Familie : Keine Abzüge vom Gehalt
Die Koalition will Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe streichen. Die Union meldet Bedenken an.
Junge Menschen in Pflegefamilien und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sollen sich zukünftig nicht mehr mit ihrem Einkommen - beispielsweise aus einem Ferienjob oder einem Ausbildungsvertrag - an den Kosten der Kinder- und Jugendhilfe beteiligen müssen. Dies sieht der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Abschaffung der sogenannten Kostenheranziehung vor, über den der Bundestag am vergangenen Mittwoch in erster Lesung beriet. Neben den Fraktionen der Regierungskoalition signalisierten auch die Links- und die AfD-Fraktion ihre prinzipielle Zustimmung zu dem Gesetzesvorhaben. Auch die Unionsfraktion stellte sich nicht ausdrücklich gegen das Vorhaben, meldete aber Bedenken an.
Bisherige Regel gilt auch für Alleinerziehende
Bislang müssen jungen Menschen in Pflegefamilien und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sich mit bis zu 25 Prozent ihres Einkommens an den Kosten beteiligen. Dies gilt auch für alleinerziehende Eltern, die mit ihren Kindern nach Paragraf 19 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in einer gemeinsamen Wohnform untergebracht sind. Auch die Ehegatten und Lebenspartner der jungen Menschen und Leistungsberechtigten werden abhängig von der Höhe ihres Einkommens an den Kosten beteiligt.
"Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, haben sie bereits mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben", heißt es in der Gesetzesvorlage. Dieser Start werde nochmal erschwert, wenn sie einen Teil ihres Einkommens abgeben müssen. "Aktuell leben etwa 250 000 junge Menschen in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe", führte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) aus. Diesen jungen Menschen wolle sie "den Start in ein selbstständiges Leben erleichtern und sie motivieren, Verantwortung zu übernehmen, und in die Lage versetzen, Verantwortung übernehmen zu können." Deshalb müsse die Kostenheranziehung abgeschafft werden.
CDU: Gegenfinanzierung dient erzieherischen Zwecken
Der CSU-Parlamentarier Paul Lehrieder verwies darauf, dass die Kostenheranziehung bereits im Sommer vergangenen Jahres durch die große Koalition von 75 auf 25 Prozent abgesenkt worden sei. Zudem seien Einkommen aus Ferienjobs oder Praktika bis zu 150 Euro pro Monat ebenso von der Kostenheranziehung ausgenommen wie eine Summe von 150 Euro aus einer Ausbildungsvergütung. In Einzelfällen könnten die Jugendämter schon jetzt auf die Kostenheranziehung ganz verzichten. Seine Fraktionskollegin Anne Janssen (CDU) fügte an: "Ja, ein Einkommen als eigene Leistung ist unerlässlich für die Selbstständigkeit, aber das Bewusstsein von gleichzeitigen Ausgaben ebenso." Die Kostenbeteiligung sei nicht als Gegenfinanzierung der pädagogischen Hilfen gedacht, sondern ihr liege der Erziehungsgedanke zugrunde.
SPD: Nachbesserungen für Menschen mit Behinderung
Die Abgeordneten der Ampelkoalition wiesen dieses Argument übereinstimmend zurück. Die Kostenheranziehung sei "weder pädagogisch sinnvoll noch gerecht", sagte Ulrike Bahr (SPD). Sie habe "wirklich fast jede Motivation erstickt, eine Ausbildung zu beginnen oder eine Arbeit aufzunehmen". Die Verbände der Erziehungshilfe, Heimräte, Pflegeeltern und die betroffenen jungen Menschen selbst würden seit langem eine Abschaffung der Kostenheranziehung fordern. Zugleich mahnte Bahr Nachbesserungen am Gesetzentwurf an. Junge Menschen mit einer Behinderung in einem Ausbildungsverhältnis würden vom Verzicht auf die Kostenheranziehung nicht profitieren. Dieser Forderung schlossen sich auch Heidi Reichinnek (Linke), Nicole Höchst (AfD) und Lehrieder an.