Arzneimittelreform : Aufstand der Apotheker
Mit bundesweiten Protesten untermauern Apotheker ihre Forderung nach höheren Honoraren und weniger Bürokratie. Sie haben einen 10-Punkte-Forderungskatalog vorgelegt.
Protestaktionen von Apothekern sind in Deutschland eher selten. Am vergangenen Mittwoch blieben bundesweit viele der rund 18.000 öffentlichen Apotheken geschlossen, nur ein Notdienst wurde organisiert. Der Anlass: Die Apotheker sind unzufrieden mit ihrer Bezahlung. Zwar haben sie in der Coronakrise gut verdient durch mehr Geschäft mit Masken, Impfungen und Impfzertifikaten, jedoch sind die Anforderungen gewachsen und damit der Aufwand, der nach Ansicht der Apotheker in keinem Verhältnis zu den Honoraren steht.
Als im zurückliegenden Herbst und Winter das Land von einer Infektionswelle getroffen wurde, rückten Apotheken erneut in den Blickpunkt, denn viele gängige Medikamente waren vergriffen, darunter solche für Kinder. Die Not war so groß, dass die Bundesregierung verschiedene Neuregelungen auf den Weg brachte, um die Versorgung zu verbessern und Lieferengpässe von Medikamenten künftig zu vermeiden.
Apotheker wollen mehr Handlungsfreiheiten
Die Apotheker spielen in dem Gesetzentwurf gegen Arzneimittel-Lieferengpässe, der gerade im Bundestag beraten wird, eine wichtige Rolle, denn sie müssen schnell aktiv werden, wenn Medikamente nicht über die Hersteller oder den Großhandel zu beziehen sind. Wird auf alternative Mittel ausgewichen, sind aufwendige Rücksprachen mit Ärzten bezüglich des Rezepts erforderlich. Bei formalen Fehlern droht Apothekern die sogenannte Null-Retaxation, dann zahlen die Krankenkassen nicht. Der bürokratische Aufwand wird von Apothekern als immense Belastung angesehen.
Die Apotheker haben einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog vorgelegt, der mit den Streiks untermauert werden sollte, darunter eine Erhöhung des sogenannten Fixums, das sich seit zehn Jahren nicht geändert habe. Für jede abgegebene rezeptpflichtige Packung bekommen Apotheker ein festes Honorar, das derzeit bei 8,35 Euro netto liegt, gefordert werden zwölf Euro. Die Apotheker wollen auch mehr Handlungsfreiheiten, um eine unbürokratische Versorgung insbesondere bei Lieferengpässen zu gewährleisten und Ärzte zu entlasten. Eine solche Regelung sollte aus ihrer Sicht in die Arzneimittelreform mit aufgenommen werden.
Experten sehen Gesetzentwurf teils sehr kritisch
In der vergangenen Woche durchlief der Gesetzentwurf die Expertenanhörung im Bundestag und wurde dort teils sehr kritisch kommentiert, vor allem von Pharmafirmen und Apothekern. Der Entwurf beinhaltet Änderungen im Bereich der Festbeträge, Rabattverträge und der Versorgung mit Kinderarzneimitteln. Für Kinderarzneimittel gelten künftig weniger strikte Preisregeln. Pharmafirmen können ihre Abgabepreise für solche Arzneimittel einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrags oder Preismoratoriums anheben.
Der Entwurf sieht außerdem vor, dass Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel bei einem Engpass gelockert werden können. Sollte es zu wenige Anbieter geben, können Festbetrag oder Preismoratorium einmalig um 50 Prozent angehoben werden. Ferner müssen Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden. Auf diese Weise soll die Anbietervielfalt erhöht werden.
Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln soll mit neuen Austauschregeln für Apotheken gestärkt werden. Ist ein Arzneimittel nicht verfügbar, dürfen Apotheker ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben. Für den Austausch sollen Apotheken und Großhändler einen Zuschlag von 50 Cent erhalten. Der Versorgungssicherheit dient die verbindliche dreimonatige Lagerhaltung von rabattierten Arzneimitteln. Zudem soll ein Frühwarnsystem eingerichtet werden, um drohende Lieferengpässe frühzeitig zu erkennen.
Der AOK-Bundesverband warnte vor einer Kostenfalle, die zu höheren Beiträgen führen könnte. Die Freistellung ganzer Arzneimittelgruppen von Rabattverträgen und Festbeträgen sowie die Anhebung von Preisobergrenzen um bis zu 50 Prozent seien kritisch zu hinterfragen. Dem liege die falsche Annahme zugrunde, dass zu großer ökonomischer Druck im generischen deutschen Markt ursächlich sei für die Lieferengpässe. Das Phänomen sei aber weltweit zu beobachten.
Hersteller sehen Kostendruck als Problemursache
Hingegen machte der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) den Kostendruck für die Probleme verantwortlich. Dies führe zu einer Marktverengung auf wenige Produzenten und zur Abwanderung von Produktionskapazitäten in Drittländer mit geringeren Produktionskosten. Der Verband Progenerika hob die langen Vorlaufzeiten bei der Umstellung der Produktion von Arzneimitteln hervor. Bei versorgungskritischen Arzneimitteln müssten höhere Preise für einen längeren Zeitraum gewährt werden, um Anreize für eine veränderte Produktionsplanung zu schaffen.
Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) stehen inzwischen viele Medikamente auf der Liste der nicht oder nur bedingt lieferbaren Arzneimitteln, darunter Mittel der Krebstherapie, Schmerzmittel wie Opioide, Lokalanästhetika, Insuline, Psychopharmaka, Herz-Kreislauf-Mittel und Cholesterinsenker. Apotheken bräuchten flexible rechtliche Abgaberegeln, um die Arzneimittelversorgung sicherzustellen. Der im Entwurf vorgeschlagene Zuschlag von 50 Cent für den zusätzlichen Aufwand bei Lieferengpässen sei völlig unzureichend. Die ABDA schlug in der Anhörung einen Zuschlag von 21 Euro vor, um den tatsächlichen Aufwand realistisch abzubilden. Manchmal dauere es mehrere Tage, bis Patienten bei einem Engpass versorgt seien, hieß es.
Gesundheitsminister sieht keinen Raum für höhere Honorare
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dämpfte die Erwartungen der Apotheker und verwies auf Haushaltsvorgaben und die Finanzprobleme der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). "Unter diesen Umständen ist für höhere Honorare der Apotheker im Moment kein Raum", stellte der Minister klar und fügte hinzu: "Das ist nach wie vor ein sehr gut bezahlter Beruf." Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen räumte ein, dass bürokratische Vorgaben abgebaut werden müssten, schränkte jedoch ein: "Ich verstehe die Sorgen vieler Apotheker, aber Streik ist wirklich die falsche Medizin."
Die Apothekerverbände sehen die Branche auf der Kippe. Der Präsident der Bundesapothekerkammer, Thomas Benkert, sagte, für das Überleben vieler Apotheken sei ein höheres Grundhonorar nötig. ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening warnte in der Anhörung: "Die Apotheker sind massiv unter Druck."