Reform des Schwangerschaftskonfliktgesetzes : Experten sind beim Schutz vor "Gehsteigbelästigung" uneins
Die Ampel will Schwangere vor "Gehsteigbelästigung" vor Beratungsstellen schützen. Das Vorhaben wurde von Experten in einer Anhörung sehr unterschiedlich bewertet.
Die von der Bundesregierung geplante Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes wird von Sachverständigen sehr unterschiedlich bewertet. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montag deutlich.
Abtreibungsgegner demonstrieren im April auf dem Königsplatz in München. Gegen solche Demonstrationen richtet sich der Gesetzentwurf zur "Gehsteigbelästigung" ausdrücklich nicht.
Ziel der Regelung ist es, Schwangere vor Schwangerschaftsberatungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, wirksamer vor sogenannten Gehsteigbelästigungen durch Abtreibungsgegner zu schützen, und dafür zu sorgen, dass das Fachpersonal der Beratungsstellen seine Arbeit ungestört ausüben kann. Dazu sollen in einem Bereich von 100 Metern um den Eingangsbereich der Beratungsstellen "nicht hinnehmbare Verhaltensweisen" untersagt werden, wenn diese geeignet sind, die Inanspruchnahme der Beratung oder den Zugang zu Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, zu beeinträchtigen.
Steffen Augsberg, Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hält den Gesetzentwurf für überflüssig. Bedrohungen, Nötigungen und Beleidigungen seien schon jetzt geregelt, sagte er. Auf der anderen Seite seien die Proteste, vor denen die Schwangeren geschützt werden sollen, ihrerseits durch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit geschützt.
Professor Sigrid Boysen von der Universität der Bundeswehr Hamburg vermochte hingegen keinen unzulässigen Eingriff in die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit erkennen. Es gehe in dem Fall nicht um einen Meinungskampf im öffentlichen Raum. Der Gesetzgeber verfolge das Ziel, die verpflichtende Beratungslösung zu schützen.
Christliche Lebensretter kritisieren einen Generalverdacht
Tomislav CCunovic, Geschäftsführer des Vereins "40 Days for Life International", sprach von einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Das in beiderseitigem Einverständnis stattfindende Gespräch zwischen einer schwangeren Frau und einer "Gehsteigberaterin" würden keine nötigende Situation darstellen. Friedliche und christlich motivierte Lebensretter sollen "unter Generalverdacht" gestellt werden, beklagte er.
Eine bundeseinheitliche Regelung sei unabdingbar, stellte dagegen Céline Feldmann vom Deutschen Juristinnenbund fest. Präventive Mittel seien notwendig, damit der ungehinderte Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen abgesichert werde und die reproduktiven Rechte von Schwangeren gestärkt würden.
Christian Hillgruber, Professor an der Universität Bonn, hält das Ziel des Gesetzes für nicht erreichbar, "weil alles von den von Fall zu Fall sehr unterschiedlichen Einzelumständen abhängt". Zudem fehle dem Bund für die Erstreckung des Sicherstellungsauftrags auf ungehinderten Zugang zu den Beratungsstellen sowie für die Behinderungs- und Belästigungsverbote die nötige Gesetzgebungskompetenz.
Die Bundesärztekammer begrüßt den Entwurf
Laut Claudia Hohmann, Leiterin der Beratungsstelle Pro Familia Frankfurt-Main, haben die Belagerungen von Beratungsstellen zugenommen. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich festgelegt, dass die Beratung ergebnisoffen stattfinden müsse. Es dürfe daher keine Beeinflussung vor den Beratungsstellen stattfinden, betonte sie.
Julia Seeberg, Geschäftsführerin beim donum vitae Bundesverband, der ebenfalls Schwangerschaftskonfliktberatung anbietet, begrüßte das Anliegen des Entwurfs. Umfragen hätten gleichwohl ergeben, dass die Beratungsstellen von donum vitae bisher nicht von den Gehsteigbelästigungen betroffen sind.
Karsten Scholz als Vertreter der Bundesärztekammer unterstützte ausdrücklich die Einführung von Belästigungsverboten. Da jedoch auch das Personal der Einrichtungen regelmäßig belästigt werde, sollte dieses nicht nur vor einer Behinderung bei der Arbeit, sondern ebenso vor Belästigungen geschützt werden.