zu 70.000 fehlenden Fachkräften bis 2025 ausging, rechnet die Bertelsmann Stiftung mit einem weit höheren Bedarf: Um einen kindgerechten Personalschlüssel in allen Kitas bis 2030 zu gewährleisten, brauche es mehr Personal, als sich bis dahin ausbilden lasse, so das Fazit des 2021 erschienenen "Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule". Der Report beziffert die Lücke zwischen prognostiziertem Bedarf und erwartetem Fachkräfteangebot auf mehr als 230.000 Erzieher. Diese Kluft lasse sich bis Ende des Jahrzehnts auch nicht durch mehr Ausbildung schließen, weil obendrein Lehrpersonal fehle.
Kita-Ausbau
Gesetze: Das Kinderförderungsgesetz (2008) forcierte den Ausbau an Plätzen. Das Gute-Kita-Gesetz (2019) zielt auf Qualitätsentwicklung und Entlastung der Eltern bei den Gebühren. 5,5 Milliarden Euro stellte der Bund dafür bereit.
Investitionen: Rund 3,3 Milliarden Euro umfassten die ersten drei Investitionsprogramme des Bundes, mit denen seit 2008 mehr als 560.000 zusätzliche Plätze geschaffen wurden. Weitere 190.000 sollen mit zwei weiteren Investitionsprogrammen entstehen. Hierfür gibt es noch einmal 2,1 Milliarden Euro.
Rechtsansprüche: Kinder ab dem 1. Lebensjahr haben seit 2013 ein Recht auf Betreuung. Ab 2026 gilt dies auch für Kinder im Grundschulalter.
Von einem optimalen Personalschlüssel sind die Kitas trotz Fortschritten weit entfernt, monieren Experten. Statt einem empfohlenen Verhältnis von 1:3 bei den unter Dreijährigen, kommt eine Erzieherin im Schnitt auf 4,1 Kinder. Das von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegte "Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme" belegt zudem deutliche regionale Unterschiede: Während im Osten im Schnitt 5,5 Kleinkinder von einer Vollzeitkraft betreut werden, sind es im Westen rechnerisch 3,5. Hier fehlen indes trotz Kita-Ausbau noch immer Betreuungsplätze - nur 31 Prozent der unter Dreijährigen besuchen im Westen eine Kita. Im Osten sind es 51 Prozent. Zahlen, die auch der zweite Monitoringbericht zum Gute-Kita-Gesetz bestätigt.
Gewerkschaft fordert flächendeckende Mindeststandards
Das vom Bund mit dem Gute-Kita-Gesetz bis 2022 bereitgestellte Geld hätten die Länder nicht verwendet, um die Kita-Qualität zu verbessern, kritisiert der Verband Bildung und Erziehung. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordert, flächendeckende Mindeststandards und Qualitätsverbesserungen über ein Sondervermögen dauerhaft zu finanzieren. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) kündigte bereits eine Weiterentwicklung und Fortführung des Gute-Kita-Gesetzes an.
Die regionalen Unterschiede bei Teilhabe und Qualität könnten bis 2030 ausgeglichen werden, zeigte sich die Bertelsmann Stiftung zuletzt optimistisch. Voraussetzung sei, dass Bund und Länder ihre Bemühungen besser koordinierten. Helfen kann aber auch, dass die Geburtenraten sinken.