Wissenschaftspreis verliehen : Bundestagspräsidentin Bas: "Unterschätzen wir die Parlamente nicht"
Der Wissenschaftspreis des Bundestages geht im Jahr 2023 an Oliver Haardt und Mechthild Roos. Die Preisträger betonten den zunehmenden Einfluss der Parlamente.
Die Preisträger: Die Politologin Mechthild Roos (l) und der Historiker Oliver Haardt (r) werden für ihre herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten zum Parlamentarismus gewürdigt.
Abgeordnete müssen manchmal Nervensägen sein und den Regierungen zur Last fallen, wenn sie ihren Einfluss erweitern wollen. Den wissenschaftlichen Nachweis für diese Erkenntnis haben Oliver Haardt und Mechthild Roos geliefert. Für ihre Arbeiten hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ihnen vergangenen Mittwoch den Wissenschaftspreis 2023 des Deutschen Bundestages verliehen. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis, der seit 1997 alle zwei Jahre ausgeschrieben wird, würdigt hervorragende wissenschaftliche Arbeiten, "die zur Beschäftigung mit Fragen des Parlamentarismus anregen und zu einem vertieften Verständnis parlamentarischer Praxis beitragen".
Arbeiten zum Deutschen Kaiserreich und den Anfängen des Europäischen Parlaments
Der Historiker und freie Autor Oliver Haardt erhielt die Auszeichnung für sein 944 Seiten umfassendes Werk "Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreichs" aus dem Jahr 2020. Der gebürtige Rheinland-Pfälzer studierte am Trinity College der Universität Cambridge Geschichte. In seiner wissenschaftlichen Arbeit kommt er zu dem Ergebnis, dass der Reichstag zu einem der Orte wurde, "an denen das Kaiserreich zu einem einheitlichen Staat zusammenwuchs - auf Kosten des damaligen Bundesrates", wie Bas hervorhob.
Die Politikwissenschaftlerin Mechthild Roos bekam den Preis für ihre Dissertation "The Parliamentary Roots of European Social Policy. Turning Talk into Power" aus dem Jahr 2021, in der sie sich mit den Anfängen des Europäischen Parlaments vor den ersten Direktwahlen im Jahr 1979 beschäftigt. Sie weist nach, dass das Europaparlament schon früh trotz begrenzter Kompetenzen politischen und gesetzgeberischen Einfluss entwickelt hat. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Augsburg erhielt die Nachricht, dass sie den Wissenschaftspreis erhalte, beim Windelwechseln ihres Kindes, wie sie am 22. Februar glücklich twitterte.
Debatten statt Talk-Shows
Beide Studien zeigten, so die Bundestagspräsidentin, dass der Reichstag und das frühe Europaparlament stärker waren als es die Reichsverfassung oder die europäischen Verträge vermuten ließen. Die frühen Europaabgeordneten hätten öffentlich Druck für ihre Anliegen aufgebaut, sich mit anderen Institutionen verbündet, sich mit Fachleuten vernetzt und sich demonstrativ an die Seite der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Sie hätten geschickt ihre Doppelrolle im supranationalen Europaparlament und in den nationalen Parlamenten genutzt, um ihre Institution zu stärken. Für Bas lautet die politische Botschaft: "Unterschätzen wir die Parlamente nicht!" Entscheidend sei, dass am Ende der demokratische Streit im Parlament und nicht in den Talk-Shows öffentlich ausgetragen wird.
"Der Reichstag habe verstanden, Freiräume zu nutzen und dadurch seinen Einfluss zu erweitern."
Bas erinnerte daran, dass die Plenardebatten im Bundestag und viele Ausschusssitzungen live auf der Website des Bundestages übertragen werden. Diese Transparenz mache die Verantwortlichkeiten für die politischen Entscheidungen klar. Die Abgeordneten hätten "allen Grund, selbstbewusst zu sein" und könnten sich dabei auch mal von Abgeordneten des Reichstags und des Europaparlaments inspirieren lassen.
Beide Preisträger hoben übereinstimmend hervor, dass der zunehmende Einfluss der Parlamente weniger durch Krisensituationen als durch die politische Alltagsarbeit bestimmt sei. Der Reichstag habe verstanden, Freiräume zu nutzen und dadurch seinen Einfluss zu erweitern. Das Europaparlament wiederum habe versucht, sich als "Stimme der Bevölkerung" zu etablieren.