Plätze und Personal gesucht : Kita, Hort, Tagesmutter - oder doch lieber zu Hause?
In Deutschland fehlen rund 383.000 Kitaplätze. Wo es Plätze gibt, wie in Mecklenburg-Vorpommern, mangelt es oft an Personal für die Kinderbetreuung.
Wenn Sandra Klein aus Konstanz morgens um 8 Uhr ihren zweitgeborenen Sohn in die Kita bringt, dann ist das für Milo (Namen geändert) nur eine von mehreren Stationen. Um 12 Uhr werden er und zwei weitere Kinder von einer Tagesmutter abgeholt, die Milo weiter betreut, bis Klein ihn um 15 Uhr mit nach Hause nimmt. Logistisch ein nicht unkomplizierter Vorgang.
Doch die Familie war die letzten Jahre froh, dass sie zumindest einen Halbtags-Kitaplatz ergattern konnte. Die Kombination mit der Tagesmutter ermöglichte es Klein, in Teilzeit einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Anderen Müttern aus Baden-Württemberg, dem Saarland und vielen weiteren Bundesländern war dies nicht vergönnt.
Im Vergleich zu früher hat sich die Betreuungssituation in West wie Ost deutlich verbessert. Dennoch fehlen heute Hunderttausende Kitaplätze.
In Deutschland fehlen 2023 insgesamt rund 383.000 Kitaplätze, damit die Betreuungswünsche aller Eltern gedeckt werden können. Das geht aus dem aktuellen Ländermonitoring für frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung hervor. Besonders groß ist der Mangel in Westdeutschland mit 362.400 fehlenden Plätzen. Die östlichen Bundesländer stehen mit einer Lücke von 21.200 Plätzen wesentlich besser da. Befriedigend ist die Situation in keiner Region - besonders für Kinder unter drei Jahren.
Schlechterer Betreuungsschlüssel im Osten Deutschlands
Die Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung, Kathrin Bock-Famulla, sagt:"Im Osten gibt es zwar mehr Plätze, dafür fällt der Betreuungsschlüssel dort meist schlechter aus. Somit sind die Rahmenbedingungen oft problematischer." So müsse sich in Mecklenburg-Vorpommern eine Vollzeitkraft ganztags um etwa sechs Kinder unter drei Jahren kümmern. In Baden-Württemberg, wo der Platzmangel eklatant ist, schreibt die Gesetzgebung einen Schlüssel von eins zu drei vor.
"Damit erfüllt Baden-Württemberg im Gegensatz zu vielen Ländern im Osten die wissenschaftliche Empfehlung", sagt Kathrin Bock-Famulla. "Durch den Fakt, dass sich in einigen Ländern etwa doppelt so viel Personal um Krippenkinder kümmert wie in anderen, ergeben sich auch sehr unterschiedliche Bildungschancen", bemängelt die Erziehungswissenschaftlerin.
Denn je weniger Zeit eine Erzieherin oder ein Erzieher für ein Kind hat, desto schlechter für dessen Entwicklung. Das gilt insbesondere für Krippenkinder, die in den ersten Jahren wesentliche Lebensgrundlagen lernen müssen. "Eine individuelle Förderung ist bei einem Schlüssel von eins zu sechs kaum möglich", sagt Bock-Famulla. Da ein Kind beispielsweise nur richtig sprechen lernen könne, wenn es mit einer Person in den Dialog trete, das gleiche gelte für die emotionale Regulation.
Erziehungswissenschaftlerin: Eltern sollten Wahlfreiheit haben
Im Vergleich zu früher hat sich die Betreuungssituation in West wie Ost insgesamt deutlich verbessert. Bock-Famulla kann das nicht nur mit Statistiken belegen, sondern auch anhand ihrer eigenen Person: "Vor 24 Jahren wurde ich noch als Rabenmutter beschimpft, weil ich wieder arbeiten wollte, bevor meine Tochter drei Jahre alt war." In einer niedersächsischen Kleinstadt sei sie zunächst an der Suche nach einem Kitaplatz gescheitert, bis sie mit anderen Eltern einen Modell-Versuch für eine erste Krippe startete.
Heute gebe es dergleichen Kulturkämpfe nicht mehr. Auch in westdeutschen Kleinstädten sei es weitgehend akzeptiert, ein ein- oder zweijähriges Kind in einer Einrichtung betreuen zu lassen. Nicht besser sei eine gesellschaftliche Situation, in der Eltern abgewertet werden, wenn sie ihr Kind nicht bereits mit dem ersten Geburtstag in eine Kita geben, sagt Bock-Famulla. Einerseits sollten Eltern immer die Wahlfreiheit haben, findet die Erziehungswissenschaftlerin. Andererseits müsse man individuell abwägen, was das Beste für das Kind sei.
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Mehr Freiheit, weniger Autorität, mehr Zuneigung, weniger Strafen: Die Eltern-Kind-Beziehung hat sich im Laufe der Zeit erheblich gewandelt.
"Wenn ein Kind den ganzen Tag in einer Einrichtung ist, in der die Erzieher keine Zeit haben, um es individuell zu fördern, kann das schädlich sein. Aber es ist pädagogisch auch wenig sinnvoll, wenn ein ein- oder zweijähriges Kind außer zur Mutter keine anderen sozialen Kontakte hat", sagt Bock-Famulla. Kinder müssten mit Gleichaltrigen spielen können - und das mehr als einmal die Woche.
Eine alternative zur Kita ist die Tagespflege. Viele Mütter und Väter entschieden sich für diese Betreuungsform, da sie das etwas familiärere Umfeld schätzten. Studien, inwiefern sich diese Betreuungsform von der normalen Kita unterscheide, gibt es laut Bock-Famulla keine. Ein Nachteil sei, dass die Betreuung bei Krankheit der Tagesmütter oder -väter öfter ausfalle. Insgesamt fordern Experten, dass sich die Qualifikation der Tagespfleger- und Pflegerinnen mehr an der Erzieherausbildung orientieren solle. Je nach Bundesland werden derzeit weniger strenge Regularien angewandt.
Vor allem die Mütter treten für die Kinderbetreuung kürzer
Im Vergleich zu Frankreich oder Skandinavien fällt es deutschen Eltern wesentlich schwerer, die Kindererziehung mit einer Vollzeitbeschäftigung zu vereinbaren. Nach wie vor sind es die Mütter, die kürzer treten. Knapp 70 Prozent aller deutschen Mütter arbeiten in Teilzeit. In Frankreich sind es weniger als 40 Prozent. Andererseits wird dort - zumindest offiziell - nur 35 Wochenstunden gearbeitet. Beim Gleichstellungsindex der Europäischen Union belegt Deutschland Platz 11, hinter den westlichen und nördlichen Nachbarn.
Hauptproblem ist der Personalmangel. Um den Betreuungsbedarf zu erfüllen, müssen laut der Studie der Bertelsmann Stiftung in Westdeutschland weitere 93.700 Fachkräfte eingestellt werden und im Osten 4.900. Mit einem verbesserten Betreuungsschlüssel wären es auch in Ostdeutschland wesentlich mehr. Auch die Betreuungskosten sind je nach Bundesland unterschiedlich. Während der Kitabesuch in Berlin und anderen östlichen Ländern beitragsfrei ist, zahlen Eltern je nach Einkommen in manchen westlichen Bundesländern bis zu 400 Euro.
Die Autorin ist Journalistin beim Tagesspiegel.