Editorial : Probleme eingepreist
Über Kapitalismus wird häufig gestritten. Das Bewusstsein für seine Auswirkungen ist gestiegen, doch kein Wirtschaftssystem hat der Menschheit bislang besser getan.
Auch seine ärgsten Kritiker müssen feststellen, dass der Kapitalismus der Menschheit viel Gutes gebracht hat. Wobei sie dabei anmerken dürften, dass dies nur für den Teil gelte, der dafür nicht ausgebeutet werde. Es ist ein Fakt, dass es die kapitalistischen Gesellschaftssysteme waren, die in den vergangenen 200 Jahren kontinuierlich an Wohlstand, Lebensqualität und Gesundheit gewonnen haben. Aber jedenfalls zum Teil ging diese geschichtlich unvergleichliche Entwicklung auf Kosten anderer Länder und der Umwelt.
Für beide Aspekte ist in den vergangenen Jahrzehnten das Bewusstsein kontinuierlich gestiegen, und die Politik reagiert hierauf. Dekarbonisierung, Ressourcenschonung beispielsweise durch Recycling oder zuletzt das Lieferkettengesetz sind Versuche, die negativen Begleiterscheinungen zu reduzieren. Umsonst ist auch das im Kapitalismus nicht, die Kosten werden im Preis einkalkuliert. Nicht mehrheitsfähig ist bislang eine andere Option: der Verzicht. Durch das Wachstum der Wirtschaft kann die breite Bevölkerung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr konsumieren. Sie macht dies gerne; von der Politik verordnete Zurückhaltung hat es daher bei Wahlen regelmäßig schwer.
Kapitalismuskritik als Verkaufsschlager
Umso mehr beschäftigten sich zuletzt sowohl die Talkshows im Fernsehen als auch der Buchmarkt kritisch mit dem Kapitalismus. Selbst die Kritik am Kapitalismus lässt sich offenbar verkaufen. Vor allem sein Drang nach immer mehr Wachstum wird als Grundfehler gegeißelt. Dabei sei selbst eine schrumpfende Wirtschaft dem Kapitalismus egal, hält der Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann im Interview dagegen. Der Kapitalismus als System benötige kein Wachstum. Die Politik benötige es, um Verteilungskonflikte zu befrieden, das gehe nicht so einfach, wenn eine Volkswirtschaft schrumpfe.
Im Interview plädiert Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, für ein gerecht gestaltetes Wachstum.
Kapitalismuskritik von links ist nichts Neues. Aber die Wirtschaftsordnung der freien Welt gerät zunehmend auch von rechts unter Druck.
Das führt zu einem weiteren Zusammenhang, der Kapitalismus ist heute eng mit Demokratie verknüpft. Dabei macht das Grundgesetz kaum Vorgaben für das Wirtschaftssystem. Zwar schützt es in Artikel 14 das Eigentum und übrigens auch das Erbrecht, beides ließe sich nicht abschaffen. Nur einen Artikel später lässt das Grundgesetz aber die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und sogar Produktionsmitteln zu. Allerdings auch das nur gegen Entschädigung in Geld.