Dramatische Zahlen zu Gewalt an Frauen : Abgeordnete fordern schnelles Handeln
Der Bundestag diskutiert einen Entwurf von SPD und Grünen für ein umfassendes Gewalthilfegesetz. Unklar ist, ob ein parteiübergreifender Konsens möglich ist.
Die Zahlen sind schon seit Jahren nicht schön und zwingen einen dazu, Worte wie "Femizid" zu benutzen. Bereits am 25. November 2023 beklagten Verbände wie die Diakonie Deutschland oder der Verein Frauenhauskoordinierung e. V. (FHK), dass in Deutschland fast 14.000 Plätze in Frauenhäusern fehlen, weil die Zahl der vor häuslicher Gewalt fliehenden Frauen stetig steige. Ein paar Tage vor dem diesjährigen "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen" am 25. November veröffentlichte das Bundeskriminalamt ein aktuelles Lagebild zu Straftaten gegen Frauen und Mädchen im Jahr 2023, das aufgrund seines erschreckenden Befundes ein großes mediales Echo erzeugte. Von Häuslicher Gewalt waren demnach 180.715 weibliche Opfer betroffen, das ist eine Zunahme von 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Fast jeden Tag wurde eine Frau oder ein Mädchen durch geschlechtsspezifische Gewalt ermordet (Femizid). Rund 52.000 Frauen und Mädchen wurden Opfer von Sexualstraftaten, auch hier gab es einen Anstieg von sechs Prozent gegenüber 2022.
Der Ampel-Streit hat das Gewalthilfegesetzes verzögert
Im Kabinett der Ampel-Regierung wurde monatelang um ein Gewalthilfegesetz gerungen. Der Prozess verzögerte sich, sodass nach dem Ampel-Aus die Fraktionen von SPD und Grünen in Eigenregie einen entsprechenden Entwurf für ein umfassendes Gewalthilfegesetz vorlegten, über den der Bundestag gestern mehr als eine Stunde debattierte. Jedoch hat dieser Entwurf aufgrund der aktuellen politischen Konstellation wenig Aussicht auf eine Verabschiedung, auch wenn CDU/CSU und FDP ebenfalls zwei Anträge vorlegten, in denen sie unter anderem ein Gesamtkonzept für mehr Plätze in Frauenhäusern fordern. Die Gruppe Die Linke fordert in einem Antrag 500 Millionen Euro für ein Sofortprogramm für Frauenhäuser.
Hauptelement des Gesetzentwurfs von SPD und Grünen ist die rechtliche Absicherung des Zugangs zu Schutz und Beratung für gewaltbetroffene Personen. Dies soll über die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung bei Gewaltbetroffenheit gesichert werden. Prävention und Täterarbeit in Zusammenspiel mit den Polizeibehörden sind ebenfalls Teil des Entwurfs. Die Länder werden darin verpflichtet, ein Netz an zahlenmäßig ausreichenden und den Bedarf verschiedener Personengruppen berücksichtigenden Schutz- und Beratungsangeboten sicherzustellen. Deshalb sollen die Länder in einem ersten Schritt den tatsächlichen Bedarf an Schutz- und Beratungsangeboten in angemessener geografischer Verteilung analysieren und die Entwicklung des Netzes an Schutz- und Beratungsangeboten planen.
Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide fordert: "Von Gewalt betroffene Frauen brauchen jetzt Schutz und Beratung. Ich appelliere an alle Bundestagsabgeordneten: Der Schutz von Frauen ist wichtig. Parteitaktische Überlegungen dürfen das Gewalthilfegesetz im Bundestag nicht blockieren." Christiane Völz, Vorstandsvorsitzende von FHK stellte anlässlich der BKA-Zahlen fest: "Wir müssen die Gewaltschutzstrukturen dringend umfassend ausbauen, um den Schutz Betroffener zu stärken und weitere Tötungen von Frauen und Mädchen zu verhindern". Nötig sei ein kostenfreier Zugang zu Schutz und Beratung.
Unionsfraktion lehnt die Verantwortung für ein Scheitern ab
Die CDU/CSU-Fraktion machte in der Debatte sehr deutlich, dass sie sich den schwarzen Peter nicht zuschieben lässt, wenn das Gesetz jetzt nicht mehr zustande kommt. "Das Thema ist vielen von uns ein Herzensanliegen, aber Sie haben es erst mit dem Ampel-Aus entdeckt. Ihre Bilanz nach drei Jahren ist einfach nur Null. Sie haben kein Investitionsprogramm auf den Weg gebracht und nicht mal den Versuch unternommen, Neuregelungen beim Umgangs- und Sorgerecht in gewaltbetroffenen Familien auf den Weg zu bringen", betonte Silvia Breher (CDU). Hätte die Regierung den Entwurf ein Jahr früher vorgelegt, hätte es noch ein ordentliches Verfahren geben können, sagte die familienpolitische Sprecherin von CDU/CSU.
Offensichtlich hatte das eindringliche Bitten von Britta Haßelmann, der Co-Vorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion nichts genützt. "Es gibt eine Lösung! Lassen Sie uns das gemeinsam zu Ende bringen", hatte sie zuvor appelliert. Nach der Debatte deutet aber nicht viel darauf hin, dass Regierung und Opposition hier noch zusammenfinden werden. Haßelmann zeigte sich selbstkritisch: “Weil wir jahrelang mit dem Finger auf andere gezeigt haben, gibt es noch heute zu wenig Schutzräume für Frauen. Wir haben es alle miteinander nicht geschafft, das ist beschämend.”
Gewalt an Frauen in Deutschland
🏠 In Deutschland gibt es rund 400 Frauenhäuser und mehr als 40 Schutzwohnungen mit rund 6.000 Plätzen. Nötig wären 14.000 Plätze, kritisieren Verbände.
💰 Landesmittel und kommunale Mittel, Kostenbeteiligungen von Frauen sowie Eigenmittel der Träger, unter anderem Spenden und Bußgelder, finanzieren die Arbeit der Frauenhäuser.
📈 Gegenüber 2022 ist die Zahl der weiblichen Opfer häuslicher Gewalt 2023 um 5,6 Prozent gestiegen und lag bei rund 180.700. Fast jeden Tag ist eine Frau oder ein Mädchen an den Folgen geschlechtsspezifischer Gewalt gestorben (BKA-Lagebild, 19.11. 24).
Ariane Fäscher (SPD) betonte, momentan fehlten zwei von drei Plätzen in Frauenhäusern. Das Gesetz sei deshalb "ein längst überfälliger Schritt, zu dem wir übrigens durch die Instanbul-Konvention verpflichtet sind". An die Union gerichtet, sagte sie: "Unsere Hand ist ausgestreckt. Wir wollen ohne Maximalforderungen, aber mit maximalem Umsetzungswillen dieses Gewalthilfegesetz verabschieden."
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) verteidigte sich gegen den Vorwurf des zu späten Handelns: "Wir haben intensiv zwei Jahre an einem Runden Tisch beraten. Nun wollen wir als Bund endlich in die Finanzierung der Frauenhäuser einsteigen, mit 2,6 Milliarden Euro bis 2036. Länder, Kommunen, alle warten auf dieses Gesetz." Natürlich hätten die Verhandlungen lange gedauert, dies sei aber kein Grund, jetzt nicht zu handeln, erklärte die Ministerin.
Die AfD verlangt Maßnahmen gegen Genitalverstümmelung
Ein konsequentes Handeln fordert auch die AfD-Fraktion, allerdings sieht sie die Lösung vor allem in einem Stopp der Zuwanderung, wie Nicole Höchst (AfD) klarstellte. "Alljährlich veranstalte man zum Frauentag am 8. März einen "Tanz ums goldene Kalb, ohne, dass sich irgendetwas ändert". Sie warf der Regierung vor, dies auch gar nicht zu wollen und verwies auf Genitalverstümmelungen und Zwangsheiraten, bei denen härteres Durchgreifen angesagt wäre.
Nicole Bauer (FDP) erklärte, Handlungsbedarf bestehe nicht nur bei den Kapazitäten, sondern auch bei der Prävention. "Sicherheit beginnt mit Bildung und der Möglichkeit, sich aus Abhängigkeiten zu befreien." Ein Online-Register für Frauenhaus-Plätze wären ein erstes wichtiges Angebot für Frauen in Not, sagte Bauer.
Gesine Lötzsch (Die Linke) warf der Ampel "Regierungsversagen" vor. Wie könne es sein, dass ein Land weltweit für Menschenrechte kämpfe, diese aber im eigenen Land für Frauen und Mädchen nicht sicherstellen könne, fragte sie.
Sevim Dagdelen (BSW) unterstellte der Regierung, mit dem Gesetz "Ihre bekloppte Genderideologie" verfestigen zu wollen. Denn es würde auch biologischen Männern, die sich als Frauen empfänden, Zutritt zu Frauenhäusern erlauben.