Eltern-Kind-Beziehung : Erziehung: Mutter und Vater zu sein ist anspruchsvoll geworden
Mehr Freiheit, weniger Autorität, mehr Zuneigung, weniger Strafen: Die Eltern-Kind-Beziehung hat sich im Laufe der Zeit erheblich gewandelt.
Die Anforderungen haben sich geändert: Eltern investieren mehr Zeit und Geld in ihre Kinder.
Was macht eine gute Mutter aus? Was einen guten Vater? Elternschaft unterliegt einem ständigen Wandel. Dabei dürfte der Eindruck nicht ganz falsch sein, dass dieser Wandel in den vergangenen Jahrzehnten besonders umfassend und dynamisch ist: Die Anforderungen an Eltern haben sich ebenso gravierend verändert wie ihre Selbstwahrnehmung, ihre Erziehungsmaximen und -ziele.
Wurden Kinder früher auch als zukünftige Arbeitskräfte und als Garanten der Altersversorgung der Eltern gesehen, so erfahren sie heute weitaus mehr Zuwendung und Förderung als frühere Generationen. Möglich und nötig war das unter anderem, weil sich die Rahmenbedingungen für Familien grundlegend gewandelt haben: Mehr Frauen gehen arbeiten, Rollenbilder lösen sich auf, die Betreuungsinfrastruktur wurde ausgebaut.
Steigende Ansprüche an Eltern
Einerseits wird die klassische Familie als eine in Auflösung befindliche Institution wahrgenommen. Andererseits ist sie als "sicherer Zufluchtsort gegenüber einer kalten und menschenunfreundlichen Außenwelt" so populär und lebendig wie eh und je, schreibt Autorin Nathalie Sabas ("Zerrüttete Beziehungen - Verletzte Kinderseelen").
Der neunte Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 spricht deshalb von dem Phänomen der "intensivierten Elternschaft". Mutter und Vater zu sein ist, auch im Wettlauf um die Sicherung guter Startbedingungen und tragfähiger Zukunftschancen für die Kinder, zunehmend anspruchsvoll geworden. Eltern müssen sich mit steigenden Standards einerseits und steigenden Ansprüchen und Erwartungen an sich selbst andererseits auseinandersetzen.
Zufriedenheit von Eltern ist gesunken
Sie erfahren damit, wie es im Bericht heißt, eine "Intensivierung, die sich an einem Anstieg der materiellen und vor allem immateriellen Investitionen von Eltern in die Erziehung, Bildung und Betreuung ihrer Kinder festmachen lässt." Mit anderen Worten: Mütter und Väter verbringen heute viel mehr Zeit mit ihren Kindern - und sie lassen sich das viel mehr kosten als früher. In Haushalten mit einem größeren Einkommen relativ gesehen mehr als bei Geringverdienern - aber der Trend gilt für alle.
"Dennoch ist die Zufriedenheit von Eltern mit der Zeit gesunken", heißt es in dem Bericht, der daraus schließt, dass die Ansprüche noch stärker gewachsen sind, als die Möglichkeiten, ihnen nachzukommen.: "Auch der Befund, dass Eltern zunehmend das Gefühl haben, aus Zeitmangel ihre Kinder nicht so fördern zu können, wie sie es gern würden, spricht für eine zeitliche Intensivierung von Elternschaft."
Das Kind steht im Fokus
Das Ideal einer kindzentrierten Erziehung habe die Bedürfnisse der Kinder in den Vordergrund gerückt, deren angemessene Berücksichtigung aber nicht immer einfach sei, wie aus einer Repräsentativbefragung von Eltern unter 18-jähriger Kinder durch das Institut für Demoskopie Allensbach 2020 hervorgeht. Vier von fünf Eltern geben an, dass ihre Kinder das wichtigste für sie seien. Aber sie geben auch zu Protokoll, dass Elternschaft viele Verhandlungen erforderlich mache: zwischen den Eltern, um eine partnerschaftliche Erziehung zu organisieren, und mit den Kindern, die als Gegenüber ernst genommen werden sollen.
So gerieten Eltern mitunter in Zwiespalt, wenn es um die Durchsetzung ihrer Regeln und Anforderungen an das Verhalten der Kinder geht: "Im internationalen Vergleich von Erziehungseinstellungen dominiert in Deutschland eine eher permissive Haltung, die Autonomie und Vorstellungskraft der Kinder in den Vordergrund rückt", heißt es. Eltern in Deutschland setzten vor allem auf das gute Vorbild. Zwar würden mehrheitlich auch klare Regeln und Vorgaben befürwortet, aber zugleich werde versucht, immer weniger die Interessen der Kinder zu lenken. Auch Pflichten in der häuslichen Gemeinschaft würden den Kindern seltener zugemutet als noch 2001.
In Deutschland fehlen rund 383.000 Kitaplätze. Wo es Plätze gibt, wie in Mecklenburg-Vorpommern, mangelt es oft an Personal für die Kinderbetreuung.
Die kinderpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sarah Lahrkamp, sieht Familien in einer schwierigen Lage. Sie fordert mehr Programme für Kinder und Jugendliche. Editorial: Zeit, Geld und Nerven
Kinder sind anstrengend und sie dürfen es sein, es sind Kinder. Sie kosten Zeit, Geld und Nerven, die Eltern ebenso wie die Gesellschaft.
Wie schon das "Generationenbarometer" des Instituts für Demoskopie Allensbach 2009 zeigte, gibt es weniger Drill, mehr Debatten, die Kinder erfahren mehr Aufmerksamkeit und weniger Gewalt, mehr Freiheit, weniger Autorität, mehr liebevolle Zuneigung , weniger Strafen. Fleiß, Anpassungsbereitschaft und religiöse Orientierung hätten an Bedeutung verloren. "Stattdessen geht es darum, die Fähigkeiten des Kindes zu fördern", sagte Geschäftsführerin Renate Köcher damals, "wichtig sei Eltern die Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten, gute Bildung oder Durchsetzungsvermögen" - bei Jungen wie Mädchen.
Als Indiz für eine Intensivierung von Elternschaft wird im Familienbericht auch das Phänomen der "Helikopter-Eltern" gedeutet, das in einem gewissen Spannungsverhältnis zur gewünschten Erziehung zur Unabhängigkeit stehe: Es geht um Eltern, "die mitunter auch noch in vergleichsweise späten Entwicklungsphasen in ständiger Einsatzbereitschaft sind und ihre Kinder umschwirren, in deren Belange eingreifen", wie es im Familienbericht heißt, "und ihnen Aufgaben abnehmen, die die Kinder altersgemäß durchaus selbst übernehmen könnten."
Freizeitverhalten der Kinder hat sich geändert
Und auch sollten, wie Rüdiger Maas meint. Im Interview mit dem "Tagesspiegel" sagte der Leiter des Instituts für Generationenforschung in Augsburg: "Lehrer sagen, dass sich viele Kinder nicht mehr konzentrieren können, dass sie ungeduldig sind". Das habe auch damit zu tun, dass Kinder "immer überbehüteter aufwachsen und vieles weniger trainieren." Viele Eltern sähen nicht, welche Dinge das Kind selbst machen könnte. Ob es vielleicht selbst in die Schule laufen könnte, selbst die Suppe kalt pusten könnte. "Sie merken gar nicht, dass Kinder dadurch keine Erfolgserlebnisse mehr haben." Das führe dazu, dass Nachwuchskräfte nach kürzester Zeit in der Probezeit abbrächen: "Die haben keine Frustrationstoleranz entwickeln können, kein Durchhaltevermögen mehr. Viele Unternehmer seien deshalb verzweifelt.".
Nicht zuletzt stellt ein verändertes Freizeit- und Mediennutzungsverhalten der Kinder Eltern vor Herausforderungen. Internet, Smartphone, Computerspiele, Social Media. Chats und anderes - viele haben zunehmend das Gefühl, nicht immer den Überblick zu haben, was die Kinder da tun. Der Eindruck, an Einfluss auf die Kinder zu verlieren, dürfte ebenso zutreffend sein wie die Vermutung der einstigen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) dass das auch daran liege, "dass die Kinder hier kompetenter, schneller, versierter als ihre Eltern sind".