"Die Scham muss die Seite wechseln" : Weltweit gegen Gewalt an Frauen
Jede dritte Frau erlebt mindestens einmal Gewalt in ihrem Leben, viele bezahlen mit dem eigenen Leben. Die Kampagne "Orange the World" will darauf aufmerksam machen.
365 Kerzen, arrangiert zu einem Kreis, aus dem ein Kreuz nach unten ragt - das Venussymbol, weltweites Sinnbild für die Frau. Vor dem Bonner Rathaus leuchtet das Arrangement in einem satten Orange. Das stille Mahnmal soll auf die Millionen von Frauen hinweisen, die weltweit täglich Opfer von Gewalt werden. Anlässlich des Internationalen Tages zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November erinnerte die Aktion an die erschreckenden Statistiken und daran, dass es mehr Schutzmaßnahmen und Prävention braucht, um die Betroffenen zu unterstützen.
Mehr als 14 Frauen pro Stunde werden Opfer von Gewalt
Denn die Statistik zeichnet ein dramatisches Bild: Allein in Deutschland werden mehr als 14 Frauen pro Stunde Opfer von Gewalt - eine Zahl, die sich aus dem jüngsten Bundeslagebericht Häusliche Gewalt des Bundeskriminalamtes ergibt. Beinahe täglich versucht ein Partner oder Ex-Partner, eine Frau zu töten. Jeden zweiten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres aktuellen oder früheren Partners.
Die Kampagne „Orange the World“ fordert ein Ende geschlechterspezifischer Gewalt gegen Frauen und schafft jedes Jahr 16 Tage lang Aufmerksamkeit für das Thema – so wie mit einer Demonstration in Bonn.
Gewalt an Frauen ist kein deutsches Problem, sondern ein globales. Die Vereinten Nationen haben daher bereits 1991 die Kampagne "Orange the World" ins Leben gerufen: Dabei werden jährlich weltweit vom 25. November bis zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, Gebäude in Orange erleuchtet, Demonstrationen organisiert und Banner mit der leuchtenden Farbe getragen.
Besonders gefährdet sind Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren
Orange soll dabei als eine strahlende, optimistische Farbe für eine Zukunft ohne Gewalt stehen, so erklärt es UN Women, die Organisationseinheit der Vereinten Nationen für Geschlechtergleichstellung, auf ihrer Webseite. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn die Zahlen zur Gewalt an Frauen sind alarmierend. Ein Bericht von UN Women und der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2022 verdeutlicht die Dimension des Problems: Weltweit erfährt jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben physische oder sexuelle Übergriffe - häufig durch den eigenen Partner. Auch etwa 38 Prozent aller weltweit begangenen Morde an Frauen werden von ihren aktuellen oder ehemaligen Intimpartnern verübt. Besonders betroffen sind junge Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren: Fast jede vierte Jugendliche hat bis zu ihrem 19. Lebensjahr körperlichen, sexuellen oder psychischen Missbrauch in einer Beziehung erfahren.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die in diesem Jahr Schirmfrau der Kampagne "Orange the World" ist, findet klare Worte: "Gewalt in Partnerschaften darf kein Tabuthema sein. Die Scham muss die Seiten wechseln: Der Täter muss sich schämen, nicht das Opfer. Und wir als Gesellschaft müssen Gewalt in Partnerschaften ächten."
Folgen von Gewalt belasten Frauen ein Leben lang
Damit greift Bas die Worte der Französin Gisèle Pelicot auf. Mit ihrer Aussage "Die Scham muss die Seite wechseln" hat Pelicot für viele den Umgang von Gewalt gegen Frauen auf den Punkt gebracht: Nach Gewalterfahrungen fühlen sich Frauen noch immer häufig beschämt und schuldig, auch wenn sie die Opfer sind.
Pelicot selbst ist ein Beispiel für die Brutalität, die Frauen noch immer widerfährt. Jahrelang wurde sie von ihrem Ex-Mann Dominique Pelicot mit Schlafmitteln betäubt und vergewaltigt. Mindestens 50 weitere Männer waren an den Verbrechen beteiligt, die er über Internetforen organisierte. Trotz der unfassbaren Gewalt entschied sich Gisèle Pelicot, die Gerichtsverhandlungen öffentlich zu führen - ein Schritt, der sie international zu einer Symbolfigur der Frauenrechtsbewegung machte.
Viele Frauen begleiten die Folgen von Gewalt ein Leben lang
Die psychischen und körperlichen Folgen von Gewalt begleiten Frauen oft ein Leben lang. Neben chronischen Schmerzen, gynäkologischen Problemen und sexuell übertragbaren Infektionen erhöht Gewalt das Risiko für Depressionen und Suizid erheblich, erklärt UN-Women. Auch Gisèle Pelicot sagte immer wieder, dass sie trotz ihres öffentlichen Engagements und zahlreicher Unterstützerinnen "innerlich zerbrochen" sei.
Vor Gewalt sollen Frauen in Deutschland und Europa unter anderem durch die Istanbul-Konvention geschützt werden. Dieses Übereinkommen des Europarats verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zu umfassenden Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen. Dazu gehören unter anderem Prävention, Opferschutz und eine konsequente Strafverfolgung.
Doch die Realität bleibt hinter den Ansprüchen der Konvention zurück. Expertinnen vom Deutschen Institut für Menschenrechte warnen, dass die bisherigen Maßnahmen zum Schutz von Frauen auch in Deutschland nicht ausreichend seien und fordern eine Gesamtstrategie von Politik, Verwaltung und Justiz, um die Betroffenen besser zu schützen. Beispielsweise fordern sie ein Gewalthilfegesetz und die Zahl der Plätze in Frauenhäusern sowie Beratungsangebote dringend auszubauen.