Selbstbestimmung : In Zukunft entscheidet jeder selbst über sein Geschlecht
Der Bundestag hat das umstrittene Selbsbestimmungsgesetz verabschiedet. Transsexuelle und Intersexuelle können nun ihren Geschlechseintrag vereinfacht ändern lassen.
Sind verantwortlich für das neue Selbstbestimmungsgesetz: Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP).
Volljährige transsexuelle, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen können zukünftig mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt ihren Geschlechts- und Vornamenseintrag ändern lassen. Die verlangte "Erklärung mit Eigenversicherung" muss nicht durch psychologische Gutachten und eine gerichtliche Überprüfung begleitet werden. Die Änderung des Geschlechts- und Vornamenseintrag erfolgt unabhängig davon, ob sich die betroffene Person für eine geschlechtsangleichenden, medizinischen Eingriff entscheidet oder nicht. Die Betroffenen müssen lediglich erklären, dass die beantragte Änderung ihrer Geschlechtsidentität entspricht. Eine erneute Änderung des Geschlechts- und Vornamenseintrag kann jedoch frühestens nach Ablauf von zwölf Monaten erfolgen.
Den entsprechenden Entwurf der Bundesregierung für das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedete der Bundestag am Freitag in der durch den Familienausschuss geänderten Fassung in namentlicher Abstimmung. Für die Gesetzesvorlage votierten 374 Abgeordnete, 251 stimmten mit nein. Elf Parlamentarier enthielten sich.
Der Familienausschuss hatte die Annahme des umstrittenen Gesetzesvorhaben mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie der Linken-Gruppe gegen das Votum der CDU/CSU- und der AfD-Fraktion sowie der BSW-Gruppe empfohlen.
Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer kämpft seit vielen Jahren für die Rechte transgeschlechtlicher Menschen - und damit auch für ihre eigenen.
Geht die Hausrecht-Regel im Selbstbestimmungsgesetz zu weit oder ist der Passus ungenügend? Heide Oestrich und Heike Schmoll im Pro und Contra.
Das Selbstbestimmungsgesetz soll das Transsexuellengesetz ablösen. Verbänden geht die Neuregelung nicht weit genug.
Das neue Selbstbestimmungsgesetz ersetzt die bisher geltenden Regelungen des Transsexuellengesetzes von 1980. Dieses verpflichtete Betroffene zur Vorlage von zwei psychologischen Gutachten, um eine Änderung des Geschlechts- und Vornamenseintrags beantragen zu können. Über den Antrag entschied dann das zuständige Amtsgericht. Betroffene kritisieren dieses langwierige und teure Verfahren seit Jahren als "entwürdigend". Vor allem die "psychiatrischen Zwangsbegutachtung" stieß auf Kritik.
Regelungen für Minderjährige
Für Minderjährige sieht das neue Selbstbestimmungsrecht eine zweigeteilte Abstufung vor. Bei Kindern unter 14 Jahren soll der Antrag auf Änderung des Geschlechts- und Vornamenseintrag auf Wunsch des Kindes von den Eltern oder anderen Sorgeberechtigten gestellt werden können.
Ab dem 14. Lebensjahr können Jugendliche den Antrag beim Standesamt mit dem Einverständnis der Eltern oder Sorgeberechtigten selbst stellen. Sollten die Eltern oder Sorgeberechtigten ihr Einverständnis nicht erteilen, kann zur Klärung ein Familiengericht angerufen werden, dass dann im Interesse des Kindeswohls entscheiden soll.
Die Regelungen für Minderjährige hatte der Familienausschuss während der Beratungen über den Gesetzentwurf noch einmal verschärft. Sie müssen eine Erklärung abgegeben, dass sie sich vorab haben beraten lassen, beispielsweise durch Psychologen oder die Kinder- und Jugendhilfe.
Union kritisert nicht ausreichenden Jugendschutz
Der Unionsfraktion geht diese Änderung jedoch nicht weit genug gegangen. Die Regelung schreibe eben keine Beratungspflicht vor, sondern lediglich eine Selbstauskunft, dass eine Beratung stattgefunden habe. Dies sei keine ausreichende Gewährleistung des Jugendschutzes.
Zudem sieht die Union die Gefahr, dass die einfache Änderung des Geschlechts- und Vornamenseintrags zur Identitätsverschleierungen missbraucht werden könne. So habe das Innenministerium darauf gepocht, dass die personenbezogenen Daten bei einem Geschlechtswechsel an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet werden sollen. Dieser Punkt sei aber im Gesetz ersatzlos entfallen. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion bezeichnete das neue Selbstbestimmungsgesetz gar als "Sicherheitsrisiko".
AfD: Gesetz leugnet die Biologie
Aus Sicht der AfD-Fraktion ist das neue Gesetz "ideologiegetrieben" und leugne die Biologie. Man schaffe "eine willkürliche Möglichkeit zur Geschlechtsänderung für Jugendliche". Den Risiken und Gefahren von Hormonbehandlungen, Pubertätsblockern und chirurgischen Geschlechtsumwandlungen werde somit Tür und Tor geöffnet. Niemand könne die lebenslangen Folgen, die eine falsche Entscheidung habe, hinterher vollständig lindern.
In der Lesart der Koalitionsfraktionen hingegen wird mit dem Selbstbestimmungsgesetz "staatliches Unrecht" korrigiert. So sei das Transsexuellengesetz von 1980 vom Bundesverfassungsgericht in sechs Einzelentscheidungen für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden. Transpersonen seien in Deutschland erheblich von Diskriminierung und Gewalt betroffen. Es habe immer wieder Aufrufe, auch von den Betroffenen, zu umfangreichen Änderungen gegeben. In mehr als zehn anderen europäischen Ländern seien ähnliche Gesetze längst Realität geworden.
Schutz gegen Zwangs-Outing der Betroffenen
Das neue Selbstbestimmungsrecht sieht zudem einen Schutz gegen ein mögliches Zwangs-Outing der Betroffenen vor. So ist es untersagt, gegen den Willen eines Menschen dessen frühere Geschlechtszuordnung oder den früheren Vornamen offenzulegen. Bei Verstößen gegen diese Regelung droht ein Bußgeld.
Begleitet worden war die öffentliche Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz vor der Frage über den Zugang zu geschützten Räumlichkeiten wie Saunen, Umkleidekabinen oder Frauenhäusern. Von verschiedenen Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer waren Bedenken geäußert worden, solche Orte generell auch für Trans-Personen öffnen zu müssen. Das Selbstbestimmungsgesetz lässt das private Hausrecht jedoch unberührt. Allerdings soll dabei immer das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gelten, um Diskriminierungen zu verhindern.