Ampel hat Reform versprochen : Union fordert mehr Tempo für den akademischen Mittelbau
Die Koalition hatte angekündigt, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu reformieren - bisher ohne Ergebnis. Die Union beklagt die mangelnden Fortschritte.
"Ich bin Hanna". Mit diesem Satz haben seit Juni 2021 tausende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den sozialen Medien gegen prekäre Arbeitsbedingungen protestiert. Zeitweise war die Aussage als Hashtag auf Platz eins der deutschen Trends im Kurznachrichtendienst X (zuvor Twitter). In über 135.000 Beiträgen kritisieren vor allem Menschen, die eine Promotion oder Habilitation anstreben, die befristeten Arbeitsstellen und die schlechte Bezahlung.
Der Grund für diese Situation ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Dieses ermöglicht Arbeitgebern die großzügige Befristung von Arbeitsstellen in der Wissenschaft, die weit über die ansonsten im Arbeitsrecht festgelegten Möglichkeiten der Befristung hinausgehen.
93 Prozent der Promovierenden sind zwangsläufig in Teilzeit beschäftigt - Grund zum Protest, sagen tausende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ganz Deutschland.
Zwar hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Juni einen Referentenentwurf zur Novellierung des Gesetzes vorgelegt. Die tatsächliche Beschlussfassung im Kabinett oder ein konkretes Gesetzgebungsverfahren stehen jedoch aus. Die Unionsfraktion hat die Bundesregierung daher in einer Großen Anfrage zum weiteren Vorgehen hinsichtlich des WissZeitVG befragt. So wollen die Abgeordneten unter anderem erfahren, ob die Bundesregierung weiterhin die Novellierung des Gesetzes beabsichtigt und wann das neue Gesetz in Kraft treten soll. Am Mittwochabend wurde das Thema im Plenum diskutiert.
Enorme Belastung für Forschende
Begründet werden befristete Stellen in der Wissenschaft meist damit, dass so nachrückenden Generationen der Zugang zu wissenschaftlichen Tätigkeiten ermöglicht wird. Doch die fehlenden Aussichten auf eine Festanstellung belasten junge Forschende. Laut der Evaluation des WissZeitVG vom Mai 2022 sind durchschnittlich 81 Prozent aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in Deutschland eine Professur anstreben, befristet angestellt. Bei den Promovierenden sind es sogar 93 Prozent. Einige wandern deshalb ins Ausland ab oder gehen zu besseren Konditionen in die freie Wirtschaft.
Thomas Jarzombek (CDU) fragte die Bundesregierung im Plenum nach dem Referentenentwurf und sagte, dass die fehlende Novellierung des Gesetzes zum Startchancenprogramm oder dem versprochenen einkommensunabhängigen BAföG passe -auch diese im Koalitionsvertrag angekündigten Projekte ließen auf sich warten. Jarzombek appellierte: Es sei an der Zeit, Anreize für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu schaffen.
Auch Marc Jongen (AfD) kritisierte die nicht vorliegende Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Leidtragende seien junge deutsche Wissenschaftler, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen steckten. Mindestvertragslaufzeiten seien dringend notwendig. Zugleich mahnte Jongen, dass es nicht funktionieren werde, die aus gutem Grund befristeten Postdoc-Stellen in Dauerstellen umzuwandeln, da nachrückende Wissenschaftler sonst vor "verschlossenen Türen" stünden.
Abgeordnete streiten über die Qualifikationsphase
Mindestvertragslaufzeiten seien im Referentenentwurf bereits enthalten, erwiderte Stephan Seiter (FDP). Dennoch sei eine gewisse Zeit in der Wissenschaft notwendig, um sich für eine Professur oder andre Führungsposition zu qualifizieren. Eine Qualifikationszeit werde es daher auch zukünftig geben. Carolin Wagner (SPD) benannte in ihrer Rede die konkreten Mindestvertragslaufzeiten, auf die sich die Koalition verständigt habe: Ein Jahr für Hilfskräfte, drei Jahre für die Promotion und zwei Jahre für die Postdoc-Phase.
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG)
👩🎓 Befristung: Wissenschaftliches Personal darf nach dem WissZeitVG bis zu einer Dauer von sechs Jahren vor der Promotion und sechs Jahren nach der Promotion befristet beschäftigt werden.
👨🔬 Vertragslaufzeiten: Das WissZeitVG macht keine Vorgaben zu einer Mindestlaufzeit von Verträgen. Daher sind viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in mehreren aufeinanderfolgenden zwei bis drei Jahresverträgen bis zur Promotion oder Habilitation angestellt.
🧬 Evaluation: 2022 wurde das WissZeitVG im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung evaluiert. Festgestellt wurde, dass 81 Prozent des wissenschaftlichen Personals der Hochschulen befristet beschäftigt sind. Bei den Promovierenden lag die Quote der befristet Beschäftigten bei 93 Prozent.
Neben den Mindestvertragslaufzeiten sei sich die Koalition auch bei den familienpolitischen Komponenten einig, befand Laura Kraft (Bündnis 90/Die Grünen). Die Reform des WissZeitVG sei dennoch "sehr komplex". Das dauernde Verschleppen und Vertrösten der längst überfälligen Reform nannte Nicole Gohlke (Die Linke) eine Zumutung gegenüber den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Der ständige Wettbewerb um Gelder sei keine Wissenschaftsfreiheit, sondern verhindere, sich anständig auf einen wissenschaftlichen Gegenstand konzentrieren zu können.