Reform der Organspende : Hoffnung auf mehr Spenderorgane
Mit einem Gruppenantrag wollen Abgeordnete die Organspende erneut reformieren. Das Ziel ist, mehr rettende Spenderorgane zu bekommen.
Zum wiederholten Mal wird im Bundestag um eine Organspendenreform gerungen. Und wieder ist es ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag, der die Lösung bringen soll. Es ist rund fünf Jahre her, dass die Parlamentarier zuletzt die Systemfrage stellten und sich entscheiden sollten zwischen der Widerspruchslösung und einer erweiterten Entscheidungsregelung. Damals, im Januar 2020, befürwortete eine Mehrheit, dass ohne Zustimmung der betreffenden Person zu Lebzeiten eine postmortale Organentnahme nicht zulässig ist.
Für Patienten auf der Warteliste ist die Nachricht, dass ein passendes Spenderorgan zur Verfügung steht, eine große Erleichterung. Oft ist die Transplantation die einzige verbleibende Option.
Durchsetzen konnte sich der Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft. Demnach sollte die Abgabe einer Erklärung zur Organ- und Gewebespende auch in Ausweisstellen möglich sein. Außerdem sollten Bürger die Möglichkeit bekommen, ihre Entscheidung in einem neu einzurichtenden Online-Register zu dokumentieren.
Die Zahl der Organspender ist viel zu gering
In den folgenden Jahren zeigte sich, dass die Neuregelung das Dilemma der viel zu geringen Spenderzahlen nicht lösen würde. Zudem verzögerte sich die Einrichtung des Online-Registers erheblich, das erst im März 2024 freigeschaltet werden konnte. Das alte Problem ist auch das neue: Zu wenige Menschen erklären ihre Bereitschaft für eine Organspende, indem sie einen Organspendenausweis ausfüllen oder sich in das Register eintragen. Dabei sind viele Menschen grundsätzlich offen für eine Organspende, von der sie im Ernstfall selbst profitieren könnten.
Nun wagen zahlreiche Abgeordnete einen neuen Vorstoß zur Einführung der Widerspruchsregelung. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen als Organ- und Gewebespender künftig nicht nur Personen infrage kommen, die in eine Entnahme eingewilligt haben, sondern auch solche, die einer Entnahme nicht ausdrücklich widersprochen haben.
Das neue Online-Register spielt bei der geplanten Reform eine wichtige Rolle. Ergebe die Auskunft aus dem Register, dass der mögliche Spender dort keine Erklärung registriert habe, und liege dem Arzt auch kein schriftlicher Widerspruch des möglichen Spenders vor und sei im Gespräch mit Angehörigen auch diesen kein entgegenstehender Wille bekannt, sei eine Organ- oder Gewebeentnahme zulässig, wird im Entwurf erläutert.
Mögliche Ausweitung der Lebendorganspende
Der Bundestag hat Anfang 2019 bereits eine Strukturreform bei der Organspende beschlossen. Die Neuregelung sollte mit veränderten Abläufen und Vorschriften die Organspendenpraxis effektiver gestalten. So wurde in Entnahmekrankenhäusern die Rolle der Transplantationsbeauftragten gestärkt. Aktuell plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) außerdem, mehr Möglichkeiten für eine Lebendorganspende zuzulassen. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Voraussetzungen für eine Überkreuzlebendnierenspende und eine nicht gerichtete anonyme Nierenspende zu schaffen. Ob die Vorlage eine Chance hat, bleibt abzuwarten.
Derzeit stehen nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) rund 8.400 schwer kranke Patienten in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Im vergangenen Jahr haben 965 Personen nach ihrem Tod im Durchschnitt drei Organe gespendet. Die Zahl der in Deutschland postmortal entnommenen Organe stieg von 2.662 im Jahr 2022 auf 2.877 im vergangenen Jahr. Unter den entnommenen Organen waren 1.488 Nieren, 766 Lebern, 303 Herzen, 266 Lungen, 52 Bauchspeicheldrüsen und zwei Därme.
In der ersten Beratung am Donnerstag äußerten sich viele Abgeordnete betroffen über die aktuelle Lage und sprachen sich für Änderungen aus. Allerdings wird die Widerspruchsregelung teilweise zurückhaltend oder sehr kritisch gesehen.
Die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar sagte, die Wahrheit sei ebenso simpel wie dramatisch: "Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Organspende." Es sei viel unternommen worden, um die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen in der Organspende zu verbessern, sagte Dittmar und fügte mit Blick auf die Spenderzahlen hinzu: "Das Ergebnis ist ernüchternd." Sie räumte ein: “Die Entscheidungslösung ist eklatant gescheitert.”
Bundesrat fordert eine schnelle Entscheidung
Im Namen des Bundesrates warb auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) für die Neuregelung. Der Bundesrat habe selbst mit großer Mehrheit eine Initiative zur Einführung der Widerspruchslösung verabschiedet. Laumann betonte, es gäbe noch weniger Transplantationen, wenn Deutschland nicht von anderen Ländern profitieren würde, in denen die Widerspruchslösung gelte. “Wir sind ein Nehmerland.”
Der Grünen-Abgeordnete und Klinikarzt Armin Grau berichtete aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, wenn die Angehörigen eines potenziellen Organspenders in dieser Ausnahmesituation eine Entscheidung treffen müssen. Die meisten Angehörigen seien dann ratlos und lehnten in der Folge eine Entnahme oft ab. Später bereuten Angehörige oft die Absage. Diese Praxis sei völlig unbefriedigend, hier würden Chancen ausgelassen.
Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Widerspruchslösung
Kristine Lütke (FDP) sagte, es bestehe große Einigkeit, dass mehr Organspenden benötigt werden. Die aktuelle Situation sei "deprimierend und ernüchternd." Die Widerspruchslösung bedeute jedoch, dass sich der Staat die Antwort auf die Frage nach der Organspende selbst herausnehme und für alle beantworte. Dabei werde der Konsens ignoriert, dass bloßes Schweigen noch keine Zustimmung sei. Lütke betonte: "Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper über den Tod hinaus ist ein Grundpfeiler unserer Verfassungsordnung." Es gebe noch andere Möglichkeiten, etwa die Liberalisierung der Überkreuzlebendspenden.
Martin Sichert (AfD) betonte, der Körper sei Eigentum des Individuums und kein Ersatzteillager für die Allgemeinheit. Er mutmaßte, dass hinter der Widerspruchsregelung im Grunde eine sozialistische Idee stecke, der "Volkskörper". Er warnte: “Wehret den Anfängen.”
Online-Organspenderegister ist funktionsfähig
Martina Stamm-Fibich (SPD) räumte ein, dass sich ihre Sicht geändert habe. Sie habe geglaubt, dass auch ohne Widerspruchsregelung mehr Spenderorgane zu bekommen wären. "Aus heutiger Sicht war das eine Fehleinschätzung." Ihr Sinneswandel habe auch mit der besseren Organspende-Infrastruktur zu tun. So sei das Organspendenregister nun voll funktionsfähig. Sie rügte Versuche, das Vertrauen in die Organspende mit falschen Anschuldigungen zu untergraben. Der Prozess der Organspende sei vertrauenswürdig.
Gitta Connemann (CDU) merkte an, dass nur wenige Menschen für eine Organspende infrage kommen, weil die Hirntodkriterien sehr streng seien. Da Deutschland bei den Spenderzahlen in Europa trauriges Schlusslicht sei, müsse sich jeder fragen, ob er ein Spenderorgan auch aus einem Land mit Widerspruchsregelung annehmen würde.